Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

HERRSCHAFT/1627: In Ägypten droht die Konterrevolution des konfessionellen Bürgerkriegs (SB)



Diversen Quellen zufolge wurde die gewaltsame Konfrontation zwischen staatlichen Sicherheitskräften und koptischen Demonstranten, bei denen letzte Nacht in Kairo 24 Menschen ums Leben kamen und über 200 verletzt wurden, von Übergriffen durch Schlägertrupps ausgelöst, die die Protestler, zu denen sich auch Muslime gesellt hatten, mit Steinen bewarfen. Wer den tödlichen Schuß auf einen Wachmann vor dem staatlichen Fernsehen abgegeben hat, der aus den Reihen der Demonstranten abgefeuert worden sein soll, ist bislang nicht aufgeklärt. Der anschließende Angriff der Sicherheitskräfte auf die Demonstranten soll mit großer Brutalität erfolgt sein. Drei getötete Soldaten stehen 21 toten Zivilisten gegenüber, was eher dafür spricht, daß sich die Protestler lediglich gegen die Angriffe der Sicherheitskräfte verteidigt haben.

Noch während die Kämpfe tobten, waren Sprechchöre zu vernehmen, die die Einheit zwischen muslimischen und christlichen Bürgern des Landes beschworen. Zweifellos haben auch die Kopten, die die Absetzung des Gouverneurs der Provinz Assuan forderten, weil dieser die Bestrafung der mutmaßlich aus religiösen Motiven agierenden Brandstifter unterlassen habe, die vor anderthalb Wochen eine koptische Kirche angezündet hatten, allen Grund dazu, den Fall der Erhebung gegen das despotische Mubarak-Regime ins Bodenlose eines konfessionellen Bürgerkriegs zu verhindern. Die an einer demokratischen Zukunft des Landes interessierte Bevölkerung Ägyptens dürfte sich in Anbetracht der mörderischen Kämpfe zwischen irakischen Schiiten und Sunniten klar darüber sein, wohin eine derartige Entwicklung führen könnte.

Insofern gehen auch die Stellungnahme der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton, die heute die Respektierung der Meinungs- und Glaubensfreiheit in Ägypten gefordert hat, wie die Wortmeldungen der EU-Außenminister, die die Diskriminierung der koptischen Minderheit beklagten, am Kern des Problems vorbei. Vom Sturz Mubaraks wurden die etablierten Funktionseliten in Staat und Gesellschaft kaum betroffen, sie sind weitgehend in ihren Positionen verblieben oder haben in Gestalt des Nationalen Militärrats sogar an Macht hinzugewonnen. Da die Dynamik der Aufstände sich nicht nur im Streben nach Freiheit und Demokratie gründet, wie hierzulande gerne behauptet wird, sondern die Revolution erst vollständig zu einer solchen würde, wenn der zentrale gesellschaftliche Konflikt in den Mittelpunkt der Konfrontation träte, haben diese Eliten guten Grund dazu, den sozialen Charakter der Proteste durch konfessionelle Motive zu verdrängen.

Wie der Krieg im Irak gezeigt hat, bedarf es dazu nur einiger gezielter Provokationsakte. So fungierte der Anschlag auf die Goldene Moschee in Samarra im Februar 2006 als Auftakt zu Massakern an Tausenden von Sunniten, die von schiitischen Todesschwadronen hingerichtet wurden, was in mörderische Kämpfe zwischen den bewaffneten Kräften der beiden islamischen Konfessionen mündete. Letztlich arrangierten sich große Teile des sunnitischen Widerstands gegen die US-Besatzer mit diesen, um sich besser gegen die schiitische Mehrheitsbevölkerung behaupten zu können. Beide Seiten gingen geschwächt aus dieser Auseinandersetzung hervor, während die Besatzungstruppen davon profitierten, nicht mehr vorrangiges Ziel der zahlreichen Anschläge, die den Irak jahrelang erschütterten, zu sein.

Damals hatte einer der sachkundigsten und renommiertesten britischen Nahostexperten, Robert Fisk, in der britischen Tageszeitung The Independent (29.04.2006) unter Verweis auf eine Quelle in den Sicherheitsbehörden erklärt, daß die USA "verzweifelt versuchen, einen Bürgerkrieg in Bagdad und Umgebung zu provozieren, um die eigenen militärischen Verluste zu reduzieren". Fisk belegte diese These mit dem Hinweis auf gut gesicherte Informationen über fingierte Anschläge.

Der damalige irakische Bauminister Jassem Mohammed Jaafar erklärte nach der Inspektion der zerstörten Goldenen Moschee, daß die fachmännisch ausgeführte Sprengung einer Vorbereitungszeit von mindestens zwölf Stunden bedurfte und nur von gut ausgebildeten Spezialisten zu leisten gewesen wäre [1]. In der Nacht vor dem Anschlag waren US-amerikanische Truppen und irakische Nationalgardisten in dem Viertel rund um die Moschee besonders aktiv. Sie sollen die Anwohner, deren Häuser und Läden unmittelbar an die Moschee grenzten, angewiesen haben, auf jeden Fall zuhause zu bleiben. Nur zehn Minuten, nachdem die US-Truppen den Bereich am frühen Morgen verlassen hatten, sei die Explosion erfolgt.

Der Versuch, die ägyptische Revolution auf die Schiene eines Religionskriegs zu schieben, um die demokratische Selbstbestimmung der Bevölkerung des Landes, die zwingend mit einer Veränderung der Klassenverhältnisse einherginge und die zudem unabsehbare Auswirkungen auf die Außenpolitik dieses wichtigen arabischen Landes hätte, gezielt zu sabotieren, sollte als eine Option herrschaftlichen Krisenmanagements nicht außer acht gelassen werden. Die Belege für den entschiedenen Willen christlicher wie muslimischer Ägypter, sich nicht für die Verschärfung konfessioneller Differenzen instrumentalisieren zu lassen, sind so zahlreich wie die dokumentierten Strategien des Teilens und Herrschens in Situationen, die nicht anders unter Kontrolle zu bekommen sind, als die Betroffenen gegeneinander auszuspielen.

Fußnote:

[1] http://www.uruknet.info/?p=m20998

Zur Situation in Ägypten siehe auch:

BERICHT/071: "Revolution... and no end?" - Diskussion mit ägyptischen Aktivisten in Hamburg (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0071.html

INTERVIEW/080: Ein Aktivist vom Tahrir-Platz zur Revolution in Ägypten (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0080.html

10. Oktober 2011