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HERRSCHAFT/1568: Falsch oder richtig? Antiextremismus bedarf klarer Orientierung (SB)



Zum Ärger der NPD will die sächsische Landesregierung den Gesetzesentwurf zur geplanten Antiextremismuserklärung noch einmal überarbeiten, um ihren Wortlaut verfassungskonform zu machen. Der Verwaltungsrechtler Ulrich Battis von der Berliner Humboldt-Universität hatte in einer Anhörung vor dem Landtag Sachsens festgestellt, daß das vom Bundesfamilienministerium wie dem sächsischen Innenministerium vorangetriebene Gesetzesvorhaben, die öffentliche Förderung antifaschistischer Organisationen einzustellen, wenn diese mit angeblich extremistischen Gruppen zusammenarbeiteten, mit dem Grundgesetz weitgehend unvereinbar sei. Sachsens Innenminister Markus Ulbig von der CDU besteht auf die Einführung der sogenannten Extremismusklausel, um "Minderheiten, die nicht auf dem Boden der Verfassung stehen", nicht in den Genuß staatlicher Mittel gelangen zu lassen, will allerdings noch zu einigen kosmetischen Maßnahmen greifen, um zu erwartenden Verfassungsbeschwerden vorzubeugen.

Der NPD-Abgeordnete Jürgen Gansel quittierte das angebliche Einknicken der Regierung vor linken Extremisten mit der Bezichtigung, die CDU-Politiker bekämpften "nicht den linken Extremismus, sondern sie legen sich Polit-Nutten zu ihm ins Bett." Gemeint mit diesem verunstalteten Satz war die von ihm behauptete Finanzierung linker Projekte wie etwa des Leipziger Conne Island durch die Landesregierung, das diese Förderung im Rahmen des Freiwilligen Sozialen Jahres gewähren soll, obwohl das Zentrum in ihrem Verfassungsschutzbericht erwähnt werde. Laut Gansel halte sich die regierende CDU auf diese Weise die einzig wirklich nationale Konkurrenz vom Leibe.

Diese neonazistische Verschwörungstheorie ist der ideologischen Kriminalisierung linksradikaler Gruppen durch Leitkulturchristen allemal näher, als zwischen CDU und NPD ein so tiefer Dissens herrschte, wie beide Seiten behaupten. Mit der Einführung der Antiextremismusklausel wären CDU wie NPD hochzufrieden, wenn ihrer konsequenten Anwendung nicht noch Restbestände eines in den Augen staatsautoritärer Kräfte nur als Verfassungsfundamentalismus zu schimpfendes Grundrechteverständnisses entgegenständen. Da diese Gesinnungsprüfung ohnehin nur auf staatlich unterstützte Initiativen gegen rechts angewendet würde, kann ihre gesetzliche Verankerung als signifikanter Beweis für die allgemeine Rechtsdrift der bundesrepublikanischen Gesellschaft gelten. Hatten Rechtsparteien wie die NPD und DVU bislang das Monopol auf biologistische und rassistische Parolen gegen Ausländer insbesondere türkischer und arabischer Herkunft, so ist die Islamfeindlichkeit als manifester Ausdruck sozialrassistischer Einstellungen längst salonfähig geworden. Viele der Behauptungen des Bestsellerautors Thilo Sarrazin hätte die bürgerliche Presse früher nicht mit spitzen Fingern angefaßt, heute werden sie bereitwillig als "umstrittene" Aussagen, die man nicht unterdrücken dürfe, da sie die Gesellschaft insgesamt voranbrächten, kolportiert.

Hier von einem "Extremismus der Mitte" zu sprechen wird diesem Kampfbegriff zwar inhaltlich, nicht jedoch operativ gerecht. Der Extremismusbegriff dient ausschließlich der Markierung und Ausgrenzung politischer Minderheiten, die in der Bundesrepublik traditionell auf dem rechten Auge blind ist. Das gilt auch für die letzten 20 Jahre, in denen die radikale Rechte eine Blutspur von rund 140 Todesopfern gelegt und dennoch nicht mit der gleichen staatsschützerischen Intensität wie die radikale Linke verfolgt wurde. Der Antikommunismus erfreut sich trotz des Verschwindens der DDR und Sowjetunion bester Gesundheit, hat sich der soziale Konflikt mit dem Übrigbleiben des vermeintlich alternativlosen liberalen Kapitalismus doch deutlich verschärft. Die daraus resultierende Reorientierung an nationalistischen und kulturalistischen Werten und ihr menschenfeindlicher Auswurf in Form sozialchauvinistischer und rassistischer Stereotypien dient sich dem herrschenden Akkumulationsregime als Ventil für den konstitutiven Klassenwiderspruch an und wird dementsprechend akzeptiert bis gefördert.

