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HERRSCHAFT/1763: Von 1967 bis 2017 mit "Wüstenfuchs"-Legenden zu neuen Großtaten (SB)



In der Bundesrepublik herrschte im Juni 1967 nur unter einer kleinen Minderheit von Schülern und Studenten Aufbruchstimmung. Die große Mehrheit der Bevölkerung mißtraute dem Aufbegehren der Jugend zutiefst und wähnte sich bereits an der Schwelle zum tristen Sozialismus Marke DDR. Hohe Wachstumsraten, geringe Arbeitslosigkeit und ein im Vergleich zum Hartz-IV-Regime großzügiges Netz sozialer Sicherung hatten einen Wohlstand ermöglicht, der jeden Gedanken daran, daß es nicht allen Menschen auf der Welt so gut ging, als ärgerliche Störung der Konsumidylle erscheinen ließ. Selbst der mörderische Vietnamkrieg wurde als entlegenes Ereignis achselzuckend hingenommen oder gar als notwendige Verteidigung der Freiheit durch die Schutzmacht USA gutgeheißen.

Nicht nur die imperialistischen Kriege in den Ländern des Südens, sondern die satte Zufriedenheit im eigenen Land wurden zum Ziel linksradikaler Proteste. Die Verbindung zwischen bundesrepublikanischem Wohlstand und weltweiter Armut war leicht nachzuweisen und beschäftigte kritische Geister schon lange vor der sogenannten 68er-Bewegung. Die aus heutiger Sicht in den Vordergrund gestellte Abrechnung der Jugend mit der NS-Vergangenheit ihrer Eltern und Großeltern bestimmte deren Rebellion zweifellos, jedoch stand dies unlösbar im Zusammenhang mit der Kritik an Kapitalismus und Imperialismus, mit der die vor 40 Jahren ihren Höhepunkt erreichende, in Abgrenzung zum Traditionsmarxismus der verbotenen KPD wie zum Staatssozialismus der DDR als Neue Linke firmierende Gegenbewegung den Frieden der Paläste störte. Die Vernichtungsbilanz des 22 Jahre zuvor besiegten NS-Regimes war von seiner kapitalistischen Konstitution nicht zu trennen, so daß die Analyse folgerichtig eine systemische Kontinuität unterstellte, die in der Durchdringung des administrativen Apparats der Bundesrepublik mit NS-Beamten ihre Bestätigung fand.

Die im Vorfeld der Proteste gegen den Besuch des persischen Shahs in Berlin erzeugte Pogromstimmung sorgte denn auch für das erste Opfer der Neuen Linken. Der Tod Benno Ohnesorgs durch einen gezielten Schuß aus einer Polizeiwaffe hatte zwar erhebliche mobilisierende Wirkung, die ihm heute zugeschriebene Funktion einer Initialzündung für linke Militanz hebt jedoch zu sehr auf die verkürzte Sichtweise ab, derzufolge einzelne Personen und Ereignisse Anlaß für wirkmächtige historische Entwicklungen seien. Der Umgang mit staatlicher Gewalt wurde in den größeren gesellschaftlichen Zusammenhang gestellt und analytisch an der Konsequenz der Geschichte der Klassenkämpfe auf der Höhe des herrschenden Verwertungssystems erarbeitet.

Als ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die Konzernpresse den Zusammenhang zwischen kapitalistischer Gesellschaftsordnung und imperialistischer Kriegführung bestätigen wollten, begleiteten sie den drei Tage nach dem Tod Ohnesorgs losbrechenden Krieg im Nahen Osten mit einem geradezu euphorischen Triumphalismus. An die Spitze der Kampagne setzte sich, wie schon beim Shah-Besuch, die Springer-Presse. Sie feierte den enormen militärischen Erfolg der israelischen Streitkräfte als endlich einmal gelingende Variante der deutschen Blitzkriegsstrategie und stellte den israelischen Verteidigungsminister Moshe Dayan als Wüstenfuchs in die Tradition des Wehrmachtgenerals Erwin Rommel. Auf Stellwänden in Schulen wurden die Fortschritte der israelischen Truppen stündlich dokumentiert, und die Jugendlichen lernten Araber als nazistische Revanchisten kennen, die an den Israelis vollenden wollten, was die Nazis an den europäischen Juden begonnen hatten. Im militärischen Sieg der Opfer deutscher Vernichtungspolitik witterten die Bundesbürger die Auslöschung eigener Schuld, und der Mythos vom Mißbrauch der Wehrmacht durch das NS-Regime feierte Urständ.

