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HERRSCHAFT/1744: Trump und Merkel - Machtproben und Kulturkampf (SB)



Was kann man hierzulande von der Entwicklung in den USA unter ihrem künftigen Präsidenten Donald Trump lernen? Daß die Zeichen auf Sturm stehen und der Immobilienmagnat so gefährlich ist, wie befürchtet, und vielleicht noch gefährlicher. Der Mann weiß sehr wohl, was er redet, wenn er im Wahlkampf das eine behauptet und in seinen Personalentscheidungen scheinbar das Gegenteil dessen tut. Bis heute zu erklären, die USA nicht mehr in interventionistische Kriege verstricken zu wollen, und bei der Besetzung seines Kabinetts zugleich auf höchst aggressive Militärs und Berater zu setzen, läuft schlicht darauf hinaus, daß bei künftigen Kriegen der humanitäre oder antitotalitäre Vorwand fallengelassen wird, um desto unbeschwerter nationale Interessenpolitik mit militärischen Mitteln betreiben zu können. Die Unverblümtheit, die Trump so viele Anhängerinnen und Anhänger zugetrieben hat, kann exekutiv in einem Kriegsnationalismus Raum greifen, bei dem auch dem letzten Kritiker, der Trumps Aufstieg zum Commander-in-Chief der größten Streitkräfte der Welt als unterhaltsame Politgroteske goutierte, das Lachen vergeht.

Trumps Rezeptur aus liberalkapitalistischer Marktwirtschaftsdoktrin, kulturkämpferischem Ressentiment und nationalistischer Suprematie ist inhaltlich so widersprüchlich wie politisch schlagkräftig. Er stellt der Lohnabhängigenklasse mehr Jobs und mehr Verdienst in Aussicht und handelt diesem Versprechen mit einem Investitionsprogramm, das im wesentlichen Unternehmerinteressen bedient und keine Verpflichtung für die Schaffung neuer Arbeitsplätze enthält, zuwider. Er erweckt den Anschein, zugunsten der US-Bevölkerung protektionistische Maßnahmen zu treffen, obwohl er weiß, daß die Wirtschaft der USA extrem abhängig von Kapitalexport und Freihandel ist. Da er sich im engen Rahmen der spezifischen Notwendigkeiten und Zwecke globalhegemonialer Ansprüche bewegt, verfällt er wie so viele Demagogen vor ihm auf das klassische Rezept, die Unzufriedenheit der Menschen auf rassistische Feindbilder zu lenken. Weil der Dollar als Weltgeld, der Kapitalexport US-amerikanischer Investoren, die Abschöpfung von Kostenvorteilen bei der Ausbeutung billiger Arbeit und Rohstoffe im Globalen Süden keine Isolation vom kapitalistischen Weltsystem erlauben, wird Trump die US-amerikanische Handelspolitik möglicherweise in noch größerem Ausmaß als bisher militärisch flankieren.

Während der künftige US-Präsident auf der Schaukel von kulturalistischer Aggression und kapitalistischer Sachzwanglogik so willkürlich hin und her tanzt, daß seine Gegner stets ins Leere stoßen, wenn sie versuchen, ihn auf einer Position festzunageln, macht Bundeskanzlerin Angela Merkel es ihm auf ihre Weise gleich. Der Seiltanz der CDU zwischen pragmatischer Realpolitik und symbolpolitischer Sinnstiftung brachte auf dem Parteitag der CDU in Karlsruhe allerlei Versprechungen hervor, die sich spätestens nach der Bundestagswahl als haltlos erweisen werden, insofern sie allgemeinen Wohlstand und soziale Sicherheit betreffen. Auch Merkel wird die Quadratur des Kreises nicht gelingen, das deutsche Exportmodell für eine Verteilungspolitik zu nutzen, die mit dem Prinzip dauerhafter Lohnstagnation und sozialer Ausgrenzung im Konkurrenzkampf verschlissener Menschen bricht.

Die von der CDU geforderte schnelle Entwicklung innovativer Produktionsweisen ist schon aufgrund der von ihnen bewirkten Rationalisierungseffekte sozial unverträglich, und die geforderte Zunahme industrieller Produktivität durch den "digitalen Wandel" des europäischen Binnenmarktes beschleunigt diese Entwicklung noch. "Globalisierung aktiv gestalten" heißt nichts anderes als bei der Jagd auf kostensenkende Skaleneffekte und Extraprofite aus dem kaum größer werdenden Kuchen europäischen Wachstums fette Stücke für diejenigen herauszuschneiden, die mit Nullzinsen dazu verführt werden sollen, ihr Geld in reale Industriearbeit und nicht nur Finanzmarktgeschäfte zu stecken. Das geht nur durch Senkung des Preises der Arbeit als einziger Ware, die Menschen anzubieten haben, die über keinen Grundbesitz und keine Produktionsmittel verfügen.

