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HERRSCHAFT/1531: Solidarität mit griechischer Bevölkerung vs. deutsche Suprematie (SB)



Die angebliche Hilfe für Griechenland kam zustande nicht gegen die nationalchauvinistischen Aufwallungen, mit denen die Bundesbürger im Vorfeld der Entscheidung gegen jegliche Solidarisierung mit den griechischen Lohnabhängigen immunisiert wurden, sondern in ihrer folgerichtigen Anwendung auf die Stärkung europäischer Verfügungsgewalt Berlins. Das in den Mehrheitsmedien propagierte Zerrbild vom faulen Griechen, der sich in einem Ferienparadies ganzjährig die Sonne auf den Bauch scheinen läßt, während fleißige Arbeitsbienen im grauen Norden den Sieg der Exportnation im Standortwettbewerb erwirtschaften, schafft die Voraussetzung dafür, daß die innenpolitisch schwer durchsetzbare Refinanzierung der Staatschuld Griechenlands in ein Projekt nationaler Suprematie umgewidmet wird. Nun wird vollends deutlich, daß die von Bundeskanzlerin Angela Merkel eingeschlagene Marschrichtung, Griechenland nur unter härtesten Bedingungen Kredit zu gewähren, als Strategie konzipiert ist, den auf dem Rücken hiesiger Lohnabhängiger erwirtschafteten Vorteil deutscher Exportmacht in politischen Einfluß innerhalb der EU zu verwandeln.

Um davon abzulenken verweisen Regierungspolitiker gerne auf internationale Spekulanten. Wie diese Geld aus Geld schöpfen können, ohne daß die Regierungen der Industriestaaten die Rahmenbedingungen für das Gelingen ihrer Geschäfte setzen, bleibt offen. Der postulierte Sachzwang, der "Hilfe" nicht primär zum Nutzen der "Pleite-Griechen", sondern dem größeren Ganzen des Euro und seines politischen Fundaments EU erforderlich machte, bleibt numinos. Weder Politiker noch Journalisten haben Interesse zu erklären, wie sehr ihr eigenes Wohlergehen vom Prosperieren der Kapitalmacht abhängt. Sich kritisch gerierende Ausfälle über den "Neoliberalismus" oder den "Raubtierkapitalismus" suggerieren einen Widerspruch zwischen Staat und Kapital, der zumindest auf die Funktionseliten beider Lager nicht zutrifft. Ihr Interesse liegt in der Aufrechterhaltung einer Verwertungsordnung, in der die Lasten von oben nach unten verteilt werden, während das elementare Aufbegehren gegen dieses Gewaltverhältnis mit den ihm eigenen Mitteln unterdrückt wird.

So wird die massive soziale Hungerkur, die der griechischen Bevölkerung durch die Gläubigerstaaten und -institutionen auferlegt wurde, als gerechte Strafe für einen unsoliden Lebenswandel ausgewiesen, der nur mit Härte und Disziplin überwunden werden kann. Der offenkundige Widerspruch, zum einen pekuniäre Interessen globaler Investoren zu postulieren, für deren Folgen griechische Erwerbstätige nicht das mindeste können, um zum andern unter dem Vorzeichen einer levantinischen Nationalpathologie ein geschlossenes System zu unterstellen, für dessen Zustand allein die darin lebenden Akteure zuständig seien, verschwindet im vermeintlich selbstregulativen Marktgeschehen.

Ob "die Märkte" eher negativ als räuberische Beutetiere, die nichts als den eigenen Hunger kennen, oder eher positiv als das Allgemeine der Investoren, die die Weltwirtschaftskrise mit notwendigem Kapital befeuern, ausgewiesen werden, sie bleiben ein abstraktes Regulativ, dem sich die Nationalökonomien nachzuordnen haben. Gleichzeitig wird diese nicht zu hinterfragende Instanz ökonomischer Letztbegründung mit Behauptungen, man müsse für ihr "Vertrauen" sorgen oder ihre "Nervosität" beschwichtigen, personalisiert und psychologisiert. Kapitalistisches Wirtschaften erscheint als moderner Volksmythos, als Walten undurchschaubarer Kräfte, denen sich der Mensch auf Gedeih und Verderb zu unterwerfen hat. Nur so läßt sich erklären, daß an Arbeiter und Ewerbslose strengste Maßstäbe der Rechtschaffenheit gelegt werden, während Personen und Körperschaften, denen die Macht zugeschrieben wird, ganze Volkswirtschaften in den Ruin treiben zu können, bar jeder Verpflichtung bleiben, die schwerwiegenden Folgen ihres Tuns zu legitimieren.