Für die revolutionäre Linke bedeutete dies, sich mit der Unterstützung Israels einer antikommunistischen Ideologie anzudienen, die dem eigenen emanzipatorischen Anliegen konträr gegenüberstand. So hatte der Junikrieg 1967 die immer eindeutigere Solidarisierung mit der Sache der Palästinenser zur Folge, die heute den nicht nur gegen die damalige Linke, sondern alle Befürworter des palästinensischen Befreiungskampfes erhobenen Vorwurf eines linken Antisemitismus begründet.

Die Journalistin Ulrike Meinhof schrieb 1967 in dem Artikel "Drei Freunde Israels" [1], BILD habe in Sinai "endlich, nach 25 Jahren, doch noch die Schlacht von Stalingrad gewonnen". Es sei "der Geist des 'Wer Jude ist, bestimme ich', der sich da mit Israel verbündete, gleichzeitig mit den Totschlägern in Berlin". Die Frage "nach vernünftigen, stabilen, politischen Lösungen droht von pro- und anti-israelischem Freund-Feind-Denken erdrückt zu werden, dem auch die Linke erliegt, wo sie sich zwischen sowjetischer und israelischer Politik entscheiden zu müssen glaubt und davon doch nur auseinanderdividiert wird. Wir unterdrücken die Frage nicht: Was will Israel - leben oder siegen? Als Subjekt seiner eigenen Geschichte muss es diese Frage selber beantworten."

50 Jahre später schließt sich der Kreis. Am sogenannten Tag der Bundeswehr, auf dessen Datum am 10. Juni 2017 auch der Tag des für Israel siegreichen Endes des sogenannten Sechstagekriegs vor 50 Jahren fällt, der die palästinensische Bevölkerung seit einem halben Jahrhundert einem in seiner Dauer unabsehbar gewordenen Besatzungsregime und Siedlerkolonialismus unterwirft, widersprach Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei einem Besuch in der Generalfeldmarschall-Rommel-Kaserne im nordrhein-westfälischen Augustdorf ihrer Ankündigung, Kasernen umzubenennen, die noch die Namen bekannter Wehrmachtsgeneräle tragen. Die Generalfeldmarschall-Rommel-Kaserne sei ganz gezielt an einem Jahrestag des Widerstands mit diese Namen versehen worden, was belege, "dass Rommel seine Rolle im Widerstand auch gehabt hat".

Die Unterstellung, Rommel habe Widerstand gegen Hitler geleistet, ist an anderer Stelle [2] ausführlich in ihrer Haltlosigkeit widerlegt worden. Diese Irreführung mit der primären Namensgebung zu verifizieren ist ein Zirkelschluß, denn es gibt keine neuen Belege für die Behauptung der Verteidigungsministerin. Allein der Versuch, einen der berühmtesten, an Kriegsverbrechen beteiligten Wehrmachtsgeneral zum Widerständler gegen das NS-Regime zu erklären, ohne dessen glaubwürdigen, auch die eigenen militärischen Erfolge betreffenden Bruch mit seiner Rolle als Erfüllungsgehilfe des von ihm verehrten Führers belegen zu können, ist ein Affront gegen all diejenigen Frauen und Männer, die von Anfang an gegen Hitlerdeutschland gekämpft haben, ob als einfacher Bürger, als Kommunist, Sozialdemokrat, Christ oder Partisan. Der große Mut und das Ausmaß der Verzweiflung, derer es bedurfte, als Antifaschist das eigene Leben wie das der Angehörigen zu riskieren, werden schlicht negiert, wenn die politische und inhaltliche Bestimmung des Begriffes Widerstand zugunsten der Staatsräson inflationär entwertet wird.

Im Falle von der Leyens kommt erschwerend hinzu, daß sie nur einen Monat zuvor mit der Existenz rechtsterroristischer Zellen innerhalb der Bundeswehr konfrontiert war. Das gilt nicht nur für das Netzwerk um Franco A., dessen Aktivitäten die Existenz zum Putsch bereiter Offiziere innerhalb der Bundeswehr nahelegte. So wurde an dem Bundeswehrstandort in Augustdorf im Mai ein Oberleutnant suspendiert, der sich damit brüstete, eine Gruppe gewaltbereiter Offiziere zu kennen, die Waffen und Munition sammeln, um im Fall eines Bürgerkriegs auf der richtigen Seite zu kämpfen.

