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HERRSCHAFT/1671: Schimäre Politikwechsel - Die Linke als Steigbügelhalterin (SB)




Mit Gregor Gysi als alleinigem Spitzenkandidaten in die Bundestagswahl ... zwar wurde die Meldung des Spiegel von der Linkspartei als spekulativ zurückgewiesen, doch allein die Versuche der beiden Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger, sich der SPD anzudienen, lassen ahnen, daß diese Mutmaßung nicht völlig abwegig ist. Der Neubeginn des Erfurter Programms verendet im Kalkül realpolitischer Teilhabe, noch bevor überhaupt eine wirksame Opposition gegen die anwachsende Brutalität kapitalistischer Herrschaft mobilisiert wurde.

Der angeblich mit SPD und Grünen möglich werdende Politikwechsel krankt daran, daß selbst die bescheidenen sozialen Vergünstigungen, mit denen diese Parteien werben, auf der Fortsetzung neoliberaler, auf Maximierung der Kapitalverwertung abonnierter Konzepte beruhen. Der absehbare Ertrag einer rosa-grün-roten Koalitionsregierung besteht im Schleifen aller fundamental linken Forderungen, mit denen die Linkspartei in den Wahlkampf geht. Wer einer solchen Regierung beitritt, der muß allem abschwören, was die Rolle Deutschlands als EU-Hegemon und Krisengewinner gefährden könnte. Das grundlegende Problem, daß eine Umverteilung von oben nach unten nur auf der Basis erreichter Kostensenkungen und Ausgrenzung als unproduktiv gebrandmarkter Erwerbsloser zu haben ist, bedeutet, daß die soziale Spaltung weiter zunehmen wird. Verschärft wird das Problem, der betriebswirtschaftlichen Bilanzierung von Investment und Rendite nicht zu entkommen, durch die in diesem Rahmen bestenfalls mögliche symbolische Solidarität mit den Opfern des herrschenden Krisenmanagements in den unter Spardiktat gestellten Ländern der Eurozone.

Die Systemfrage zu stellen, wie es einer Partei, die den Sozialismus angeblich noch nicht gänzlich entsorgt hat, gut zu Gesicht stände, mag keine Aussicht auf politischen Erfolg in dem Sinne verheißen, der mit einer Regierungsbeteiligung unter den herrschenden parlamentarischen Kräfteverhältnissen angestrebt wird. Die Stimme des sozialen Widerstands auch in den Zentralen der Regierungsmacht zu erheben ist von einer nicht nur tagesaktuellen, sondern historischen Wichtigkeit, die gar nicht hoch genug geschätzt werden kann. Der pragmatischen Ratio des kleineren Übels im Rahmen eng gefaßter Sachzwänge folgen ohnehin alle politischen Akteure, sofern sie überhaupt um die anwachsende Schar von Armut bedrohter Menschen werben. Die grundsätzliche Frage danach, ob kapitalistische Verhältnisse überhaupt akzeptabel sein können, mag in den Feuilletons ein untotes Eigenleben führen, wird jedoch von der Mehrheit der Bundesbürger nicht ernsthaft gestellt.

Eine Linkspartei, die sich der parlamentarischen Ratio der repräsentativen Demokratie ausliefert, muß früher oder später auch die Kernforderungen, die sie dem deutschen Imperialismus noch entgegenhält, zur Disposition stellen. Damit verliert die außerparlamentarische Opposition, die sich hierzulande nur mit Mühe formiert, weil die Möglichkeit, sich auf die Seite der Sieger zu retten, noch zu viel verführerische Kraft entfaltet, das verbliebene Standbein in den Institutionen des herrschenden Blocks. Der Parteivorstand der Linken mag aus der Bewegungslinken stammen, doch vergeht die Streitbarkeit von Parolen wie "UmFairteilung" an der durch die vermeintliche Lösung der sozialen Widersprüche obsolet gewordenen Frage, wer genau den Reichtum produziert, über den damit verfügt werden soll. Schließlich ist nicht zu vergessen, daß Umverteilung im globalen Maßstab eine allgemeine Angleichung der hochproduktiven EU-Staaten nach unten bedeutete.

Eine Partei, die sich als linkes Korrektiv von SPD und Grünen anbietet, wird im politischen Tauschhandel mit kleinen Zugeständnissen abgespeist, um die großen Fragen nicht mehr zu stellen. Die Grünen lassen nicht nur grüßen, sie könnten sogar als Geburtshelfer für eine Linke fungieren, die als Steigbügelhalterin dort endet, wo die Sozialdemokratie schon vor langer Zeit angekommen ist. Sie führt ihre Aufgabe als Moderatorin eines Klassenkampfes, dessen Unterdrückung die bekannten katastrophalen Ergebnisse zeitigte, heute als Avantgarde einer sozialen Zurichtung fort, der der delinquente Mensch schuldhaftes Opfer eigenen Versagens und die kapitalistische Gesellschaft Regulationsobjekt der sie bestimmenden Kapitalmacht ist. In einer EU, in der faschistische Parteien so viel Auftrieb wie noch nie nach dem Zweiten Weltkrieg haben und die Regierungen der bürgerlichen Mitte mit prädiktatorischen Rezepturen die etablierte Eigentums- und Verwertungsordnung zu sichern versuchen, wird eine Linke, die ihre Aufgabe, einen weiteren Marsch in die Barbarei mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern, nicht wahrnimmt, irrelevant.

6. Januar 2013