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HERRSCHAFT/1421: Schweden macht Atomausstieg rückgängig (SB)



Schweden steigt wieder in die Atomkraft ein. Die Koalitionsregierung des konservativen Ministerpräsidenten Fredrik Reinfeldt kündigte an, daß die zehn Reaktoren an den drei schwedischen Standorten durch neue ersetzt werden können. Damit endet das 1980 vom Reichstag beschlossene Verbot von Reaktorneubauten. Bislang diente Schweden als großes Vorbild Deutschlands für den Atomausstieg. Aber eigentlich war das Land nie wirklich ausgestiegen - sollte es auch darin Vorbild sein?

Nach dem Beinahe-GAU 1979 in Harrisburg haben die Schweden per Volksabstimmung entschieden, aus der Atomenergie auszusteigen. Seitdem wurde jedoch nur das Kraftwerk Barsebäck bei Malmö abgeschaltet - dem Volkes Wille wurde nur dem Anschein nach Genüge getan. Ähnliches gilt für Deutschland. Eine Volksabstimmung war hierzulande zwar nicht vorgesehen, aber das Volk hat mit den Füßen abgestimmt, die Grünen in den Bundestag gewählt und schließlich an die Regierung gebracht.

Und dennoch, unter dem realo-grünen Umweltminister Jürgen Trittin und dem sozialdemokratischen Industriekanzler Gerhard Schröder verwandelte sich der sogenannte Atomausstieg irgendwo zwischen Kaffee und Keksen an den Verhandlungstischen mit den Wirtschaftsbossen in eine Bestandsgarantie für die laufenden Anlagen. Die Kraftwerksbetreiber hatten gar nichts dagegen, daß sie ein paar ältere Meiler abschalten mußten, dürfen sie doch die Restlaufzeiten der bestehenden Anlagen auf dem Papier so verschieben, daß die Kraftwerke bis in die nächste Legislaturperiode hinübergerettet werden. Die Chancen auf eine dann unionsgeführte Regierung, die aus dem Ausstieg aussteigt, stehen nicht schlecht.

Was hatten Atomkraftgegner frohlockt, als in Deutschland "ihre" Grünen an den Schalthebeln der Macht saßen - was haben sich die Umweltschützer in Schweden gefreut, als ihre Regierung im Jahr 2006 ankündigte, daß das Land binnen 15 Jahren nicht nur vollständig vom Erdöl als Treibstoff, sondern auch von der Atomkraft verabschiedet werden soll. Schweden sollte der erste Industriestandort der Welt werden, der vollständig mit erneuerbaren Energien auskommt.

Diese Traumblase ist geplatzt. Es wird Zeit, daß sich die Deutschen und die Schweden wieder auf den Weg machen und ihre Regierungen dazu bringen, der teuren, zentralistischen, gesundheits- und umweltschädlichen Kernenergie endgültig den Garaus zu machen. Leider ist mit einer solchen Entwicklung nicht zu rechnen. Die Menschen gehen für Lohn und Brot auf die Straße, aber nicht für eine strahlenfreie Umwelt oder dezentrale Energiesysteme. Sie appellieren an die Regierenden und hoffen, bei ihnen Gehör zu finden. Der Sklave verlangt eine anständige Behandlung durch seinen Herrn. Wie vergeßlich muß ein Mensch sein, wenn er sein Anliegen ausgerechnet jenen vorträgt, die ihn in die mißliche Lage gebracht haben, aus der er zu entkommen trachtet?

Es hat den Anschein, als werde der schwedische Atomwiedereinstieg reibungslos über die Bühne gehen. In Deutschland wiederum dürfte nach den bevorstehenden Massenentlassungen und der Ausbreitung der Not noch in diesem Jahr mit keiner anderen Entwicklung zu rechnen sein. Die Kernenergie eignet sich wie keine andere Energieform als Vorwand zum Ausbau der staatlichen Sicherheitsarchitektur. Insofern passen die festungsartig geschützten Kernkraftwerke in die gegenwärtig anlaufende Ära der umfassenden zentralen Organisation und Sicherung des wachsenden Heeres an Überflüssigen.

In einer Gesellschaft, in der die Freiräume der Menschen systematisch eingeschränkt werden, darf es selbstverständlich keine auch nur näherungsweise autarken Energiesysteme geben. Wären sie doch logische Konsequenz einer sich tendenziell der Vollverfügbarkeit und staatlichen Totalobservation widersetzenden Lebensform.

5. Februar 2009