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HERRSCHAFT/1482: Die Ausgrenzung der Linken gegen die SPD kehren ... (SB)



Bei den möglichen Konstellationen zur Regierungsbildung in Thüringen und im Saarland werden große Koalitionen zwischen CDU und SPD nicht nur aufgrund des Rücktritts des thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus immer wahrscheinlicher. Die Politik der Ausgrenzung, die die SPD auf Bundesebene zur Linken betreibt, muß sie auf Landesebene zwar nicht einhalten. Doch die Glaubwürdigkeit, mit der SPD-Chef Franz Müntefering eine Regierungskolition in Berlin für diese Bundestagswahl ausschließt, wird durch sogenannte rot-rote Regierungen in den Ländern nicht eben gesteigert. Die ideologische Kohärenz der SPD verlangt im Grunde genommen, dieses Unvereinbarkeitsdogma so weitreichend wie möglich durchzusetzen. Ansonsten können die Sozialdemokraten immer weniger Gründe dafür angeben, wieso das klassisch sozialdemokratische Programm der Linken so verwerflich sein soll.

Das Dilemma der SPD ist beträchtlich, denn in beide Richtungen droht die weitere Abwanderung von Wählern zur Linken. Öffnet sie sich zu dieser Konkurrenz, dann muß sie als Bannerträgerin der Agenda 2010 und angesichts einer bald zwölf Jahre währenden Regierungsbeteiligung befürchten, daß die Politiker der Linken als überzeugendere Sozialdemokraten erscheinen. Bleibt sie bei der Strategie der Ausgrenzung und präsentiert sich als seriöse und erfahrene Sachwalterin des gesellschaftlichen Kompromisses, dann demontiert sie ihr sozialdemokratisches Profil noch mehr und verliert ebenfalls Wähler an die Linke.

Daher scheinen die Kräfte in der SPD, die schlicht versuchen, den erreichten Stand zu halten und mit den Stimmen der ihnen verbliebenen Stammwählerschaft weiterzuregieren, derzeit zu dominieren. Es handelt sich keineswegs nur um Vertreter der Parteirechten, die die Unvereinbarkeit mit der Linken postulieren. Im Deutschlandradio Kultur (04.09.2009) bekräftigte Björn Böhning, als Vorsitzender des SPD-Forums Demokratische Linke 21 ein ausgewiesener Parteilinker und in nicht wenigen Augen einer der künftigen Hoffnungsträger der SPD, daß ein Bündnis mit der Linken auf Bundesebene für die gesamte Legislaturperiode ausgeschlossen sei. Er sprach der Linken nicht nur ab, daß man mit ihr eine "verantwortliche Außenpolitik" und eine "verantwortliche Finanz- und Sozialpolitik" - er meinte vermutlich "verantwortungsvolle" - betreiben könne, sondern bezichtigte sie auch, sich "antieuropäisch, europafeindlich" aufgestellt zu haben.

Damit hat Böhning der Linken auf den wichtigsten Politikfeldern den Verweis erteilt, eine verantwortungslose Politik zu betreiben. Positiv gewendet bedeutet dies, daß der junge SPD-Politiker der von der Bundesregierung praktizierten Restauration finanzkapitalistischer Verwertungshebel gegenüber jeder Möglichkeit, die volkswirtschaftlich bedeutsamen Produktions- und Finanzmittel zu vergesellschaften, den Vorrang gibt, daß er einen schnellen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan ebenso verwirft wie einen Austritt der Bundesrepublik aus der NATO, und daß er den Lissabon-Vertrag mit seiner marktwirtschaftlichen, militaristischen und staatsautoritären Ausrichtung ohne Abstriche gutheißt. "Verantwortliches" Regierungshandeln bedeutet - und da ist das Urteil eines Parteilinken schwerwiegender als das eines Parteirechten - für die SPD, den Interessen des Kapitals zu genügen und deren Herrschaft durch einige symbolpolitische Verzierungen zu stabilisieren.

