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HEGEMONIE/1829: Irak Iran - USA und übrige im Vorkrieg um Ressourcen ... (SB)



Soleimani war ein schädlicher General, der von den mobilisierten irakischen Arbeiter*innen und Jugendlichen gehasst wurde, genauso wie sie das gesamte korrupte Regime, das der Iran und die USA seit 2003 errichtet haben, zu hassen beginnen. Es ist jedoch nicht die Hand des Imperialismus, mit der die Ausgebeuteten dieses abartige Regime loswerden könnten. In diesem Sinne bleibt die Ermordung von Soleimani eine imperialistische Aggression und ist keineswegs eine gute Nachricht für die Arbeiter*innen und die Jugend. Es liegt an den Arbeiter*innen und den ausgebeuteten und unterdrückten Klassen, ihre Henker selbst loszuwerden.
Philippe Alcoy auf Révolution Permanente am 4. Januar 2020 [1]

Würde das Wort "Terrorismus" wie ein Wertpapier an der Börse gehandelt, dann rangierte es schon seit längerem auf Ramschniveau. Seine regierungsamtliche Inanspruchnahme zur Rechtfertigung von Mordanschlägen war stets ein leicht durchschaubares Manöver zur Erwirtschaftung einer Tötungslegitimation, die in der per Militärdrohnen durchgeführten Praxis der US-Regierung seit den Anschlägen des 11. September 2001 nicht umsonst mit rechtsförmigen Attributen wie "extralegaler" Hinrichtung eines "illegalen" Kombattanten gespickt wurde. Washingtons im gängigen Verständnis internationalen Rechts stets unerklärt gebliebener Globaler Krieg gegen den Terrorismus (GWOT) ist zur alltäglichen Praxis als rechtstaatlich und demokratisch firmierender Staaten geworden. Das Wortgeplänkel um die Frage, ob es sich bei der Ermordung des Generals der iranischen Revolutionsgarde, Kassim Soleimani, des zweithöchsten Kommandanten der irakischen Volksmobilmachungskräfte (PMF), Abu Mahdi al-Muhandis, sowie sieben weiterer Personen am 3. Januar in Bagdad um einen legalen Akt der Terrorismusabwehr oder ein illegales Vergehen des Staatsterrorismus handelt, ist dementsprechend müßig.

Selbst wenn ein Mitglied der Bundesregierung die US-Administration eines solchen Verbrechens bezichtigte, dann nur in Abstimmung mit einer durchdachten Strategie, die einen solchen Affront zuließe. Politik wird nicht mit vermeintlich unbedachten Äußerungen gemacht, sondern produziert die dem jeweiligen strategischen Entwurf adäquate Rhetorik im Nachvollzug, auch wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt wird, es gehe andersherum. So läßt der aufgeregte Wortschwall nach einem solchen Kriegsakt bestenfalls erkennen, ob sich etwa an der Position der Bundesregierung irgend etwas geändert hätte. Davon kann keine Rede sein, sie steht fest an der Seite der US-Administration, wie etwa Außenminister Heiko Maas zu erkennen gibt, wenn er die Ermordung Soleimanis mit dessen angeblich terroristischer Blutspur rechtfertigt. Die Frage, ob ein Terrorismusvorwurf zur Durchführung einer Hinrichtungsaktion auf frühere Taten bezogen sein könne oder nur rechtlich korrekt vollzogen werde, wenn die Abwehr unmittelbar drohender Gefahren bevorstehe, läßt absichtsvoll vergessen, daß das ganze Legitimationskonstrukt die Grenzen internationalen Rechtes längst hinter sich gelassen hat.

Das Insistieren auf die explizite Legitimation staatlicher Mordakte dient der Befestigung einer Rechtsordnung, die sich wie eine Nebelwand vor die exekutive Ermächtigung zum Kriege im jeweiligen Staatsinteresse schiebt. Mit dieser Politik des permanenten Ausnahmezustandes fahren die NATO-Staaten nur deshalb gut, weil keine der von ihnen angegriffenen Regierungen über die Mittel verfügt, es ihnen gleichzutun. Nun aufkommende Bedenken, daß US-Präsident Trump mit dieser Mordtat auch die Angreifbarkeit der BürgerInnen von NATO-Staaten in aller Welt erhöht habe, sind insofern irrelevant, als die Politik der extralegalen Hinrichtungen seit langem von den europäischen NATO-Verbündeten der USA als auch der mit Israel zusammenarbeitenden Staaten für legitim erachtet wird.

