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HERRSCHAFT/1747: Hoffnung statt Widerstand - Barack Obamas Vermächtnis (SB)



Wollte man für bare Münze nehmen, was Barack Obama in seiner Inaugurationsrede am 20. Januar 2009 als 44. Präsident der Vereinigten Staaten verkündet hatte, müßte man ihm zwei auf ganzer Linie gescheiterte Amtszeiten attestieren:

Amerika ist der Freund jeder Nation, jedes Mannes und jeder Frau und jedes Kindes, wenn sie ein Leben in Frieden und Freiheit leben wollen; und wir sind bereit, wieder die Führung dieser Nationen zu übernehmen.

Vor fast drei Millionen Menschen in Washington und dank eines medialen Kraftakts unzähligen weiteren in aller Welt unterstrich Obama damals den Anspruch der USA auf alleinige Vorherrschaft. Sein Amtsvorgänger George W. Bush hatte den globalen "Antiterrorkrieg" losgetreten, dessen Ende nicht abzusehen sei. Diesen Kurs setzte Obama ungebrochen fort und erklärte, sein Land befinde sich "im Krieg gegen ein Netz der Gewalt und des Terrors". Den Legitimationsverlust der selbsterklärten Führungsmacht polierte der neue Präsident im Stile eines charismatischen polit-evangelikalen Popstars mit inhaltsleeren, doch gerade deswegen um so zugkräftigeren Botschaften wie "Yes we can" oder "Change we can believe in" auf, wofür man ihn feierte wie ehedem John F. Kennedy.

Die Inszenierung eines wie auch immer gearteten Wechsels, die einen gefühlten Aufbruch suggerierte, sollte die Kontinuität etablierter Herrschaft vergessen machen. Daß niemand an die Spitze des ökonomisch und militärisch größten Staates der Welt gelangt, der die Interessen der Machteliten nicht zuverlässig vertritt, ging unter im euphorischen Freudentaumel angesichts der Verkündigung: "Unsere Sicherheit besteht in der Gerechtigkeit unserer Mission, in der Macht unseres Vorbilds, in der beschwichtigenden Macht von Demut und Bescheidenheit." Der Anspruch auf das globale Gewaltmonopol, gepaart mit einer für unabweislich erklärten Definitionsmacht, verzückte nicht nur die eigene Bevölkerung, sondern auch die europäischen Kommentatoren, die von einer Abkehr von den Verbrechen der Bush-Administration, dem überwundenen Rassismus in der US-Gesellschaft und einer neuen Ära transatlantischer Beziehungen schwärmten.

Die Hoffnungen und Erwartungen, die Obama geschürt hatte, wurden rasch zu Grabe getragen. Nach seinem Einzug ins Weiße Haus zeigte sich umgehend, daß der angeblich mächtigste Mann der Welt ein Statthalter der nationalen Eliten und Kapitalinteressen ist, dessen Aufgabe darin besteht, die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse fortzuschreiben. Er führte das Krisenmanagement zur Rettung der US-Wirtschaft weiter, das den sozialen Niedergang wachsender Bevölkerungsteile forcierte. Er unterließ die Strafverfolgung der Kriegsverbrecher in der Bush-Regierung und behielt die wichtigsten Ermächtigungsgesetze bei. Er stockte die Kampftruppen in Afghanistan massiv auf und etablierte den Drohnenkrieg. Und er unterließ alle Schritte, die das Establishment seines Landes ernsthaft konfrontiert hätten. Das Zwei-Parteien-System der USA hatte einmal mehr bewiesen, daß es den US-Bürgern nur die Wahl zwischen Sachwaltern einer Eigentümerklasse läßt, deren wichtigste Aufgabe darin besteht, die Dominanz ihrer Klientel zu sichern.

Das kollektive Bedürfnis nach einem Retter, das Obama mit großer Geste und pathetischer Rhetorik bediente, nährte den Mythos vom Wechsel, der in schlechten Zeiten als bloße Hoffnung auf bessere den letzten Strohhalm zur Aufrechterhaltung der Unterwerfung abgibt. In welchem Maße es Barack Obama gelungen ist, die schillernde Oberfläche der Seifenblase gescheiterter Ambitionen und gebrochener Versprechen nach seiner achtjährigen Amtszeit wie unversehrt zu präsentieren, seinen ansehnlichen Platz in der Chronik der Präsidenten nach dem unsäglichen George W. Bush und vor dem mutmaßlich noch verheerenderen Donald Trump wie ein Ruhmesblatt zu sichern und nicht zuletzt seine weitere Karriere abzufedern, unterstrich seine Abschiedsrede in Chicago, wohin er dauerhaft zurückkehren will.

