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HERRSCHAFT/1735: Dresden in der Eiseskälte der goldenen Morgenröte (SB)



Vorbei die Zeiten, als sogenannte Antideutsche mit Parolen wie "Bomber Harris, do it again!" Furore machten. Stellte die transatlantische Linke mit der Forderung nach der flächendeckenden Zerstörung Dresdens ihre antinationale Gesinnung mit einer Ignoranz unter Beweis, deren bourgeoise Kinderstube Standesdünkel, aber keine soziale Revolution hervorbringt, dann wußte sie, daß sie damit wenig Anklang bei der Bevölkerung findet. Darum ging es ihr auch nicht, doch das ist bei der völkischen Rechten, die am "Tag der deutschen Einheit" durch die Elbmetropole marschiert und die Spitzen des Staates "Volksverräter" schimpft, ganz anders. Sie knüpft an die weitverbreiteten Ressentiments derjenigen an, die lieber nach unten treten als nach oben aufzubegehren, wie es stets des Untertanen höchste Tugend war.

Dresdens Polizei, bei antifaschistischen Kundgebungen nicht eben zimperlich, konnte keinen Grund erkennen, warum sie Pegida nicht gewähren lassen sollte. Schließlich ist Dresden Hauptstadt der Bewegung und Sachsen bekannt dafür, rechten Demagogen eine sichere Burg zu sein. Die offene Konfrontation zwischen einer selbstbewußt im Aufwind völkischer Restauration segelnden Rechten und den höchsten Repräsentanten der Republik zeigt mit aller Deutlichkeit, was die Stunde geschlagen hat. Was sich heute an sozialem und antimuslimischem Rassismus aufbaut, wurzelt in der Ideologie eines organischen Volkskörpers, der alles Fremde und Schwache auszuscheiden hat, um den nationalen Erfolg im globalen Verteilungskampf zu sichern.

Da dieses Ziel der Bundesregierung nicht fremd ist, sie jedoch liberalen Werten und einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung verpflichtet ist, tut sie sich schwer damit, der neuen Rechten mit einer Entschiedenheit entgegenzutreten, die die radikale Linke seit jeher mit aller Konsequenz der Strafverfolgung und Freiheitsberaubung zu spüren bekommen hat. Der Umgang einer Regierung, die den autoritären Sicherheitsstaat nach außen wie innen aufrüstet, den Preis der Lohnarbeit niedrig hält und unternehmerisches Denken für das Endstadium menschlicher Entwicklung hält, mit der rechtsradikalen Opposition ist dementsprechend ambivalent, um es vorsichtig auszudrücken. Funktioniert die auf Selbstoptimierung und Leistungsrassismus zugerichtete Bevölkerung auch im Sinne von Standortnationalismus und imperialistischer Kriegführung, dann wird sie den bürgerlichen Eliten dennoch unheimlich, wenn sie allzu laut die Konsequenz sozialdarwinistischer Durchsetzung verlangt.

Schon einmal sind die nationalkonservativen Sachwalter der Junker, Schlotbarone, Stahlmagnaten und Bankiers von Fußtruppen weggefegt worden, derer sie nicht mehr Herr wurden, was für ein gedeihliches Miteinander von Kapital und Volk allerdings kein Hindernis darstellte. Die Rollen in der unangetastet gebliebenen Eigentumsordnung klar verteilt, verlor man den großen Krieg, ohne dadurch schlauer zu werden, ansonsten wäre die permanente Rechtsdrift in Staatsräson und exekutiver Praxis so nicht möglich. Im Antikommunismus sind sich die außerparlamentarische Rechte, AfD, CDU, SPD und Grüne ohnehin einig, wie das nach wie vor zum Pflichtenkatalog regierungsamtlicher Selbstbeweihräucherung gehörige Fleddern der Leiche DDR belegt.

So hat Bundestagspräsident Norbert Lammert in seiner Dresdner Rede mehr Dankbarkeit und Zufriedenheit angemahnt, wolle doch niemand zurück in die Gesellschaft vor 1989. Um den Realkapitalismus der BRD schönzureden, darf nicht zu sehr ins Detail gegangen werden, legen doch gerade die Kernbereiche gesellschaftlicher Macht beredtes Zeugnis davon ab, daß die sogenannte Wiedervereinigung ein Anschluß war. Nicht nur, daß die großen Kapitaleigner und erfolgreichen Unternehmensdynastien allesamt westdeutscher Herkunft sind, auch das Führungspersonal der Wirtschaft verfügt in der Regel über dieses Merkmal. Unter den 600 Aufsichtsräten und Vorstandsmitgliedern der 30 größten Unternehmen der Bundesrepublik befinden sich weniger als ein Dutzend Personen, die in der DDR aufwuchsen. Die Spitzenjobs in diesem Bereich entfallen häufiger auf Bürger der USA, Indiens oder Chinas als auf Ostdeutsche, wußte das Wall Street Journal 2014 zu berichten.

