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HEGEMONIE/1826: Venezuela - Kriegsgefahr ... (SB)



Jede Art von Gewalt und Einschüchterung gegen US-Diplomaten, Venezuelas demokratischen Führer Juan Guaidó oder das Parlament würde einen schweren Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit darstellen und eine erhebliche Reaktion nach sich ziehen.
Trumps Sicherheitsberater John Bolton [1]

In Washington hält man die Zeit für gekommen, massiv in den inneren Konflikt Venezuelas einzugreifen, um den seit langem angestrebten "Regimewechsel" zu erzwingen. Nach dem Willen der US-Regierung soll der Rollback in Lateinamerika mit einem weiteren Schub vorangetrieben werden, der die Vereinigten Staaten ihrem Ziel näherbrächte, den ungehinderten hegemonialen Zugriff im traditionellen "Hinterhof" ihrer imperialistischen Expansion wiederherzustellen. Nicht Ansätze zur Bewältigung der tiefgreifenden Versorgungskrise und deren Elendsfolgen stehen auf dieser Agenda, gießt die Trump-Regierung doch Öl ins Feuer eines drohenden Bürgerkriegs, der angesichts einer Beteiligung rivalisierender äußerer Mächte zu einem Flächenbrand mit unabsehbaren Folgen für diese Weltregion eskalieren könnte.

Am Rande einer Pressekonferenz im Weißen Haus hat der als notorischer Brandstifter berüchtigte nationale Sicherheitsberater John Bolton offenbar gezielt den Verdacht genährt, die USA bereiteten eine Militärintervention in Venezuela vor. Auf einem Notizblock, den er so hielt, daß die handgeschriebenen Vermerke für Teilnehmer und Fotografen bestens zu lesen waren, stand neben einer kurzen Notiz zu den jüngsten Gesprächen mit den Taliban in Afghanistan in der zweiten Zeile "5000 Soldaten nach Kolumbien". Dieser Wink mit dem Zaunpfahl sorgte denn auch für große Beunruhigung und kursierende Spekulationen. Das Verteidigungsministerium wollte sich dazu auf Anfrage nicht äußern und verwies ans Weiße Haus. Von dort hieß es mit Blick auf die Bolton-Notiz knapp, aber vielsagend: "Wie der Präsident gesagt hat: Alle Optionen sind auf dem Tisch."

"Die Möglichkeit einer Militäreinmischung der USA in Venezuela deuteten mit unterschiedlichem Grad von Skrupellosigkeit viele in Washington an: Vom Präsidenten bis zu Vertretern seiner Administration", schrieb die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, in ihrem Facebook-Account. Zugleich verwies sie darauf, daß der Fernsehsender NBC unter Berufung auf drei hochrangige Pentagon-Mitarbeiter mitgeteilt habe, daß das amerikanische Oberkommando keine Militärs nach Kolumbien oder Venezuela entsende. Dennoch sei zu befürchten, daß eine Destabilisierung der Situation vom Territorium Kolumbiens aus angestrebt werde. Der kolumbianische Außenminister, Carlos Holmes Trujillo, erklärte dazu: "Was die Erwähnung von Kolumbien im Notizblock, den Mister John Bolton in den Händen hielt, angeht, sind uns der Sinn und die Ursache dieser Notiz nicht bekannt." [2]

Im offenen Machtkampf zwischen Präsident Nicolás Maduro und dem selbsternannten Interimspräsidenten Juan Guaidó haben neben den USA aktuell Kanada, Brasilien, Argentinien, Chile, Kolumbien, Costa Rica, Guatemala, Honduras, Panama, Paraguay, Peru, Georgien, Albanien, Israel, Australien und eine Reihe anderer Länder den Status Guaidós als Interimsstaatschef anerkannt. Deutschland, Frankreich, Spanien und Großbritannien haben Maduro ultimativ aufgefordert, innerhalb einer Woche freie und faire Wahlen auszurufen. Geschehe das nicht, wären sie bereit, Guaidó ebenfalls als rechtmäßigen Interimspräsidenten anzuerkennen. Hingegen halten Rußland, China, der Iran, die Türkei sowie Kuba, Bolivien und Nicaragua weiter zu Präsident Maduro. Diese ausgeprägte Polarisierung belegt, wie weit die Einmischung in die inneren Angelegenheiten Venezuelas bereits gediehen ist, das im schlimmsten Fall Gefahr läuft, Schauplatz eines weiteren Stellvertreterkriegs zu werden.

Nachdem Bolton bereits im Vorfeld die eingangs zitierte Drohung ausgesprochen hatte, kündigte die US-Regierung bei der Pressekonferenz Sanktionen gegen den Ölsektor Venezuelas an. Wie Finanzminister Steven Mnuchin mitteilte, richten sich diese gegen den staatlichen Ölkonzern PdVSA. Öl aus Venezuela dürfe zwar unter dem Sanktionsregime weiterhin eingekauft werden, die Zahlungen müßten jedoch auf Sperrkonten erfolgen. Die Regelungen sollen auch gewährleisten, daß US-Raffinerien, die direkt von Öllieferungen aus Venezuela abhängen, weiter betrieben werden können. Auch die US-Tochter von PdVSA, Citgo, soll weiter operativ bleiben, solange entsprechende Zahlungen auf Sperrkonten erfolgen und nicht der von den USA nicht mehr anerkannten Maduro-Regierung zufließen. [3]