Die der Linken vorgehaltene finanzpolitische Unseriosität besteht ausschließlich darin, daß sie Umverteilung von oben nach unten verlangt, wo die SPD die Kosten der Krisenüberwindung weitreichend auf die arbeitende Bevölkerung und die erwerbslosen Bürger umlasten möchte. Diesem unsozialen Kurs entspricht die positive Einstellung Böhnings zur Kriegführung der Bundesregierung und zu einer EU, deren zentraler Integrationszweck in der Erschließung neuer Verwertungsmöglichkeiten in der Union wie in aller Welt besteht. Machtprojektionen nach außen gehen stets mit dem Abbau der Bürgerrechte im Innern einher. Die Ermächtigung der Exekutive zu verschärfter Durchsetzungsgewalt kommt auf EU-Ebene auf so unmerkliche wie effiziente Weise voran, daß den meisten Europäern der Verlust ihrer Freiheit erst bewußt werden wird, wenn die Entwicklung zum totalen Sicherheitsstaat nicht mehr umzukehren ist.

Bei Fragen von Krieg und Frieden, von Herrschaft und Unterdrückung geht es nicht um eine Nebensache, wie suggeriert wird, wenn dem Linken-Chef Oskar Lafontaine immer wieder vorgeworfen wird, mit der Forderung des sofortigen Abzugs der Bundeswehr aus Afghanistan auf unseriöse Weise Wahlkampf zu betreiben. Indem die SPD die von ihr auf Bundesebene zum Prinzip erhobene Unvereinbarkeit mit der Linken an den Themen Außen- und Sicherheitspolitik sowie europäische Integration festmacht, schafft sie für Linke, die es mit den Positionen ihrer Partei ernst meinen, ein dementsprechendes Ausschlußkriterium.

Warum auch sollte man die Ausgrenzung abweichender Positionen stets nur vom angeblichen Zentrum der Gesellschaft, der politischen Mitte, aus denken? Schon die soziale Ausgrenzung von immer mehr Bürgern belegt, daß ideologische Reinheitsgebote Ergebnisse machtpolitischer Manipulationen und nicht etwa demokratischer Willensbildung sind. Bei einer mehrheitlichen Ablehnung des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr, bei einer Bevölkerung, die als so unzuverlässig gilt, daß sie in der für Staat und Gesellschaft entscheidenden Frage der Übertragung souveräner Handlungskompetenzen an supranationale Organe nicht gefragt wird, repräsentiert die Politik der Linken auf jeden Fall mehr Bürger, als sie an Wählerstimmen erhält. Wichtige Gründe dafür liegen in der antikommunistischen Vergiftung des Meinungsklimas und der mit Konsumismus und Existenzangst umfassend gelungenen Entpolitisierung der Bevölkerung.

Um so folgerichtiger wäre es für die Linke, sich der SPD nicht, wie es derzeit Bodo Ramelow in Thüringen tut, an den Hals zu werfen, sondern den eigenen Einfluß auf die politische Meinungsbildung dadurch zu erweitern, daß konträr zur Hegemonie des Kapitals stehende Positionen durch Negation der Forderung, sie aufzugeben, gestärkt werden. Nur mit einem Profil, das, wenn schon nicht antikapitalistisch, dann doch zumindest kompromißlos sozial und antimilitaristisch verfaßt ist, kann die Linke auf gesellschaftsverändernde Weise in Erscheinung treten. Nur auf diese Weise kann sie die dem Parlamentarismus theoretisch unterstellte Möglichkeit, nicht nur den Konsens der Herrschenden zu reproduzieren, sondern auf verfassungsimmanente Weise grundlegende Veränderungen der Gesellschaft zu bewirken, praktisch in Angriff nehmen.

Andernfalls existierte zwischen dem Abschied von revolutionärer Gestaltungskraft und der Unterwerfung unter die Kapitalmacht kein Fußbreit Raum, von dem aus eine lebenswertere Zukunft zu erstreiten wäre. Um die Behauptung, man müsse Regierungsverantwortung übernehmen, um überhaupt gesellschaftlich wirksam zu werden, als Aufforderung zum Verzicht auf unkorrumpierbares autonomes Handlungsvermögen zu erkennen, reicht der Blick auf die Karriere der SPD von einer in der Arbeiterschaft verankerten Volkspartei zur Mehrheitsbeschafferin im Dienste neokonservativer Interessen.

4. September 2009