Keinesfalls darf die Erkenntnis um sich greifen, daß die politischen Akteure aufs innigste mit der Kapitalmacht kollaborieren, der sie in Gestalt "der Märkte" angeblich nicht minder ausgeliefert sind als der einfache Arbeiter. Den von Partikularinteressen dominierten Charakter des von ihnen repräsentierten politischen Systems einzugestehen bedeutete, den unterstellten Antagonismus von Staat und Kapital zugunsten des Gemeinwesens aufzulösen, das zu schützen Merkel als erste Pflicht ihres Amtes bekräftigte, um das sogenannte Rettungspaket für Griechenland zu rechtfertigen. Da sie jedoch in erster Linie Kredite deutscher Banken und Hegemonialinteressen deutscher Eliten rettet, trifft das negative Urteil über die griechische Bevölkerung auch alle Bundesbürger, die in der neokonservativen Offensive als "unproduktiv" gebrandmarkt werden.

Auch sie leben "über ihre Verhältnisse" und sollen gefälligst stillhalten, wenn man sie ausnimmt. Wer gegen Sozialkürzungen kämpft, wenn behauptet wird, es gehe darum, die Nation durch Einsparungen zu retten, erweist sich als verantwortungslos und schlimmeres. Derart stigmatisiert sollen Erwerbstätige und Erwerbslose klaglos Verluste an materieller Lebensqualität und -sicherheit hinnehmen, ohne daß ihre Inpflichtnahme für die Vorteile nationaler wie globaler Kapitaleigner zu einem Politikum wird, das die herrschenden Verhältnisse in Frage stellt. Diese unbestritten fortzuschreiben ist Sinn und Zweck der in dieser Verallgemeinerung und Ausschließlichkeit völlig irreführenden Bezichtigung, die Probleme "der Griechen" seien selbstverschuldet.

Wenn überhaupt Kritik an der sozialökonomischen Auszehrung griechischer Lohnabhängiger und Leistungsempfänger laut wird, dann beschränkt sie sich meist auf den Widersinn, trotz der daraus resultierenden Schwächung der Binnenkonjunktur die Entschuldung des Staatshaushalts bewältigen zu wollen. Die Zumutung, eine ohnhin nie besonders gut verdienende Bevölkerung materieller Not auszusetzen, um die Interessen griechischer Oligarchen und deutscher Investoren zu sichern, als ökonomisches Gewaltverhältnis zu bestimmen, fällt selbst Politikern der Partei Die Linke schwer. Der klassenkämpferische Charakter dieser Auseinandersetzung bleibt unerwähnt, weil er sich nicht auf dieses kleine, immer wieder von äußeren Kräften heimgesuchte Land beschränken läßt, sondern die Frage nach der Zukunft aller Menschen aufwirft, die über kein nennenswertes Eigentum und keine privilegierte Stellung verfügen.

Das Einschwören der Bundesbürger auf nationalchauvinistische Selbstgerechtigkeit ist als starkes Gegenmittel gegen jegliche Solidarität mit der griechischen Bevölkerung gedacht, gerade weil es dafür allen Anlaß gibt. Außerhalb des symbolpolitischen Raumes folgenloser Meinungsbekundungen sollen weder hier noch dort Forderungen artikuliert werden, die die Lebensrechte der Menschen gegen die Interessen der Kapitaleigner stellen. Das weitgehende Ausbleiben aktiver Solidaritätsbekundungen selbst in den Gewerkschaften oder, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, in der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke kann von den Herrschenden nur als Ermutigung aufgefaßt werden, die Umverteilung von unten nach oben unbeirrt fortzusetzen.

Um so unverhohlener fordern die Regierungsparteien, künftig bei der Rettung überschuldeter Staaten vor dem Bankrott Sanktionen zu erwirken, die etwa die Aussetzung von Stimmrechten auf EU-Ebene oder von Transferleistungen aus EU-Töpfen betreffen. Einschnitte in die Hoheitsrechte und Deklassierungen im Rahmen supranationaler Gremien sind Maßnahmen, mit denen volkswirtschaftliche Probleme in politische Verfügungsgewalt zwischen Staaten umgemünzt werden, die als völkerrechtliche Subjekte gleichgestellt sein sollten. Kommt es zu einer entsprechenden Vertragsänderung, dann reproduziert sich das Zwangsverhältnis, das Erwerbslosen in der Bundesrepublik durch Hartz IV aufoktroyiert wird, auf zwischenstaatlicher Ebene. Wer wollte sich noch daran erinnern, daß die europäische Einigung einst mit humanistischen Werten begründet wurde, wenn sie sich als Werkzeug imperialistischer Politik erweist?

7. Mai 2010