Die bei der Verleihung des Sächsischen Förderpreises für Demokratie Anfang November an Initiativen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus zur Anwendung gelangte Extremismusklausel verlangt von den Preisträgern nicht nur das aus Zeiten des Radikalenerlasses sattsam bekannte FdGO-Bekenntnis, das die individuelle Freiheit, mit der gegebenen Gesellschaftsordnung einen Umgang der Nichteinmischung und Nichteinbindung zu pflegen, durch das Setzen einer positiven Gesinnungsnorm und die Einforderung ihrer aktiven Anerkennung einschränkt. Die für den Preis nominierten Initiativen sollten auch darauf eingeschworen werden, jegliche Zusammenarbeit mit angeblich verfassungsfeindlichen Gruppen einzustellen:

"Als Nominierte bzw. Preisträger des Sächsischen Förderpreises für Demokratie haben wir zudem im Rahmen unserer Möglichkeiten (Literatur, Kontakte zu anderen Vereinen/Trägern sowie Behörden, Referenzen, die jährlichen Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder etc.) und auf eigene Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls den Zielen des Grundgesetzes verpflichten. Uns ist bewusst, dass keinesfalls der Anschein erweckt werden darf, dass eine Unterstützung extremistischer Strukturen durch die Gewährung materieller oder immaterieller Leistungen Vorschub geleistet wird." [1]

Diese Verpflichtung, der sich das Alternative Kultur- und Bildungszentrum (AKuBiz) Pirna durch die Ablehnung des ihm zugedachten Förderpreises verweigerte, verwandelt antifaschistische Initiativen, die auf irgendeine Weise Staatsmittel in Anspruch nehmen, in ausführende Organe des Inlandgeheimdienstes, der darüber befindet, wer in diesem Land politisch ausgegrenzt wird. Der Verfassungsschutz tut dies zwar im Regierungsauftrag, handelt jedoch im Grundsatz antidemokratisch, wenn er Organisationen als Feind von Staat und Gesellschaft brandmarkt, die nichts anderes tun als die demokratischen und bürgerrechtlichen Normen des Grundgesetzes in emanzipatorischer Absicht vollständig in Anspruch zu nehmen. Einen herrschenden Interessen verpflichteten Charakter beweisen das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz auch dadurch, daß ihnen der "Extremismus der Mitte" so unverdächtig erscheint wie gegen das Grundgesetz verstoßende Forderungen etablierter Politiker etwa nach dem Einsatz der Bundeswehr im Innern oder präventiven Zwangsmaßnahmen gegen unbescholtene Bürger.

Die unter Androhung des Entzugs von Fördermitteln erfolgende Ausgrenzung linksradikaler Gruppen, welche nicht einmal das 1956 im Urteil zum KPD-Verbot vom Bundesverfassungsgericht definierte Kriterium für Verfassungswidrigkeit erfüllen, laut dem es für ein Parteiverbot "einer aktiv kämpferischen, aggressiven Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung" und der Absicht ihrer letztendlichen Beseitigung bedarf, wirkt auf die betroffenen Organisationen darüberhinaus in Form eines politischen Denkverbots. Der für die antifaschistische Praxis zentrale Zusammenhang zwischen Faschismus und Kapitalismus wird auf diese Weise zum Tabu erklärt, handelt es sich bei den staatlicherseits inkriminierten Antifaschisten doch in der Regel um Antikapitalisten. Das gleiche gilt für die grundlegende Frage nach der Bedeutung des Staats für die Herrschaft bestimmter Gruppen der Gesellschaft über die Mehrheit seiner Bürger.

Es ist mithin keine "lässliche Sünde", wie der Vorsitzende des Vereins "Gesicht zeigen!" Uwe-Karsten Heye im Deutschlandfunk auf die Frage meinte, wie er zu der von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder beabsichtigten Einführung der Antiextremismuserklärung stände [2]. Zwar sprach sich der ehemalige Sprecher der Regierung Schröder gegen die Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus aus, doch wollte er ebensowenig vom Extremismusbegriff lassen wie andere Organisationen, die die Bekämpfung des Rechtsextremismus zu ihrem Ziel erklärt haben.

