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HERRSCHAFT/1476: Vom Nutzen der "Dienstwagenaffäre" für die SPD (SB)



Was wäre die SPD ohne Dienstwagenaffäre? Paradoxerweise wäre es ohne diesen Schlag ins Kontor kaum noch vorhandener Glaubwürdigkeit noch offenbarer geworden, daß sie jeden programmatischen Halt verloren hat, der ihr eine als Zuwachs an Wählerstimmen manifest werdende Unverwechselbarkeit garantierte. Wäre die Posse um die Reise der Gesundheitsministerin nicht gewesen, dann wäre die SPD noch weniger in der Lage, Aufmerksamkeit für das Anliegen zu erwecken, ihr Fähnchen eine weitere Legislaturperiode in den Wind herrschender Interessen zu hängen. So piefig die Empörung über Ulla Schmidts Extravaganz angesichts der im Gange befindlichen gesellschaftlichen Umverteilung ist und so opportunistisch das Krisenmanagement des Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier ausfällt, wenn er sich der durch Springers Blätter tönenden Vox populi beugt, so bescheiden ist das, was die Regierungspartei SPD aufbringt, um über ihren neoliberalen Schatten zu springen. Die nun gegen sie gerichtete Kampagne hat in ihrer Maßlosigkeit vielleicht den Vorteil, Wähler allein aus Protest gegen diesen Affront mobilisieren zu können.

Weiter wie bisher für "Stabilität", sprich Herrschaft, sorgen, schmackhaft gemacht mit kleinen sozialpolitischen Handreichungen, die die großen Einschnitte nach der Wahl nur unwesentlich abmildern werden, lautet die Devise einer Sozialdemokratie, die entscheidenden Anteil an der Durchsetzung kapitalistischer Vergesellschaftung und imperialistischer Globalstrategie hat. Daß Sozialdemokraten nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in ganz Europa abgewirtschaftet haben, ist das Ergebnis ihres auch durch die übernommene Sachwalterschaft für neoliberale Projekte nicht aufzuhaltenden Verfalls an politischer Relevanz. Als Moderatorin eines Klassenkompromisses, mit dem die Systemkonfrontation siegreich beendet werden sollte, ist die SPD nicht minder entbehrlich geworden denn als Zuträgerin einer Union, deren Marsch in den neokonservativen Sozialchauvinismus noch lange nicht am Ziel angekommen ist.

Nur angesichts der Orientierung der SPD an einer politischen Mitte, mit der immer unverblümter rechtes Terrain okkupiert wird, ist es möglich, daß die Bild-Zeitung gegenüber einer sozialdemokratischen Ministerin mit KBW-Biografie völkischen Klassenkampf simuliert: "Wir riechen ja nur den Auspuff. Wir sind ja nur Sklaven, Steuerzahler, Fußgänger, Hartz-IV-Empfänger, Trottel, Flaschensammler. Wir sind ja nur das Volk". Dieser von der jungen Welt (30.07.2009) zu Recht zum Zitat des Tages erhobene Kommentar der Bild-Zeitung vom Mittwoch zur angeblichen Dienstwagenaffäre dokumentiert, daß nicht nur Sozialdemokraten die Farben je nach Anlaß und Saison beliebig wechseln können. Die Adaption originär linker Positionen durch die Herolde des trotz Totsagung des ideologischen Gegners unverzichtbaren Antikommunismus zeigt, daß der Klassenkampf von oben dank des blinden Flecks, hinter dem das Gros der Bundesbürger jeglichen herrschaftskritischen Geist hat verschwinden lassen, bedenkenlos mit der Mimikry seines Gegenteils geführt werden kann.

Auch das ist das Verdienst einer Sozialdemokratie, die sich mit sprachregulativen Wechselbälgern wie dem "aktivierenden Sozialstaat" oder "Fördern und Fordern" um den Verlust jedes streitbaren Klassenbewußtseins verdient gemacht hat. Die phänomenale Schwäche der Linken inmitten einer Weltwirtschaftskrise, die die Argumente linker Kapitalismuskritik täglich verifiziert, ist zu einem Gutteil einer SPD geschuldet, deren ideologische Vordenker meinten, mit dem Anschluß der DDR endlich den eigenen historischen Auftrag entsorgen und sich an der Etablierung des Neofeudalismus der besseren Menschen beteiligen zu können. Der Wandel der Sozialdemokratie von einer kapitalismuskritischen Reformpartei zur eilfertigen Steigbügelhalterin der Kapitalmacht fügt sich nahtlos ein in das Ende einer Unbescheidenheit, der die herrschenden Verhältnisse schon aus prinzipiellen Gründen niemals unüberwindbar sein konnten.

31. Juli 2009