Indem die Verteidigungsministerin nach ihrem anfänglichen Versuch, die Affäre aufzuklären, mit ihrem Bekenntnis zu Rommel als Widerstandskämpfer einen Rückzieher gemacht hat, signalisiert sie ihre Bereitschaft, einen Burgfrieden mit der Generalität einzugehen. Dieser Schritt wird die Bemühungen, rechtsterroristische Aktivitäten in der Bundeswehr zu verfolgen, voraussichtlich im Sande verlaufen lassen. Indem die politische Führung vor der Truppe einknickt, bestätigt sie, daß die sogenannte Parlamentsarmee ein Machtfaktor ist, mit dem gerade in Zeiten der Krise und des Ausnahmezustands zu rechnen ist. Zudem gibt sie der Tradition, sich in der Bundeswehr positiv auf die Wehrmacht zu beziehen, den Zuschlag.

Damit kann eine "Bundeswehr im Einsatz" selbstverständlich gut leben, hat doch die Strategie des Blitzkrieges, für die auch Rommel stand, bis heute nichts von ihrem Vorbildcharakter unter den Strategen des Angriffskrieges verloren [3]. Daß die Rehabilitation der Wehrmacht zumindest im Sinne ihrer militärischen Bedeutung all ihrer ausführlich dokumentierten Beteiligung an Kriegsverbrechen zum Trotz einem Staat ideologisch ins Konzept paßt, der dabei ist, sich zu einem geostrategischen Faktor von Rang aufzuschwingen, verortet die geschichtspolitische Revision der Rolle Rommels durch die Verteidigungsministerin im Kontext hegemonialpolitischer Ambitionen.

Auch wenn die datumstechnische Koinzidenz, Rommel als Widerstandskämpfer in die Ahnenreihe positiver Vorbilder der Bundeswehr aufzunehmen und das für Israel siegreiche Ende des Juni-Krieges vor 50 Jahren zu feiern, sicherlich zufälliger Art ist, haben beide Ereignisse einen hohen Stellenwert für die nach 1990 intensiv angestrebte Legitimation Deutschlands, wie andere Nationalstaaten auch Krieg außerhalb des Verteidigungsauftrages führen zu können. So bestehen enge Verbindungen rüstungs- wie ausbildungstechnischer Art zwischen der Bundeswehr und den Israelischen Streitkräften. So lernen Bundeswehrsoldaten in Israel aus erster Hand die an der militärischen Unterdrückung der Palästinenser entwickelte Technik der Aufstandsbekämpfung und des Häuserkampfes.

Anläßlich des 50jährigen Gedenkens an den Juni-Krieg wird ein Bündnis beschworen, in dem das Gedenken an die Vernichtung der europäischen Juden durch den NS-Staat geschichtspolitisch - nicht das erste Mal, siehe Jugoslawienkrieg - für das potentielle Führen von Aggressionskriegen instrumentalisiert wird. Wenn dies noch im Zusammenhang mit einer Rechtsentwicklung in der Bundesrepublik steht, wie es sie nach dem Hitlerfaschismus nicht mehr gegeben hat, dann gibt es allen Anlaß, das schnelle Ziehen der Antisemitismuskarte selbst bei gut begründeter Kritik am Staate Israel in den Kontext herrschaftsförmiger Absichten zu stellen. Deren Sachwalter haben noch niemals Menschen aus ihrer Ohnmacht befreit, die unter die Räder des kapitalistischen Weltsystems und seiner ausführenden Gewaltorgane geraten sind.


Fußnoten:

[1] http://radiochiflado.blogsport.de/2012/11/21/ulrike-meinhof-zwischenwort/

[2] German Foreign Policy, 17.05.2017 - Hitler treu ergeben
http://news.dkp.suhail.uberspace.de/2017/05/hitler-treu-ergeben/

[3] HERRSCHAFT/1757: Im sozialen Ausnahmezustand ist mit der Bundeswehr zu rechnen (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/herr1757.html

11. Juni 2017


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