Trump eignet sich mit seiner aggressiven Sprache und seinem unverstellten Eigennutz besonders gut als Zielscheibe der Kritik, doch wie im Fall der EU-Staaten, die bislang noch jeden Aggressionsakt der US-Regierung ex- oder implizit gutgeheißen haben, trägt die politische Opposition in Washington erhebliche Mitverantwortung für die Willkür im Weißen Haus angeordneter Aggressionsakte. So wurde der National Defense Authorization Act (NDAA), der 738 Milliarden Dollar für Verteidigungsausgaben freisetzt, am 21. Dezember mit der Mehrzahl der Stimmen der Opposition der Demokraten im Senat wie Repräsentantenhaus verabschiedet. Er heißt die Waffenverkäufe an Saudi-Arabien auch zu Verwendung im Jemenkrieg gut, bestätigt die Fortsetzung der Wirtschaftssanktionen gegen Syrien, den Iran und Rußland und ermächtigt den Präsidenten, Krieg gegen den Iran auch ohne Zustimmung des Kongresses zu führen [2].

Kurz gesagt, die Eskalation des Krieges gegen den Iran ist ein Projekt, das US-amerikanische Administrationen seit vielen Jahren genauso zielgerichtet verfolgen wie die Hofierung des Verbündeten Saudi-Arabien, obwohl - oder gerade weil - die Finanzierung islamistischer Milizen von Al Quaida über Al Nusra bis zum Islamischen Staat dort stets in freizügigen Händen war. Sich mit islamistischen Fußtruppen indirekt freizuhalten ist eine Konstante US-amerikanischer Kriegspolitik in der Region spätestens seit den Anschlägen auf New York und Washington vor 19 Jahren und wird durch Tötungsakte wie die Hinrichtung Osama bin Ladens nicht widerlegt. Die Flexibilität, die US-Regierungen im instrumentellen Umgang mit AkteurInnen und Administrationen des Nahen und Mittleren Ostens an den Tag legen, bestätigt nur, daß es sich beim direkten Weg zum Verständnis der jüngsten Eskalation am Persischen Golf empfiehlt, die Rechtsfrage dort zu belassen, wo sie ihrer legitimatorischen Funktion nach hingehört, beim Verwischen von Fußspuren und Aufbauen alternativloser Sachzwänge.

Nicht minder konstant ist das Interesse dieser und vorheriger US-Regierungen, in der ölreichen Region unter allen Umständen den Stiefel in der Tür zu halten. Die Kontrolle über die Förderung oder auch das Versiegen der Produktion dort besonders leicht verfügbarer fossiler Energie war stets wesentlicher Bestandteil des Aussteuerns von Leistungsbilanzdefiziten wie -überschüssen und ihrer Finanzialisierung in Form von Krediten und US-Staatsanleihen. Das berühmte System der Petrodollars trägt auch heute noch dazu bei, daß die in die Vereinigten Staaten importierten Güter und Waren zu einem Verbrauchsniveau führen können, das die Gut- und Besserverdienenden des Landes an die Spitze konsumistischer Freuden und entsprechender ökologischer Verbrauchsintensität setzt [3].

Tatsächlich hat US-Präsident Trump mit der ihm eigenen Eskalationsdynamik dem Klerikalregime in Teheran einen großen Gefallen getan. Die im Iran als auch im Irak wochenlang aufgeflammten und mit großer Brutalität niedergeschlagenen sozialen Proteste haben ihr Momentum vollständig verloren. Die für die soziale Verelendung im Irak und Iran durch ihre Kriegführung und Sanktionspolitik mitverantwortlichen USA haben die Wut der Bevölkerung auf sich gezogen und damit auch innere Fronten wie den irakischen Widerstand gegen die iranische Dominanz im eigenen Land überdeckt. General Soleimani war als befehlshabender Offizier maßgeblich für die Niederschlagung der Proteste im Irak verantwortlich. Dabei wurden rund 15.000 Menschen zum Teil schwer verletzt, so etwa durch direkt auf sie abgefeuerte Blendgranaten, die sich in einigen Fällen in die Augenhöhle bohrten und dort weiterbrannten. Mindestens 400 DemonstrantInnen wurden im Irak durch proiranische Sicherheitskräfte und iranische Einheiten umgebracht.

