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HERRSCHAFT/1724: Saft- und kraftlos sozialdemokratischer Verteilungslogik ausgeliefert (SB)



"Saft- und kraftlos" sei Die Linke, wenn sie nicht regieren wolle, rügte ihr ehemaliger Fraktionsvorsitzender im Vorfeld des Magdeburger Parteitages. Die Wähler sprechen der Partei die "Gestaltungskraft" ab, so Gregor Gysi. Einen imperialistischen Staat zu "gestalten" heißt eben auch, Saft und Kraft seiner Produktivität allen anderen abzusaugen, die den Schuldendiktaten und Kapitalexporten des deutschen Hegemonialstrebens unterliegen. Die politische Potenz, nach der Gysi sich sehnt, erwächst aus der Verarmung und Verelendung anderer Bevölkerungen, wie die deutsche Politik in Griechenland exemplarisch vor Augen führt. Nicht umsonst hat der Linkenpolitiker schon vor Jahren versucht, den Imperialismus als kategorialen Antagonisten linker Politik zu entsorgen, führt der Weg an die Macht in Berlin doch nur über den Pakt mit einem Feind, der nicht mehr im eigenen Land stehen soll, um sich ganz unbeschwert neuen Geschäften in alten Expansionszonen widmen zu können.

Es ist eben dieses Versprechen, auf der Seite des Siegers zu stehen, das "Arme, Abgehängte und Arbeitnehmer die AfD wählen" läßt, wie Gysi angeblich schockiert zur Kenntnis nimmt. Ein nationalistisch aufgeladener Sozialdarwinismus als Regierungsprogramm, die Angst vor dem eigenen Absturz in rassistischen Haß umgemünzt, und der Protest gegen "die da oben" als Gleitmittel eines Herrschaftsprojekts, das den Adressaten bürgerlicher Wut neue Handlungs- und Gewinnmöglichkeiten an die Hand gibt - wer wollte da neidisch werden? Daß die Linkspartei sich an der AfD abarbeitet, kann in den Mehrheitsmedien nur deshalb genüßlich goutiert werden, weil die sozialdemokratische Verteilungslogik eine offene Flanke bietet, in der die ansonsten gegenstandslose Gleichsetzung von links und rechts Nahrung findet. Sie besteht in der strukturellen Schnittmenge jenes nationalökonomischen Gewinnstrebens, das die AfD in neoliberaler Reinkultur propagiert, aufgrund dessen aber auch mit der SPD nur Staat zu machen ist, wenn Bundeswehr, Freihandelsabkommen und Austeritätspolitik in Kauf genommen werden.

Was bleibt einer Linken, die die vertanen Chancen realsozialistischer Vergesellschaftung verschämt ignoriert, um nicht in schlechte Gesellschaft zu geraten, anstatt der totalitarismustheoretischen Verdammung offensiv mit einem Bekenntnis zu Antikapitalismus und Antiimperialismus entgegenzutreten? So könnte über die ökologischen und sozialen Katastrophen, auf die der angeblich nicht zu korrigierende Kurs kapitalistischer Verwertungslogik zusteuert, schonungslos aufgeklärt werden, um ihnen mit dem Entwurf einer sozialökologischen Wende entgegenzutreten, die ernst macht mit der regierungsoffiziellen Absicht, Klimawandel, Artensterben und Wassermangel aufzuhalten, um nur die wichtigsten Herausforderungen auf der globalen Skala zu nennen. Den Hunger in der Welt zu beenden, anstatt die essentiellen Bedürfnisse aller Menschen in den Händen transnationaler Konzerne zu belassen, die Almosenlogik der Armutsbekämpfung durch das konsequente Stellen der Eigentumsfrage zu brechen - all das sind, wenn überhaupt, nur Fußnoten in den Programmen sozialdarwinistischer Parteien.

Wo die SPD niemals mehr die Verteilungsspielräume erhalten wird, die sie zur Erfüllung ihrer keynesianischen Wunschträume benötigte, und die Grünen auf einen bloßen Farbenwechsel im Erfolgsprogramm des deutschen Imperialismus setzen, gibt es Bewegungsmöglichkeiten antikapitalistischer und ökosozialistischer Art in Hülle und Fülle. Das allerdings erforderte, das Bündnis mit sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften und denjenigen Teilen der Arbeiterschaft, die sich als globale Gewinner betrachten und mit den Verlierern in den Ländern des Südens kaum mehr auf internationalistische Weise solidarisch sind, zugunsten einer neuen Wählerschaft aufzukündigen.

Ein solcher Kurs ließe sich nur unter erheblichen Einbußen bei der bisherigen Klientel verwirklichen, was natürlich die Frage aufwirft, ob Die Linke überhaupt als Adressatin für eine solche Agenda in Frage käme. Diese hätte allerdings den Vorteil der langfristigen Perspektive, fundamentale Probleme wirklich anzupacken und nicht nur, wie auf dem Klimagipfel in Paris, symbolpolitisch zu entsorgen. Sie zöge zudem so klare Trennungslinien zu jeglicher nationalistischen und sozialchauvinistischen Programmatik, daß sich zur AfD keinerlei Bezüge mehr herstellen ließen. Nicht zuletzt könnten die Menschen, die ihr Heil im Raubkollektiv der Nation suchen, daran erinnert werden, daß ihnen selbst keine andere Zukunft zugedacht ist, denn als Brennstoff nationalökonomischen Wertwachstums verheizt zu werden. So abenteuerlich eine solche Perspektive für eine Partei wirken mag, die sich als linkes Korrektiv der SPD immer wieder selbst rechts überholt, so rational ist ein radikales Umsteuern, wenn die Linke nicht den absehbaren und unumkehrbaren Niedergang der klassischen Sozialdemokratie mitmachen wollte.

29. Mai 2016


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