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HERRSCHAFT/1638: Beschwichtigung tut Not ... Widerstand schafft sie ab (SB)



Beschwichtigung tut not und kann doch nicht funktionieren. Von einem zu hohen Momentum tiefgreifender Verwerfungen beschleunigt ist die Krisendynamik, deren Wuchten das Weltgetriebe aus der Bahn zu werfen drohen, zu vordergründig und überschaubarer sind die Versuche professioneller Apologeten, die herrschenden Verhältnisse in ihrem Bestand schönzureden. Da die desaströse Zerstörung der natürlichen Lebensvoraussetzungen, des gesellschaftlichen Zusammenhalts, der demokratischen Legitimation, die aggressive Elimination menschlicher Würde, sozialer Rechte und körperlicher Unversehrtheit kaum als Produkt kapitalistischer Vergesellschaftung begriffen werden, üben sich die politischen und akademischen Legitimationsapparate in Manövern einer Schadensbegrenzung, die die eurozentrische Sicht weißer Herren zur Überlebensperspektive des eigenen Kulturkreises verabsolutiert und damit soziale wie militärische Konfrontationen initiiert, bei denen alle nur verlieren können.

In dieser Lesart wird die Welt gerne auf den Kopf gestellt, um sich nicht zum eigenen Anteil am globalen Verhängnis stellen zu müssen. So bedroht die Eurokrise "unseren" Wohlstand, als sei dieser ein naturgegebenes Recht westeuropäischer Industriestaaten und nicht Produkt einer Standortkonkurrenz, die in der Klammer einer die Produktivitätsunterschiede zu Lasten der sozialen Gleichheit honorierenden Währungsunion räuberische Vorteilsnahme und damit letztlich wieder Krieg hervorbringt. In Libyen vergriff sich ein arabischer Despot an "unserem" Öl, speiste er doch einen Großteil der Ressourcenrente in die Entwicklung des eigenen Landes ein. Da sowieso gerade dem epochalen Aufbruch der arabischen Massen Einhalt geboten werden mußte, kehrte man ihren Kampf mit der größten Friedensbewegung der Welt gegen sie selbst. Die NATO sollte der Arabellion den Kern ihrer Handlungsfähigkeit, die Selbstbestimmung und Selbstorganisation ihrer Akteure, nehmen, während die andauernde Finanzierung des ägyptischen Militärregimes durch die US-Regierung das ihrige dazu tat, die herrschenden Verhältnisse im Namen ihrer Aufhebung fortzuschreiben.

Beschwichtigung tut not, um die Menschen vergessen zu machen, daß der immer karger werdende Lohn ihrer Bemühungen der geringere Teil dessen ist, was ihnen durch die Mehrwertabschöpfung eines sich zusehends kannibalisierenden Kapitalismus und die dafür erforderliche politische Entmündigung genommen wird. Die Verschärfung des Überlebenskampfes in der sich an der finanzkapitalistischen Maximierung der eigenen Produktivität totlaufenden Arbeitsgesellschaft drängt zur aggressiven Entladung, bedarf doch die soziale Befriedung ihrerseits eines anwachsenden staatlichen Gewaltpotentials, um die überflüssig gewordenen Erwerbsarbeiter daran zu hindern, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen.

20 Jahre, nachdem die Friedensdividende des Kalten Krieges in die Verwertungslogik der Kapitalexpansion eingespeist wurde, um sich mit der eroberten Staatenwelt des Realsozialismus eine neue Elendsperipherie der zu globaler Macht drängenden EU zu schaffen, 10 Jahre, nachdem das Feindbild des Kommunismus durch das des islamistischen Terrorismus abgelöst wurde, um der imperialistischen Erschließung neuer Produktivitätsreserven Legitimität zu verleihen, erkennen immer mehr Menschen in aller Welt, daß sie die ihnen angepriesenen Ideale Freiheit und Demokratie denjenigen entreißen müssen, die ihnen ihre Verwirklichung vorgaukeln, um Ausbeutung und Unterdrückung zu praktizieren.

2011 war das Jahr eines Aufbruchs, der, in seiner Widersprüchlichkeit vom Gewaltverhältnis, das er herausforderte, schwer gezeichnet, dennoch den Keim grundlegender Gesellschaftsveränderung gesetzt hat. 2012 soll, wenn es nach den Eliten geht, deren materielle wie ideologische Herrschaft dadurch massiv in Frage gestellt wurde, das Jahr werden, in dem das kollektive Streben nach Emanzipation und Autonomie mit aller Gewalt zurückgedrängt wird. Auf der Agenda stehen die Durchsetzung noch härterer sozialer Einschnitte durch eine Austeritätspolitik, die ihren Zweck ebenso, als sie der Refinanzierung der Banken dient, in unmittelbarer sozialer Repression findet; neue Aggressionskriege im Nahen und Mittleren Osten, um die in Frage gestellte Hegemonie der USA und EU über die Region und damit ihr Akkumulationsregime zu sichern; die dauerhafte Etablierung einer antidemokratischen Notstandsverwaltung, um ökonomische und ökologische Verluste mittels einer doktrinären Sachzwanglogik in eine neue Ordnung administrativer und distributiver Klassenherrschaft zu gießen.

Dieser Herausforderung entgegenzutreten bedarf mehr als des Zorns der Menschen, die in der sozialrassistischen Leitkultur nichts als Brenn- und Betriebsstoff fremder Überlebensinteressen sein sollen. Die Entwicklung einer Gegenposition kann nur gelingen, wenn die Negation bestehender Verhältnisse den eigenen Anteil an diesen in den Griff nimmt und in einen Aktivposten solidarisch geführter Kämpfe verwandelt. Wird die sozialdarwinistische Konkurrenz, der gegen den anderen gerichtete Eigentumsanspruch nicht im kleinen überwunden, dann bleibt er im großen erst recht kontaminiert durch das Potential eines Konters, der immer dann wirksam wird, wenn ihm die Chance dazu gegeben wird. An diesen Gelegenheiten herrscht, wie die Geschichte gescheiterter Revolutionen dokumentiert, stets ein schon dem Naturzwang geschuldeter, gesellschaftlich daher um so manifester werdender Überschuß, daß man gar nicht erst anzutreten braucht, wenn die humane wie kreatürliche Konsequenz als inkakzeptabel verworfender Gewaltverhältnisse nicht antizipiert wird.

31. Dezember 2011