Auch bei den Mitte November ausgebrochenen Protesten im Iran, die durch eine Erhöhung des Benzinpreises von bis zu 300 Prozent ausgelöst wurden, kam es zu mindestens 200 Toten, zahlreichen Verletzten und über 10.000 Verhaftungen. Gegen Aufständische werden immer wieder Todesstrafen verhängt, wie der Iran überhaupt für eine besonders rigide Hinrichtungspraxis bekannt ist. Die hierzulande mitunter aufgestellte Behauptung, alle derartigen Erhebungen seien von ausländischen Geheimdiensten gesteuert, ignoriert die massiven sozialen Mißstände im Land wie den Massencharakter derartiger Erhebungen. Im Endeffekt wird mit diesem Argument die Repression eines patriarchalen Klerikalregimes legitimiert, das selber stets darauf bedacht ist, sozialen Widerstand als von außen gesteuerten Verrat an der nationalen Einheit zu brandmarken, und die Relevanz der weltweiten Welle sozialer Aufstände einem Herrschaftsdiskurs unterworfen, der keine Menschen mehr kennt, sondern nur noch Nationen.

Wo man hinschaut, in diesem Konflikt haben alle Akteure blutbesudelte Hände, das gilt auch für Großbritannien, Frankreich und Deutschland, die den ehrlichen Makler geben, der sie niemals waren. Insbesondere die beiden europäischen Kolonialmächte, aber auch frühere Bundesregierungen wie die eines Kanzlers Schröder und Vizekanzlers Fischer, haben aktiven Anteil an der sozialen Zerstörung der irakischen Gesellschaft durch das UN-Embargoregime und die daraus resultierende Stärkung der Herrschaft des Diktators Saddam Hussein gehabt. Ebensosehr sind sie an der Isolation des Irans beteiligt, der als regionale Mittelmacht den neokolonialen Ambitionen der EU-Staaten in der Region im Wege steht.

Was die irakische Bevölkerung seit dem zweiten Golfkrieg 1991 zu erleiden hatte, ist in den Maßstäben bürgerlichen Lebens in der Bundesrepublik nicht nachzuvollziehen. Die Zerstörung der zivilen Infrastrukturen des Landes, die Aufhebung jeglicher sozialen Sicherheit und der antifeministische Rollback zurück unter den Schleier in demjenigen arabischen Staat, der sich technologisch und sozial am meisten dem westlichen Vorbild angenähert hatte, ist ein Vorzeigestück des westeuropäischen und nordamerikanischen Neokolonialismus von besonders grausamer Art. Was nun im Iran fortgesetzt werden soll, richtet sich in allererster Linie gegen die in diesen Staaten lebenden Bevölkerungen. In einem sind sich alle daran beteiligten Regierungskteure einig - niemals dürfen die Menschen das Heft des Handelns in die eigene Hand bekommen.

Sie durften es nicht im selbständigen Kampf gegen das Regime Saddam Husseins, wie die Niederschlagung der Aufstände vom März 1991 durch dessen Gewaltapparate zeigte, die von den siegreichen US-Streitkräften nicht unterstützt wurden. Das anschließend erwirkte Waffenstillstandsabkommen überließ dem Bagdader Regime die Verfügungsgewalt über alle Repressionsmittel, mit denen die innere Stabilität des Landes mit Waffengewalt bis zu seiner vollständigen Eroberung 12 Jahre später gewährleistet wurde. Sie dürfen es auch heute nicht, wie die objektive Stärkung der Staatsgewalt in Teheran durch die äußere Aggression zeigt, mit deren Einfluß alle oppositionellen Kräfte im Lande leicht assoziiert und als verräterisch stigmatisiert werden können. Um antagonistische Entwicklungen in der Region zu verhindern, die den Einfluß imperialistischer Staaten vollends zunichte machten, kooperieren diese auf nur scheinbar paradoxe Weise mit ihren politischen Gegnern mehr als mit den Menschen, die sich von klerikaler und oligarchischer Herrschaft befreien möchten. Im Zweifelsfall wird sozialer Widerstand zum Preis massenhafter Vernichtung unterdrückt, dafür ist die Entwicklung im Irak und im Iran seit 40 Jahren beispielhaft.


Fußnoten:

[1] in deutscher Übersetzung:
https://www.klassegegenklasse.org/es-besteht-nicht-nur-die-gefahr-einer-eskalation-sondern-auch-die-reale-gefahr-eines-krieges-zwischen-den-usa-und-dem-iran/

[2] https://www.counterpunch.org/2020/01/01/happy-new-year-riyadh/

[3] https://www.counterpunch.org/2020/01/06/america-escalates-its-democratic-oil-war-in-the-near-east/

6. Januar 2020


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