Flankiert von übergroßen amerikanischen Flaggen und einem riesigen beleuchteten Präsidentensiegel, begleitet von der Musik der Rockband U2, zeigte sich Obama vor 18.000 begeisterten Anhänger von seiner stärksten rhetorischen Seite. Wie er verkündete, habe er nicht alles erreicht und viel bleibe noch zu tun, doch sei Amerika in fast jeder Hinsicht besser und stärker als zu Beginn seiner Amtszeit. Er lobte die "radikale Idee", daß alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten ausgestattet seien, die jedoch nur dann wirksam würden, wenn die Menschen zusammenkämen und ihre Rechte einforderten: [1]

Wenn wir uns der Angst unterwerfen, kann die Demokratie zusammenbrechen. Also müssen wir als Bürger nicht nur wachsam gegen äußere Aggressionen bleiben, sondern auch gegen eine Schwächung der Werte, die uns zu dem machen, was wir sind. Deshalb habe ich mich in den letzten acht Jahren bemüht, den Terrorismus auf rechtlich gesicherte Weise zu bekämpfen. Deshalb haben wir die Folter abgeschafft, an der Schließung von Guantanamo gearbeitet und unsere Überwachungsgesetze reformiert, um Privatsphäre und bürgerliche Freiheiten zu schützen. [2]

Das waren erstaunliche Worte aus dem Munde eines Präsidenten, der die Polizei militarisiert und die illegale Überwachung elektronischer Kommunikationen ausgeweitet, der Journalisten verfolgt und Whistleblower eingesperrt, das Gefangenenlager Guantanamo Bay weiterbetrieben und die für Folter verantwortlichen CIA-Mitarbeiter geschützt, der persönlich die Ermordung amerikanischer Staatsbürger und Tausender anderer Menschen auf der ganzen Welt durch Drohnen angeordnet hat.

Obama beklagte durchaus das Anwachsen sozialer Ungleichheit, die zu einer Explosion führen könne. Während die Reichsten einen größeren Anteil angehäuft hätten, blieben zu viele Familien in den Innenstädten und ländlichen Gebieten auf der Strecke. Gelangten diese Menschen zu der Auffassung, daß ihre Regierung nur den Interessen der Mächtigen diene, sei das ein Rezept für noch mehr Zynismus und Polarisierung in der amerikanischen Politik. Damit diente sich der scheidende Präsident nicht nur ein letztes Mal als Manager der sozialen Krise an, sondern leugnete zugleich, daß der Argwohn der Bevölkerung, was ihre Regierung betrifft, durchaus Hand und Fuß hat.

Vor allem aber brachte er seine Einwände so vor, als hätten diese Übel nicht das geringste mit seiner Regierung zu tun, die stets das Beste gewollt habe, aber immer wieder von konservativen bis reaktionären Kräften gebremst worden sei. Wer hat die Sozialausgaben mehrfach gekürzt, andererseits die Banken gerettet und Geld in den Aktienmarkt gepumpt? Die Umverteilung des Reichtums von unten nach oben hat unter anderem dazu geführt, daß die Lebenserwartung in den USA erstmals seit 23 Jahren gesunken ist, die Löhne für junge Erwachsene deutlich zurückgegangen sind, der Anteil junger Menschen an den Hauseigentümern auf einen historischen Tiefstand gesunken und die Zahl der Todesopfer durch synthetische Drogen rasant gestiegen ist. Wenngleich Obama stolz bilanzierte, daß die Zahl der Arbeitsplätze in jüngster Zeit stetig gestiegen sei, vergaß er zu erwähnen, daß 94 Prozent der neuen Arbeitsplätze, die in den letzten acht Jahren geschaffen wurden, Teilzeit- oder befristete Stellen sind.

Wie spärlich die Erfolgsgeschichten der Amtszeit Obamas sind, wenn man von der Krankenversicherung, dem Tauwetter mit Kuba oder dem Abkommen mit dem Iran absieht, belegen letzte Seitenhiebe gegen Rußland und China:

Der Kampf gegen Extremismus, Intoleranz und spaltende Politik stehen auf einer Stufe mit dem Kampf gegen autoritäres Verhalten und nationalistische Aggression. Wenn Respekt vor der Freiheit und vor dem Rechtsstaat weltweit schwinden, dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit eines Krieges zwischen Staaten, und unsere eigenen Freiheiten werden in Gefahr geraten.

Das außenpolitische Vermächtnis der Ära Obamas ist kein anderes als das seines Vorgängers George W. Bush. Wo dieser als fundamentalistischer Christ vom Armageddon träumte, schwört sein cooler Nachfolger auf das säkulare Credo der überlegenen westlichen Moderne. Das fabrizierte Bedrohungsszenario ist dasselbe: Im endlosen Krieg gegen den Terror Rußland und China in die Enge treiben, um sich der letzten verbliebenen Mächte zu entledigen, die einer unipolaren Weltordnung unter Führung der USA im Wege stehen. Daß diese Konfrontation und damit die Gefahr eines Weltkriegs in der Amtszeit Barack Obamas eine großen Schritt nähergerückt ist, steht außer Frage.


Fußnoten:

[1] https://www.jungewelt.de/2017/01-12/040.php

[2] https://www.wsws.org/de/articles/2017/01/12/obam-j12.html

12. Januar 2017


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