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HERRSCHAFT/1571: Kollaborateur par excellence - Machtkampf um Mohammed Dahlan (SB)



Die geheimdienstliche Unterwanderung, militärische Zersplitterung, ökonomische Bestechung und politische Spaltung gehört seit jeher zu den zentralen strategischen Ansätzen Israels zur systematischen und dauerhaften Schwächung der Palästinenser. Der seit Jahrzehnten durchgetragenen Doktrin, es gebe auf palästinensischer Seite keinen legitimen Verhandlungspartner, entspricht das permanente Schüren innerer Konflikte zu Lasten eines geschlossenen palästinensischen Widerstands. So hätte es nicht der von der Enthüllungsplattform WikiLeaks jüngst veröffentlichten Depesche bedurft, um davon auszugehen, daß Israel bei der Bekämpfung der Hamas felsenfest auf die palästinensische Autonomiebehörde von Mahmoud Abbas bauen kann. In einer Depesche der US-Botschaft in Tel Aviv vom 13. Juni 2007 wurde der Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, Juval Diskin, mit den Worten zitiert, die Palästinenserbehörde wisse, "daß die Sicherheit Israels für ihr Überleben im Kampf gegen die Hamas im Westjordanland entscheidend ist". Der Sicherheitsapparat der Behörde tausche daher mit Israel fast alle Erkenntnisse aus. [1]

Zu den prominentesten Akteuren der Kollaboration zählt Mohammed Dahlan, um dessen Einfluß derzeit ein erbitterter Machtkampf innerhalb der Fatah-Bewegung entbrannt ist. Deren Zentralkomitee hat soeben in Ramallah beschlossen, ihren früheren Anführer im Gazastreifen aus der Führungsriege zu verbannen und bis zum Abschluß eines innerparteilichen Ermittlungsverfahrens von der Teilnahme an den Sitzungen auszuschließen. Gerüchte über wachsende Spannungen zwischen Dahlan und Abbas kursierten bereits seit geraumer Zeit. Nun hat die Führung der Fatah erstmals bestätigt, daß gegen Dahlan ermittelt wird. Man wirft ihm vor, die Autorität von Abbas und anderen Mitgliedern des Zentralkomitees untergraben zu haben, die er als "inkompetent" bezeichnet haben soll. In palästinensischen Medien ist davon die Rede, daß die Herkunft von Dahlans Vermögen wie auch der Vorwurf geprüft werde, Dahlan habe versucht, eine Privatmiliz zu gründen. [2]

Mit Kontakten zur CIA und israelischen Geheimdiensten gehört der frühere Sicherheitschef und Innenminister zu den schillerndsten Figuren im Führungszirkel der Fatah. In der Vergangenheit galt er als Liebling des Westens und kommender starker Mann, weshalb der Ausgang des gegenwärtigen Machtkampfs ungewiß ist. In den 1990er Jahren stand der Gazastreifen faktisch unter der Kontrolle von Dahlans 20.000 Mann starker Sicherheitstruppe. Ebenso wie der ehemalige Sicherheitschef im Westjordanland, Jibril Rajoub, gehörte Dahlan dem engeren Führungszirkel Yasser Arafats an, der von seinen Kritikern der zügellosen Korruption wie auch der Folter von politischen Gegnern beschuldigt wurde. [3]

So groß war der Einfluß Dahlans, daß man dem Gazastreifen in dieser Periode den Beinamen "Dahlanistan" gab. Obgleich seine Sicherheitskräfte wegen ihrer Brutalität und den Folterpraktiken gefürchtet waren, nahm seine Reputation erst spürbar Schaden, als 1997 der sogenannte Karni-Skandal publik wurde. Wie damals zutage trat, zweigte Dahlan nicht weniger als 40 Prozent der Zölle und Gebühren, die am Übergang Karni zu entrichten waren, auf sein persönliches Konto ab.

Allerdings führte seine Forderung nach Reformen der Autonomiebehörde zu einem Zwist mit Arafat, der seine Ambitionen vorübergehend bremste. Sein Wunsch, Innenminister zu werden, erfüllte sich 2002 nicht, doch ernannte ihn Mahmoud Abbas ein Jahr später gegen den Willen Arafats zum Sicherheitschef. In der Folge versuchte Dahlan, sich als Kritiker Arafats zu profilieren, und obgleich seine persönliche Integrität des öfteren in Frage gestellt wurde, baute er seinen Einfluß in der Fatah systematisch aus.

Die Hamas gewann die palästinensischen Parlamentswahlen im Januar 2006 mit großer Mehrheit, da sich die Fatah angesichts ihres Machtmißbrauchs und ihrer Korruption in wachsenden Teilen der Bevölkerung verhaßt gemacht hatte. Das Ergebnis der demokratischen Wahl wurde jedoch von den Regierungen Israels, der USA und der europäischen Länder nicht anerkannt, die ein Sanktionsregime verhängten, um die von ihnen favorisierten Machtverhältnisse zu erzwingen.