Der in der Totalitarismustheorie verankerte Hegemonialanspruch des Extremismusbegriffs ist keineswegs nur gegen radikale Kräfte am rechten wie linken Rand der Gesellschaft gerichtet. In ihm artikuliert sich vor allem der Gültigkeitsanspruch einer neoliberalen Gesellschaftsdoktrin, die trotz aller Erschütterungen der kapitalistischen Verwertungspraxis als finaler Gesellschaftsentwurf propagiert wird. Die damit legitimierte Weltordnung bedient sich des antitotalitären Ideologems zur Rechtfertigung imperialistischer Übergriffe auf Länder, die sich der kapitalistischen Globalisierung aus welchen Gründen auch immer entziehen. Die Ökonomisierung aller gesellschaftlichen Fragen produziert Tausende von Toten, die einer Flüchtlingsabwehr der EU zum Opfer fallen, deren Sachwalter gleichzeitig weniger produktiven Volkswirtschaften anhand einer nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten organisierten Einwanderungspolitik die dort ausgebildeten Fachkräfte absaugen. Die physische Ausbeutung schreckt vor der biologischen Grundausstattung des Menschen nicht zurück, doch erfolgt der medizinaltechnokratische Zugriff auf seine Leiblichkeit unter bioethischer und antidiskriminatorischer Aufsicht. Zehntausende Menschen in aller Welt verhungern täglich, während hierzulande immense Mengen eßbarer Nahrung aufgrund von Vorschriften zur Lebensmittelsicherheit der Vernichtung preisgegeben, Erzeugung und Vertrieb von Agrarprodukten dem Primat der Marktwirtschaft und nicht dem realen menschlichen Bedarf unterworfen werden und selbst die Nutzung weggeworfener Lebensmittel kriminalisiert wird.

Die Beispiele für menschenfeindliche Praktiken, die von einer liberalen, humanistischen Werten verpflichteten Politik vollzogen werden, sind Legion und bedürfen dementsprechend starker Legitimationstrategien. Linke Aktivisten, die den Finger in diese Wunden legen, können vor dem Konstrukt eines Extremismusbegriffs nicht halt machen, wenn dieser, wie am Beispiel des vor zehn Jahren proklamierten "Aufstands der Anständigen" vorgeführt, Herrschaftspraktiken aggressiver Art legitimiert. Nachdem der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse "alle Deutschen" für den 9. November zur Teilnahme an einer Demonstration gegen rechte Gewalt aufgerufen hatte, marschierten die Spitzen von Staat und Gesellschaft unter dem Schutz der Polizei durch Berlin. Der völkerrechtswidrige Überfall der NATO auf Jugoslawien, eines der europäischen Länder, das von der Kriegsmaschinerie der Nazis besonders verheerend getroffen wurde, lag kaum mehr als ein Jahr zurück. Die Verabsolutierung des kapitalistischen Arbeitsprimats zu einer das allgemeine Lohnniveau senkenden Zwangsmaßnahme nahm in den Köpfen der Demonstranten bereits administrative Gestalt an. Die Etablierung dieser Staats-Antifa änderte nicht nur nichts am repressiven Charakter herrschender Verhältnisse. Im gleichen Atemzug, in dem sie dazu aufrief, den Anfängen zu wehren, begründete sie den dazu angeblich notwendigen, de facto Kapitalinteressen dienenden Ausbau des Sicherheitsstaats.

Mit Hilfe der amtlichen Extremismuskategorie gegen Nazistrukturen vorzugehen und dabei auf dem extremistischen linken Fuß erwischt zu werden ist Ergebnis der systematischen Aufhebung allen politischen Differenzierungsvermögens durch ein zivilreligiöses Werteverständnis, das darüber befindet, was falsch und richtig zu sein hat. Die dazu vorgegebene Norm ist in ihrer staatsapologetischen Absicht so pragmatisch wie in ihrer symbolpolitischen Artikulation dramatisch. Auf der Strecke der systematischen Bekämpfung herrschafts- und kapitalismuskritischer Positionen bleibt die qualitative Bestimmung gesellschaftlicher Verhältnisse, deren technologische, ökonomische und ideologische Produktivität anhand der historischen Gleichsetzung von Faschismus und Kommunismus zur alternativlosen Voraussetzung für Freiheit und Demokratie verklärt und zum Mittel ihrer Aufhebung eingesetzt wird. Die Verordnung einer Gesinnungsdoktrin nach Art der Antiextremismuserklärung zeigt, wie angreifbar ein Antifaschismus ist, der realpolitisch hervorbringt, was er als Negation kritischen Bewußtseins zu bekämpfen beansprucht.

Fußnoten:

[1] http://www.freitag.de/community/blogs/jayne/extremismusformel-vs-demokratieein-saechsisches-lehrstueck

[2] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1335383/

15. Dezember 2010