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HERRSCHAFT/1483: Krieg wird mit dem Blut und ohne die Stimme der Bürger geführt (SB)



Wie die Faust aufs erblindende Auge paßt die Einweihung des Ehrenmals für gefallene Bundeswehrsoldaten auf die Weigerung der Bundesregierung und der den Afghanistankrieg befürwortenden Parteien, die breite Ablehnung dieses Feldzugs in der Bevölkerung zur Kenntnis zu nehmen. Anstatt sich damit auseinanderzusetzen, werden Tod und Zerstörung als Dienst am Vaterland heroisiert. Die zeitgemäße ästhetische Verpackung dieses Appells zur Opferbereitschaft für die Interessen der Herrschenden kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß man 70 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs die Bevölkerung endlich wieder kriegsbereit machen und den dafür zu entrichtenden Blutzoll glorifizieren will.

Der angebliche Souverän wird auf kaum einem anderen Politikfeld so sehr durch die Organe der Exekutive überfahren wie im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik. Wo der kritische Einwand als Merkmal lebendiger demokratischer Kultur gewürdigt werden sollte, ist Politiker- und Selbstentmündigung erste Bürgerpflicht. So dekretiert Volkes Stimme aus dem Hause Springer:

"Bislang ist es gelungen, den Afghanistan-Einsatz weitgehend aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Die deutschen Soldaten, die am Hindukusch Leib und Leben riskieren, haben einen Anspruch darauf, daß es so bleibt!"
(Bild-Zeitung, 07.09.2009)

Wer hierzulande gegen den Krieg in Afghanistan demonstriert, wird so in die Nähe einer Neuauflage der Dolchstoßlegende gerückt. Wäre es tatsächlich so, daß die Bundeswehrsoldaten am Hindukusch die Sicherheit der Bevölkerung verteidigen, dann könnte es wohl kaum ein Problem sein, daß dies auch durch einen öffentlichen Diskurs im Vorfeld von Wahlen legitimiert wird. In Afghanistan werden jedoch wie in allen Kriegen, die sich nicht explizit und unbestreitbar als akuter Fall von Selbstverteidigung rechtfertigen lassen, Interessen durchgesetzt, die bei genauer Betrachtung gegen die Mehrheit der Bevölkerung und damit auch gegen die der angeblich so einsatzfreudigen Soldaten gerichtet sind.

Wie ein roter Faden zieht sich die Sonderstellung herrschaftlicher Entscheidungsgewalt über Krieg und Frieden durch die Geschichte moderner Nationalstaatsbildung und Demokratisierung. Zwar band man die Bevölkerung gerne mit viel Pathos in sogenannte Befreiungskriege wie die gegen die Vorherrschaft Frankreichs unter Napoleon Bonaparte ein, doch im Ergebnis machten die Herren die Nachkriegsordnung zum Zwecke der Sicherung ihrer Interessen unter sich aus. Die Mobilisierung der Bevölkerung für den Krieg fand ohne ihre direkte politische Einbindung statt, hätte das doch bedeutet, ihr Sitz und Stimme bei der Gestaltung der anschließenden Friedensordnung geben zu müssen. So wurden die virulenten Klasseninteressen des Proletariats in einem nationalistischen Wahn ertränkt, der immer wieder zu dem Ergebnis führte, daß Arbeiter und Bauern starben, während Adel und Bourgeoisie ihre Schäfchen ins Trockene brachten.

Nach der letzten Kriegskatastrophe, von der die Deutschen unmittelbar betroffen waren, wurde die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik gegen den Willen von Millionen durchgesetzt, die zu Recht meinten, daß mehr als genug gelitten und gestorben worden war. Die Konstitution der Bundeswehr als "Parlamentsarmee" brachte zwar den theoretischen Fortschritt, daß sich eine parlamentarische Mehrheit neuen Kriegen verweigern könnte, doch haben politische und gesellschaftliche Ausgrenzungsmechanismen antikommunistischer Art wirksam dafür gesorgt, daß im Bundestag niemals Mehrheiten zustandekamen, die den Austritt aus der NATO oder den Ausschluß jeglicher Unterstützung für die Angriffskriege anderer Staaten hätten beschließen können. Die Dominanz nationaler Interessen und die imperialistische Logik, die Reproduktion der eigenen Gesellschaft mit aggressiven Mitteln zu sichern, konnten sich stets gegen diejenigen Bürger behaupten, die im angeblichen Feind einen von der Herrschaft des Kapitals nicht minder Betroffenen erkannten.

Es liegt auf der Linie des fortgesetzten Klassenkampfs von oben, daß die Militarisierung der EU durch den Ausschluß demokratischer Partizipation an Entscheidungen über Krieg und Frieden fortgeschrieben wird. Weder jetzt noch nach Verabschiedung des Lissabon-Vertrags ist das EU-Parlament in Fragen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitk (ESVP) berechtigt, Einspruch gegen Entscheidungen zur Kriegführung zu erheben. Das gleiche gilt für den Bundestag, der auch nach der vom Bundesverfassungsgericht verlangten Überarbeitung des Begleitgesetzes über Entscheidungen auf diesen Feldern lediglich unterrichtet werden soll. Es ist absehbar, daß die im Konsens sogenannter Demokraten ohnehin ausgehebelten Beteiligungsrechte des Bundestags mit der weiteren Verlagerung exekutiver Entscheidungen auf EU-Ebene null und nichtig werden.

So führt kein Weg daran vorbei, zusätzlich zur rechtlichen Bindung politischer Entscheidungen auf die Interessen zu sprechen zu kommen, aufgrund derer Krieg nicht nur zum Mittel, sondern zum Inhalt der Politik wird. Diese liegen hier wie anderswo in der sozialen Frage begraben, die in der Dimension der Außen- und Militärpolitik zu artikulieren mit allen Mitteln verhindert wird. Wer nicht dagegen streitet, von vermeintlich neutralen Faktoren wie dem Zwang zur Kapitalverwertung ausmanövriert und entmündigt zu werden, wird, wenn es um die Durchsetzung imperialistischer Interessen geht, auf dem bloßen Instanzenweg absehbar den Kürzeren ziehen.

8. September 2009