Dahlan, der 2006 als Abgeordneter aus Khan Younis ins Parlament gewählt worden war, bezeichnete den Wahlsieg der Hamas als Katastrophe und drohte, er werde sie bis ans Ende ihrer Amtszeit jagen und alle Anhänger der Fatah, die es wagen sollten, sich an einer von der Hamas geführten Regierung zu beteiligen, "aufmischen und erniedrigen".

In Washington ist es kein Geheimnis, daß die US-Regierung den Sicherheitskräften der Fatah Geld für Waffen und Training zukommen ließ, das aufgrund gewisser Widerstände im Kongreß auf Umwegen über arabische Staaten mit pro-westlichen Regierungen floß. In einem Gespräch mit dem Magazin "Vanity Fair" bekundete Dahlan selbst, die Administration George W. Bushs habe seine Truppe aufgerüstet, um einen palästinensischen Bürgerkrieg zu provozieren. Diese Strategie habe sich jedoch als "Bumerang" erwiesen, weil nicht die Fatah, sondern die Hamas im Gazastreifen obsiegte.

Die Hamas bezeichnete Dahlan als "Kollaborateur der zionistischen Besatzer" und Handlanger des US-Geheimdienstes CIA. Sie warf ihm unter anderem vor, für einen versuchten Mordanschlag auf den früheren Regierungschef Ismail Haniyeh verantwortlich zu sein. Auch soll Dahlan im Einvernehmen mit der US-Regierung die Bemühungen Saudi-Arabiens konterkariert haben, eine Aussöhnung zwischen Fatah und Hamas herbeizuführen. Dahlan beschimpfte die Hamas als eine "Räuber- und Mörderbande" und kritisierte die Bildung einer Einheitsregierung unter Haniyeh als Ergebnis eines saudiarabischen "Diktats".

Nach der verheerenden Niederlage der Fatah in der von ihr herbeigeführten Machtprobe im Gazastreifen fiel Dahlan in der eigenen Partei in Ungnade. Im Oktober 2007 übte die Bush-Administration heftigen Druck auf die Autonomiebehörde aus, um seine Ernennung zum Stellvertreter von Mahmoud Abbas zu erzwingen. Wie aus Führungskreisen der Fatah verlautete, hätten die USA und mehrere europäische Länder klargestellt, daß sie Dahlan als Nachfolger an der Spitze der Autonomiebehörde wünschten. Im August 2009 kehrte Dahlan auf die politische Bühne zurück, als er auf einem Parteikongreß in das Zentralkomitee der Fatah gewählt wurde. Die Wahlen waren von Betrugsvorwürfen überschattet, die zu Massenaustritten in der Bewegung führten.

Die Liste der Untaten, die Dahlan nachweislich an Palästinensern begangen hat, ließe sich noch lange fortsetzen. Von einem Aktivisten, der in der ersten Intifada 1987 zu den aufstrebenden jungen Anführern gehörte, wofür er wiederholt ins Gefängnis geworfen und zeitweise sogar deportiert wurde, stieg er zu einem einflußreichen Insider auf, der an der geheimen Vorbereitung des Oslo-Abkommens beteiligt war. An der Seite Arafats kehrte er 1994 nach Gaza zurück und wurde mit der Führung der Sicherheitskräfte belohnt. Als die zweite Intifada ausbrach, lag Dahlans Glaubwürdigkeit unter den Palästinensern auf der Straße in Trümmern.

Jibril Rajoub, mit dem ihn eine Intimfeindschaft verband, erklärte 2003, daß Dahlan, wie jeder wisse, ein israelischer Agent sei. Fest steht, daß sich der frühere Sicherheitschef durch Korruption auf vielfältige Weise bereichert hat und heute über ein geschätztes Privatvermögen von mehr als 120 Millionen Dollar verfügt. Bekannt ist, daß er 2003 und 2004 eine Privatarmee im Gazastreifen unterhielt, die von US-Geheimdiensten ausgebildet und ausgerüstet wurde. Mohammed Dahlan ist ein reicher und nach wie vor einflußreicher Mann, der als Werkzeug Israels, der USA und der Europäer in Stellung gebracht wurde, um die Palästinenser dauerhaft zu spalten.

Anmerkungen:

[1] WikiLeaks: Israel und Abbas vereint gegen Hamas (21.12.10)
http://derstandard.at/1292462282200/WikiLeaks-Israel-und-Abbas-vereint- gegen-Hamas

[2] Ex-Palästinenser-Führer verbannt (29.12.10)
http://www.tagesschau.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2010/12/29/International/Ex- Palaestinenser-Fuehrer-verbannt

[3] Abbas entledigt sich seines Rivalen. Palästinenserpräsident stellt "Lieblings des Westens" kalt (29.12.10)
http://derstandard.at/1293369644412/Fatah-Abbas-entledigt-sich-seines- Rivalen

29. Dezember 2010