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HERRSCHAFT/1546: Im "langen Krieg" ... US-Bürger haben keinen Grund zu feiern (SB)



Der "lange Krieg", den die US-Regierung unter George W. Bush ausgerufen hat, wird von seinem Nachfolger Barack Obama mit anwachsender Intensität fortgesetzt. Was nach dem 11. September 2001 begann, ist von Anfang an über die unterstellte Absicht, in Afghanistan die angeblichen Attentäter Al Qaidas zu jagen, hinausgegangen. Der ausgewachsene Kolonialkrieg wird maßgeblich von den USA bestritten und geführt, die NATO-Verbündeten nehmen kaum mehr als die Rolle zur Legitimation erforderlicher Statisten ein. Die USA befinden sich im längsten Krieg ihrer Geschichte, und ein Ende ist nicht abzusehen. So haben die US-Bürger an ihrem Nationalfeiertag ebensowenig zu feiern wie an jedem anderen Datum.

Obama wurde unter anderem gewählt, um die Einbeziehung der eigenen Gesellschaft in den "langen Krieg" zu beenden. Gemeint waren die Ermächtigungsstrategien der Bush-Administration, die den Ausnahmezustand nach den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon dazu nutzte, demokratische Grundsätze der Gewaltenteilung und bürgerrechtliche Schutzgarantien auf breiter Ebene auszuhebeln. Spätestens mit dem von Bush und seiner grauen Eminenz, Vizepräsident Dick Cheney, auf unbefristete Dauer ausgerufenen Globalen Krieg gegen den Terrorismus sind die Vereinigten Staaten im postdemokratischen Zeitalter angekommen. Der seit jeher von Kapitalinteressen beherrschte US-Kongreß wurde auf einen Konsens der Kriegführung mit allen Mitteln eingeschworen, dem sich auch das Supreme Court weitgehend anschloß, so daß die Entrechtung nicht nur aus anderen Ländern stammender "illegaler feindlicher Kombattanten", sondern auch US-amerikanischer Staatsbürger seinen Lauf nehmen konnte.

Die Enttäuschung vieler Bürgerrechtler, die sich von der Wahl Obamas die Rücknahme der Willkürjustiz des Terrorkriegs versprochen hatten, über die Fortsetzung der unter Bush erwirkten Sonderrechte der Exekutive ist begründet, läßt aber auch einen naiven Glauben daran erkennen, daß sich ein US-Präsident tatsächlich gegen den Strom herrschender Interessen stemmen könnte. Obama hatte dies niemals vor, wie unter anderem seine Wahlkampftaktik zeigte, den Krieg in Afghanistan zu rechtfertigen, um sich vom Irakdebakel seines Vorgängers abzusetzen und dennoch keine Konfrontation mit den vom Militarismus profitierenden Eliten wagen zu müssen. Präsident der mächtigsten Kriegsmacht des Planeten kann niemand werden, der ihr Fundament, die kapitalistische Vergesellschaftung und ihre globale imperialistische Projektion, ernsthaft in Frage stellt. Obama hätte weder Zuspruch in den großen Medien noch finanzielle Unterstützung einflußreicher Fraktionen der US-Oligarchie erhalten, wenn er nicht gewillt gewesen wäre, diese Voraussetzungen der US-Hegemonie zu sichern.

Die unbegrenzte Administrativhaft für einige der in Guantanamo sitzenden Gefangenen, die fortgesetzten Folterungen in Bagram, die Drohnenangriffe auf mutmaßliche Terroristen in Pakistan sind Beispiele für eine Kriegführung, die zu ihrer Rechtfertigung Elemente strafrechtlicher Logik adaptiert und fließende Übergänge in die Rechtstaatlichkeit der Zivilgesellschaft aufweist. Diese weist in den USA anhand einer rassistischen Strafkultur, drakonischer Zeitstrafen unter unmenschlichen Haftbedingungen, folterähnlichen Mißhandlungen von Strafgefangenen eine Unversöhnlichkeit auf, die mit der moralischen Suprematie des Terrorkriegs identisch ist. Der Zusammenhang von äußerer Aggression und innerer Repression zeigt sich im Einsatz der gleichen schießfreudigen Söldnertruppen, die im Irak Fahrzeugskonvois sichern, bei sogenannten Naturkatastrophen wie den Überschwemmungen nach dem Hurrikan Katrina und der Verseuchung des Golfs von Mexiko durch ausströmendes Öl. Er wird in der Zonierung urbaner Lebenswelten manifest, wo sich die Reichen hinter Hochsicherheitszäunen ihrer Gated Communities verstecken, während das metropolitane Elendsproletariat in den Ruinenlandschaften seiner Ghettos ums Überleben kämpft.

Niemals war die Behauptung, die Besatzer Afghanistans, die im Monat Juni mit 102 gefallenen Soldaten die höchsten Verlustzahlen seit Kriegsbeginn zu verzeichnen haben, wollten dort ein modernes, demokratisches und freiheitliches Gesellschaftsmodell errichten, unglaubwürdiger als heute. Tatsächlich wird sie kaum noch erhoben, was allerdings bedeutet, daß sich dieser Krieg politisch noch schlechter begründen läßt als mit diesem Vorwand oder gar der Erklärung, man jage seit neun Jahren Osama bin Laden und gebe dafür Hunderte von Milliarden Dollar aus. Stellt man allerdings die Beherrschbarkeit des seit Beginn der Weltwirtschaftskrise verschärft geführten und mit der angekündigten Sparpolitik weiter eskalierenden Sozialkampfs in Rechnung, dann erscheint auch eine militärisch auf den ersten Blick aussichtslos wirkende Kriegführung als Ergebnis rationaler Planung.

Die Fortsetzung des weltweit geführten Terrorkriegs gibt der US-Regierung Vorwände und Machtmittel an die Hand, auf die sie in Anbetracht der krisenhaften Entwicklung der eigenen Gesellschaft nicht mehr verzichten kann. In den postindustriellen Verfallszonen nicht mehr rentabler Produktivität und den von Verarmung und Abwanderung gezeichneten Landstrichen einer kaum noch auf menschliche Arbeitskraft angewiesenen Agrarindustrie wächst ein Widerstand gegen die herrschende Verwertungsform heran, der sich nicht mehr mit der üblichen Ration an Unterhaltung und Propaganda beschwichtigen läßt. Wo die materielle Basis des Überlebens in Frage gestellt ist, verfangen bunte Bilder und patriotische Parolen nur noch bedingt. Obamas bürgerfreundliches und demokratisches Image hat sich als Trugbild einer politischen Notwendigkeit erwiesen, die zu personalisieren den Blick auf die systemische Logik der Herrschaftsicherung verstellt.

3. Juli 2010