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HERRSCHAFT/1734: SPD für CETA ... Parteiräson hebelt sozialen Widerstand aus (SB)



Die Zweidrittelmehrheit, mit der der SPD-Parteikonvent in Wolfsburg dem Freihandelsabkommen CETA zugestimmt hat, wird allgemein als großer Erfolg für den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel gewertet. Indem die Frage der Zustimmung zu CETA mit der politischen Zukunft Gabriels verknüpft wurde und seine Person im Mittelpunkt der Berichterstattung stand, konnten die Befürworter des Abkommens die Einsprüche der Gegner trotz der Massendemonstrationen gegen TTIP und CETA zwei Tage zuvor mühelos an den Rand drängen. Dabei hat Gabriel mit der Forderung, das EU-Parlament vor einer vorläufigen Inkraftsetzung des Abkommens zwischen Kanada und der EU zu konsultieren sowie rechtsverbindliche Zusatzerklärungen zu prekären Bereichen einzubringen, nicht einmal einen Kompromißvorschlag vorgelegt.

Wie auch Kritiker aus den Reihen der SPD - etwa der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD, Klaus Barthel [1], oder die Vorsitzende des Forums Demokratische Linke 21, Hilde Mattheis [2] - durchblicken lassen, handelt es sich bei dem Text der vermeintlichen Kompromißlösung im wesentlichen um eine Absichtserklärung, deren Durchsetzung alles andere als gewiß ist. Wäre Gabriel in Wolfsburg darauf festgelegt worden, beim Treffen der EU-Handelsminister in Bratislava diese Woche CETA abzulehnen, dann hätte seine Stimme ein politisches Gewicht gehabt, das der Glaubwürdigkeit der SPD als Interessenvertretung von Lohnabhängigen und Versorgungsbedürftigen ein wenig Auftrieb gegeben hätte. Indem er den Zuschlag für eine wachsweiche Moderation des Ratifizierungsprozesses erhalten hat, erweisen sich die Sozialdemokraten einmal mehr als Steigbügelhalter von Eigentümer- und Kapitalinteressen.

De facto läuft der nun angelegte Kurs darauf hinaus, daß nach der sehr wahrscheinlichen Zustimmung im EU-Ministerrat schwache Initiativen gegen die vorläufige Anwendung einzelner Teile des Abkommens erfolgen werden, aber das gesamte Vertragswerk letztlich in Kraft treten wird. Der notwendigen Fundamentalkritik an diesem und anderen Freihandelsabkommen wurde mit Gabriels Formel, CETA sei "ein Schutz vor schlechten Abkommen", da damit fortschrittliche "Regeln für die Globalisierung" gesetzt würden [3], nicht nur die Spitze genommen. Die angebliche Alternativlosigkeit kapitalistischer Globalisierung und das nationalökonomische Interesse, deren Regeln gegen andere Akteure zum eigenen Vorteil zu setzen, bleibt unwidersprochen gültig. Standortnationalismus und Leistungsrassismus, von der SPD vor einem Jahrzehnt mit der Agenda 2010 zur gesellschaftspolitischen Maxime erhoben, können nun Gültigkeit im transatlantischen Geschäftsverkehr und darüber hinaus erhalten.

Daß US-Unternehmen über ihre kanadischen Niederlassungen ihre Interessen in der EU nach Maßgabe der Freihandelsregeln wahrnehmen können, während die umgekehrte Richtung sehr viel schwieriger zu gehen sein wird, ist nur ein Kritikpunkt der CETA-Gegner. Die Formel "TTIP durch die Hintertür" hat jedenfalls Bestand, und auch die Regulatorische Kooperation, die Nachverhandlungen einzelner Punkte ohne parlamentarische Beteiligung ermöglicht, weist dem Inkrafttreten dieses Vertrags den Stellenwert eines Dammbruches im Handels- und Investitionsverkehr zwischen Nordamerika und der EU zu.

Für das breite Bündnis der Freihandelsgegnerinnen und -gegner kann die Entscheidung des SPD-Parteikonvents kaum überraschend kommen, galten die Sozialdemokraten doch stets als Wackelkandidaten. Es ist allerdings die Achillesferse des vornehmlich von bürgerlichen Aktivistinnen und Aktivisten bestimmten Widerstands gegen Freihandelsabkommen, immer wieder hoffnungsvoll auf die SPD zu schauen, ob über sie nicht Einfluß auf die Regierungspolitik genommen werden könnte [4]. Daß die im Bündnis ausführlich diskutierten und weitreichend analysierten Konsequenzen des Inkrafttretens von CETA an der Parteiräson scheitern, könnte als Lektion über den herrschaftsförmigen Charakter der repräsentativen Demokratie und ihres parlamentarischen Prozederes produktiv gemacht werden. Unter Einbeziehung der sozialdemokratisch geführten Gewerkschaften zu versuchen, eine Massenbasis in der Bevölkerung zu schaffen, die mehrheitlich gegen Freihandelsabkommen eingestellt ist, und die damit eingebundenen kritischen Stimmen und widerständigen Bürgerinnen schlußendlich gegen sich selbst zu kehren, demonstriert eine politische Intelligenz, mit der sich noch ganz andere Dinge in den weltweit mit immer härteren Bandagen geführten Verteilungskämpfen auf die Bahn bringen lassen.


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/ceta-abkommen-wir-muessen-noch-staerkeren-druck-aufbauen.694.de.html?dram:article_id=366312

[2] http://www.deutschlandradiokultur.de/die-spd-und-ceta-wunschdenken-in-wolfsburg.1008.de.html?dram:article_id=366331

[3] http://www.heise.de/newsticker/meldung/Transatlantischer-Handel-SPD-stellt-sich-hinter-Ceta-und-Gabriel-3328091.html

[4] BERICHT/070: Das Anti-TTIP-Bündnis - die Hoffnung auf Mehrheiten ... (1) (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0070.html

20. September 2016


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