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HERRSCHAFT/1667: Moralischer Wechsel auf den Frieden der Paläste (SB)




Im Streit zwischen dem SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück und den Bochumer Stadtwerken ging es um eine Art Rufschädigung, wie sie nur moralisch besonders hochwertige Menschen ereilen kann. Der Politiker mußte klarstellen lassen, daß es ihm nicht zur Bedingung gemacht wurde, sein Vortragshonorar von 25.000 Euro an eine karitative Einrichtung zu spenden. Dies hatte der Sprecher der Stadtwerke fälschlicherweise behauptet, so daß der Eindruck entstand, Steinbrück habe das Honorar aus pekuniärem Eigeninteresse einbehalten. Um diesem dem Renommee des Spitzenpolitikers schädlichen Bild wirksam entgegenzutreten, ließ es sich Steinbrück nicht nehmen, nun erst recht zu tun, wozu er nicht verpflichtet war, was seiner Absicht indessen nicht hätte näher liegen können.

Der Mann will wohltätig sein, und das nicht zum Zwecke, den Steuervorteil zu erringen, der den Charity-Lords nun einmal zusteht, wenn sie selbstlos geben, anstatt immer nur zu nehmen. Warum also die Aufregung, wenn dem guten Zweck am Ende doch gedient wurde? Weil sonst niemand erfahren hätte, daß ein SPD-Kanzler in spe weiß, was sich in einer Gesellschaft gehört, die Millionen Menschen nicht nur ihren Lebenserwerb nimmt, sondern ihnen auch noch anlastet, selbst an ihrer Misere schuld zu sein. Tue Gutes und rede darüber, diesem Grundsatz aller Sozialsponsoren folgt auch der Hanseat, dem jeder Cent, der nicht Rendite geldwerter oder moralischer Art abwirft, auf der Seele brennt. Wer hätte sonst davon erfahren, daß Steinbrück nicht nur im Fall der klammen Stadtkasse nach unten umverteilt hat, sondern das Honorar einiger Vorträge direkt an soziale Einrichtungen überweisen ließ?

Und Almosen tun nicht nur aus Gründen der Bedürftigkeit not, sie nützen der von Steinbrück verfochtenen Politik des Förderns und Forderns, besagt diese doch im Kern, daß die kapitalistische Wirtschaft schon in Ordnung geht, wenn sich alle nur am Riemen reißen und das Letzte zu ihrem Gelingen geben. Wer dies nicht tut, soll in einer Gesellschaft aus Christenmenschen dennoch nicht verhungern, daher sind ihm die milden Gaben, die vom reichlich gedeckten Tisch der Leistungsträger fallen, als solche und nur als solche gewiß. Daran kann das Gewissen der Reichen genesen und die Eigentumsordnung, der sie alles zu verdanken haben, ganz ohne Schuldgefühle prosperieren. Eine Win-Win-Situation, wie es so viele in einer Wirtschaft gibt, in der der Tausch allen nützen soll, die an ihm teilhaben.

Wer davon ausgeschlossen ist, weil er nichts besitzt außer unverwertbarer Arbeitskraft, der darf auf andere Weise am System der Marktwirtschaft teilhaben, wie ein Beispiel aus der Freien und Hansestadt zeigt. Laut der taz [1] beruft sich die SPD-Regierung der Stadt zur Rechtfertigung dafür, daß sie es bei einem schmalen Angebot von 252 Schlafplätzen im Rahmen des Winternotprogramms für Obdachlose beläßt, darauf, daß der Bedarf weit größer ist. Die Sozialverbände haben rund 1500 Obdachlose auf den kalten Straßen Hamburgs gezählt, was dazu führt, daß die von der Stadt angebotenen Hilfseinrichtungen sogleich von den Bedürftigen in Anspruch genommen werden. Der überbordenden Nachfrage will die SPD-Regierung auf keinen Fall mit einem angemessenen Angebot entsprechen, könnte dies doch mißverstanden werden als eine Geste christlicher Nächstenliebe, die noch mehr Arme anzieht. Das dem nicht so ist, das walte Gott und die Kosten-Nutzen-Ratio städtischer Betriebswirtschaft.

So wenden die Hamburger Sozialdemokraten die Marktwirtschaft auch dort, wo die Zahlungsfähigkeit der Klientel negativ ist, konsequent an. Im Angebot für eine nur aus Mangel und Not bestehende Nachfrage ist nichts weiter als dies. Pekuniärer Nutzen wird daraus geschöpft, kein Geld auszugeben, wo es besonders dringend benötigt würde. Nichts anderes ist das Geheimnis aller Ökonomie - die Peitsche des Mangels treibt die Produktivität und statuiert an Menschen, die sich nicht unter ihr ducken, das Exempel, daß nur essen soll, wer auch arbeitet. Obdachlosenvergraulung als Programm einer Partei, der zwar die Klasse abhanden gekommen ist, nicht jedoch das Wissen um Teilen und Herrschen. So bläst in Hamburg allen Menschen, die fälschlicherweise vermuten, dort würde Maria und Joseph nicht die Tür gewiesen, weil sie nur dabei stören können, wenn mit frommer Inbrunst der eigene Pfeffersack angebetet wird, ein scharfer Wind ins Gesicht.

Öffentlich inszenierte Nächstenliebe ist eine Ware wie andere Akte demonstrativer Selbstlosigkeit auch. Man bedient sich ihrer, um das Unbehagen daran, an dem auf der Straße liegenden Elend eben doch nicht ganz ungerührt vorbeizugehen, zu beschwichtigen, ohne die grundsätzliche Frage nach Macht und Herrschaft im Kapitalismus stellen zu müssen. Was ein Steinbrück bei seinen Vorträgen verdient, ist eine Petitesse im Verhältnis zur finanziellen Ausstattung der Kapitalmacht, die in der Bundesrepublik das Sagen hat. Ihm mit dem Vorwurf, im Angesicht sozialen Elends zu sehr den eigenen Kontostand im Sinn zu haben, zu Leibe zu rücken, geht an dem Problem der Eigentumsordnung, die dies erst möglich macht, weit vorbei. Weniger vorteilhaft für deren Bestand ist die Erkenntnis, einer Partei wie der SPD gehe es um nichts anderes, als das zu sichern, was zu bekämpfen die ehemalige Arbeiterpartei überhaupt erst hat entstehen lassen.

Sich solidarisch zu zeigen ist etwas anderes, als notleidende Menschen zum Opfer quasi naturgesetzlicher Zwangslagen oder angeblich eigenen Versagens zu erklären. Die Überlebenskonkurrenz als Vitalfaktor der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft zu beseitigen heißt, die Frage des Eigentums als fundamentale Achse des politischen Kampfes wiederzuentdecken. Die Skandalisierung eines Steinbrück tut das Gegenteil dessen. Sie investiert in eine Moral, die zusammenzuhalten beansprucht, was unter den herrschenden Bedingungen unumkehrbar zerbrochen ist, um den offenliegenden Klassenantagonismus als wünschenswerten Frieden der bürgerlichen Gesellschaft erscheinen zu lassen.

Fußnote:

[1] http://www.taz.de/!104935/

11. November 2012