Laut der US-Administration sollen die Sanktionen solange in Kraft bleiben, bis eine Übergangsregierung oder eine demokratisch gewählte Regierung im Amt ist. Auf diese Weise will Washington einerseits Maduro den Geldhahn zudrehen und andererseits Guaidó Zugang zu den Öleinnahmen verschaffen. "Ab diesem Moment übernehmen wir die Vermögenswerte unserer Republik im Ausland", triumphierte Guaidó. Präsident Maduro will die lebenswichtigen Öleinnahmen natürlich nicht kampflos preisgeben und hat eine Klage gegen die US-Sanktionen angekündigt. Mit dem Ölsektor ist die wichtigste Einnahmequelle des Landes betroffen, weshalb der Anspruch auf Citgo, die US-Tochter des staatlichen Ölkonzerns PDVSA, mit rechtlichen Schritten vor US-amerikanischen und internationalen Gerichten verteidigt werden soll. Die USA wollten den Venezolanern Citgo "rauben", erklärte Maduro. Dies sei "ein illegaler Weg". [4]

Die Trump-Administration ging frühzeitig mit harten Bandagen zu Werke, zumal sie sich ausnahmsweise beträchtlicher Rückendeckung seitens zahlreicher Regierungen Lateinamerikas, aber auch der EU erfreut. Nachdem die USA und eine Reihe anderer Länder Guaidó sofort als Interimspräsidenten anerkannt hatten, brach Maduro die diplomatischen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten ab und forderte die US-Diplomaten auf, innerhalb von 72 Stunden das Land zu verlassen. US-Außenminister Mike Pompeo weigerte sich jedoch, dieser Forderung nachzukommen. Wie er erklärte, verfüge Maduro nicht über die Vollmachten, eine solche Entscheidung zu treffen. Umgehend folgte eine erste Sanktion, mit deren Hilfe die US-Regierung die internationalen Geldflüsse nach Caracas stoppen will. "Der Winter kommt", schrieb der republikanische US-Senator Marco Rubio auf Twitter, womit er auf ein Untergangsszenario der Serie "Game of Thrones" anspielte. "Die Vereinigten Staaten haben die Kontrolle der amerikanischen Bankkonten der venezolanischen Regierung und der venezolanischen Zentralbank an den legitimen Interimspräsidenten Juan Guaidó gegeben." Als Maduro versuchte, bei der Bank von England den Gegenwert von 1,2 Milliarden Euro in Gold zu entnehmen, wurde dies abgewiesen. Die Bank habe auf Druck Washingtons gehandelt, berichtete der Sender Bloomberg TV. [5]

Da 96 Prozent der Staatseinnahmen Venezuelas aus dem Ölexport stammen, der zum überwiegenden Teil in die USA geht, haben die jüngsten Sanktionen verheerende Folgen für das südamerikanische Land. Wenngleich auch Öl nach China und Rußland ausgeführt wird, dient dies vor allem der Begleichung von Schulden. Peking und Moskau haben Caracas mit Krediten vor dem Staatsbankrott bewahrt, wobei Experten schätzen, daß Rußland und der Ölkonzern Rosneft Venezuela seit 2006 Kredite in Höhe von mindestens 17 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt haben. Noch größer soll das Engagement der Chinesen sein. Neben geopolitischen Erwägungen sind es also auch die gesicherten Öllieferungen aus Venezuela, die Rußland und China veranlassen, an Maduro festzuhalten.

Da sich die Lebensverhältnisse in Venezuela dramatisch verschlechtert haben, sind mehr als drei Millionen Menschen vor dem Elend in andere Länder wie insbesondere Kolumbien geflohen. Während die Bevölkerungsmehrheit den Gürtel immer enger schnallen muß, bestellt eine Oberschicht per WhatsApp völlig überteuerte Lieferungen vom Schwarzmarkt in die Tiefgaragen ihrer streng gesicherten Luxusappartements. Die Regierung hat offenbar die Goldreserven weitgehend aufgebraucht und verfügt nur noch dank des Ölexports über geschrumpfte Devisen, um günstige Lebensmittelpakete bereitzustellen, die aber bei weitem nicht ausreichen. Daß die US-Regierung von Donald Trump nun auch noch die Erlöse aus dem Ölgeschäft blockieren will, zeugt von ihrer absoluten Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Menschen in Venezuela, deren Protest sie skrupellos okkupiert und instrumentalisiert. Um die politische Führung in Caracas zu stürzen, eine US-hörige Administration zu etablieren und auch noch den letzten verbliebenen Gedanken an eine sozialistische Gesellschaft zu Grabe zu tragen, verschärft sie das Elend der venezolanischen Bevölkerung und verpreßt damit die sozialen Konflikte zu einem Pulverfaß, das zur Explosion drängt.


Fußnoten:

[1] web.de/magazine/politik/venezuela-krise/us-militaereinsatz-venezuela-boltons-notiz-zettel-naehrt-spekulationen-33537726

[2] de.sputniknews.com/politik/20190129323751865-soldaten-kolumbien-sacharowa-bolton/

[3] www.n-tv.de/politik/Bolton-loest-Spekulationen-zu-US-Militaereinsatz-aus-article20832348.html

[4] www.spiegel.de/politik/ausland/venezuela-nicolas-maduro-will-gegen-us-sanktionen-vorgehen-a-1250445.html

[5] www.welt.de/politik/ausland/article187851778/Venezuela-Ob-es-Maduro-gefaellt-oder-nicht-die-Machtuebergabe-ist-schon-im-Gange.html

30. Januar 2019


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