Daß die DDR nicht primär auf den Weltmarkt ausgerichtet war, sondern im Handel mit anderen RGW-Staaten eine beachtliche Produktivität entfaltete, war für sich genommen Ärgernis genug. Das Gebiet des sozialistischen Staates mit einem Schlag den Konkurrenzbedingungen der kapitalistischen Hemisphäre auszusetzen, verbannte die Möglichkeit, eine nicht auf fremdbestimmter Lohnarbeit basierende Produktionsweise im Sinne sozialistischer Kooperation freizusetzen, aus dem Horizont erreichbarer Ziele. Die Osterweiterung der EU in die RGW-Staaten verschaffte dem deutschen Kapital einen Investitionsschub, der die Sonderstellung der BRD im krisengeschüttelten Europa mitbegründete. Die Abwicklung der DDR ging der Kolonisierung der mittelosteuropäischen Staatenwelt voraus, war als Eroberungszug unter hoheitlicher Gewalt der Bundesregierung jedoch noch tiefgreifender und umfassender als diese. Als Labor für sogenannte Transformationsstaaten bietet die Zurichtung ihrer Bevölkerung durch innovative Formen ökonomischer und sozialer Herrschaft bis heute Anschauungsmaterial für weitere Gelegenheiten.

Nicht umsonst wird der Ausverkauf öffentlichen Eigentums in Griechenland nach dem Vorbild der Treuhand vollzogen, die maßgeblich daran beteiligt war, daß 95 Prozent des sozialistischen Produktivvermögens in die Hände westdeutscher Kapitaleliten fielen. Was in Ostdeutschland mit Einigungsvertrag, Elitenwechsel und Gesinnungsjustiz erreicht wurde, findet in den Okkupationsstrategien, mit denen der griechische Staat unter die Kuratel fremder Interessen gestellt wird, ein nicht allzu fernes Echo. Bezeichnenderweise richten sich die Parolen Pegidas nicht nur gegen muslimische Migranten, sondern stets auch gegen eine EU, die mit den Krisenstaaten in der südeuropäischen Peripherie Menschen angeblich unlauter begünstigt, die Unterstützung ebensowenig verdient hätten wie Erwerblose, die noch irgendeine Arbeit verrichten können.

Politische Repräsentanten, die das Workfare-Regime Hartz IV und die daraus resultierende "Lohnzurückhaltung" der Arbeiterinnen und Arbeiter als Erfolgsrezept für die deutsche Exportwirtschaft rühmen, haben allemal Aktien im Sozialchauvinismus der Pegidisten. Alles in Wert zu setzen, was in dieser Gesellschaft noch flott- und mobilzumachen ist, ist mit Pegida nur dann nicht zu machen, wenn die Nutznießer der Arbeit nicht zu dem von ihr imaginierten Volkskollektiv gehören. National denkt auch die politische Führung der Bundesrepublik, sofern es um die Handlungsmacht geht, die aus erfolgreichen Geschäften am Weltmarkt resultiert. Längst ist die Flüchtlingsabwehr allen humanitären Willensbekundungen der Kanzlerin zum Trotz in den Dienst eines selektiven, die Guten ins Töpfchen und die Schlechten ins Kröpfchen werfenden Nutzens gestellt worden.

Die beleidigende Offenheit, mit der Pegida in Dresden am 3. Oktober auftrat, belegt vor allem, daß die rechtsradikale Organisation über erhebliche Rückendeckung in Staat und Gesellschaft verfügt. Die Kanzlerin derart ungestört aufs Korn nehmen zu können heißt, daß nennenswerte Teile ihrer eigenen Partei mit klammheimlicher Freude Witterung aufnehmen, um Machtprobe und Abrechnung zu wagen [1]. So erfolgreich ihr Krisenmanagement bisher auch war, der Glaube daran, daß noch weit mehr drin ist, wenn in Europa nicht nur deutsch gesprochen, sondern auch geherrscht wird, gebiert Geister, die hierzulande nicht gerufen werden müssen, weil sie nach dem verlorenen Krieg niemals aufgehört haben, auf Revanche zu sinnen. Dies um so mehr, als die Entwertungstendenz der unbewältigten Wirtschafts- und Finanzkrise nach radikalen Schnitten verlangt und die Zukunft der Erwerbsarbeit soziale Konflikte provoziert, für die die kapitalistische Arbeitsgesellschaft keine Lösungen parat hat. Wer nicht mit an Bord sein wird, kann sich schon einmal warm anziehen, denn die Strahlen dieser goldenen Morgenröte können Brände entfachen, die nicht nur in Flüchtlingsheimen lodern, sondern ganze Kontinente verwüsten.


Fußnote:

[1] HERRSCHAFT/1730: Auf den Flügeln der Extremismusdoktrin zur geistig-moralischen Wende 2.0 (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/herr1730.html

3. Oktober 2016


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