Da auch die Unionsparteien nicht an den harten ökonomischen Fakten der permanenten Verwertungskrise der Weltwirtschaft vorbeikommen, versuchen sie, mit nationalistischen Identitäsangeboten, migrantenfeindlichen Maßnahmen und als Antiterrorkampf maskiertem Kulturkämpfertum rechte Wählerinnen und Wähler im eigenen Lager zu halten. Die in Karlsruhe angerichtete Bouillon aus deutschnationaler "Leitkultur" und realpolitischer Austerität ist jedoch nicht würzig genug, um der AfD das rechtspopulistische Wasser zu reichen. Sie versteht es, den vorgeblichen Protest gegen das "Establishment" so blutig anzurichten, daß der sozial begründete Zorn der Menschen zuverlässig in die Bahnen ihrer Machtambition gelenkt wird. Daran, daß die Herde des Wahlvolkes den Klassencharakter der eigenen Widerspruchslage entdeckt und sich von rechtspopulistischen Einflüsterern emanzipiert, haben allerdings weder Unionspolitiker noch AfD-Karrieristen Interesse.

Wo Trump den rechten Rand praktischerweise innerhalb der eigenen Partei für sich einsetzen und abschöpfen kann, hat Merkel es mit einer Parteienkonkurrenz zu tun, die ihr noch einige Zugeständnisse abnötigen wird, um im Wahlkampf keine allzugroßen Blessuren zu erleiden. So ist die Möglichkeit, daß die amtierende Regierungschefin ihre wichtigste Trumpfkarte, das demonstrative Vorführen exekutiver Handlungsgewalt, im Ernst- oder Kriegsfall ziehen wird, durchaus gegeben. Angesichts der herrschenden Krisenlage könnte der Wahlkampf 2017 von einer Eskalationsdynamik angetrieben werden, die letzte Reste des Wissens um die Bedeutung sozialer Gewaltverhältnisse und klassenkämpferischer Emanzipation im nationalen Identitätswahn untergehen läßt. Zumindest wird der kulturellen Drift nach rechts, der Orientierung an autoritären Idealen, rassistischen Vorbehalten und biologistischen Zuschreibungen, nicht mit Mitteln entgegengetreten, die die Möglichkeit stärkten, mit selbstbestimmtem Handeln und sozialem Widerstand den Ausbruch aus fremdverfügten Verhältnissen zu wagen.

Die klassisch rechte Ideologie vom naturhaften Charakter sozialer Konkurrenz und ihre Anwendung auf die Idee einer nationalen Volks- und Notgemeinschaft, die sich im analogen Konkurrenzkampf zwischen den Völkern und Nationen mit allen Mitteln zu behaupten hätte, gibt mehr denn je seit dem Ende des NS-Staates den Ton der in Deutschland wie den USA geführten Debatte an. Dabei geht es weniger um die Frage der jeweiligen Mehrheit an den Wahlurnen als des Anspruchs auf hegemoniale Diskurshoheit. Diese ist zwar materiell in den herrschenden Widerspruchslagen begründet, wird aber verhandelt und chiffriert auf kultureller Ebene, was die große Bedeutung symbolpolitischer Events für den Erfolg politischer Akteure erklärt.

Je unhinterfragbarer ökonomische Sachzwänge mit der ganzen Gewalt stofflichen Mangels Raum greifen, desto bedeutsamer werden Kulturkämpfe auf allen Ebenen politischer Repräsentation. Sie betreffen nicht nur Fragen von Religion und Herkunft, sondern auch den Ressourcenverbrauch in Konsum, Mobilität und Wohnen, die Struktur gemeinschaftlicher Lebensformen, die biopolitische Zurichtung der Bevölkerung und die Durchdringung aller Lebensbereiche mit informationstechnischen Systemen. Politik und Kultur befinden sich nicht in einem einander ausschließenden Verhältnis, sondern richten die Bevölkerung mit komplementären Mitteln auf das Subjekt eines Kulturstaates zu, das sich mit vorauseilender Freiwilligkeit dem Diktat leistungssteigernden Nutzens und funktionsoptimierten Verbrauches unterwirft. Während dieser Entwicklung auf administrativer und legislativer Ebene der Weg gebahnt wird, ist es müßig, sich an den irreführenden Absichten herrschender Propaganda abzuarbeiten. Vor dem Hintergrund einer in vielen Teilen der Welt längst gegebenen Mangelsituation, die persönliche Freiheiten der Dringlichkeit von Überlebensfragen unterwirft, treten andere Handlungszwänge an die Stelle der systematisch hergestellten Undurchschaubarkeit politischer Beweggründe.

Für Aufstieg und Niedergang politischer Akteure im System der repräsentativen Demokratie entscheidend bleibt die Frage, wie passiv und ohnmächtig sich eine Bevölkerung den Interessen der sie beherrschenden Klasse überantwortet. Mit ihrer nationalistischen Indoktrination allerdings ist das Arsenal zur Verfügung stehender Herrschaftsmittel unterhalb der Schwelle offener Diktatur und Repression weitgehend ausgereizt. Die Gefahr des über den Ernst- und Kriegsfall initiierten Ausnahmezustandes und die davon ausgehende Etablierung faschistischer Formen staatlicher Verfügungsgewalt ist weder jenseits noch diesseits des Atlantik von der Hand zu weisen.

9. Dezember 2916


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