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HERRSCHAFT/1818: Europawahl - und dann wird Politik gemacht ... (SB)



Willkommen sind alle Parteien, für die Attribute wie konservativ, freiheitlich und patriotisch mehr sind als leere Worthülsen. Nicht willkommen sind uns Sozialisten, Kommunisten, Ökofaschisten und Extremisten - und zwar aus dem linken wie aus dem rechten Lager.
Jörg Meuthen wirbt für eine rechte Fraktion im EU-Parlament [1]

Rechtsgerichtete Bewegungen und Parteien sind in zahlreichen Ländern Europas auf dem Vormarsch. Mit Viktor Orbáns Fidesz in Ungarn, Jaroslaw Kaczynskis PiS in Polen, Matteo Salvinis Lega in Italien und Heinz-Christian Straches FPÖ in Österreich stellen sie allein oder in Koalition die Regierung, Marine Le Pen vom französischen Rassemblement National, Geert Wilders' niederländische Partei der Freiheit, der belgische Vlaams Belang oder die deutsche AfD verfügen über beträchtlichen Einfluß, um nur einige zu nennen. Gelänge es ihnen, ihre partiellen Interessengegensätze zurückzustellen und sich in gemeinsamen Kernfragen zu verbünden, drohte eine Stärkung reaktionärer Positionen auf breiter Front, die über ihre bislang ausgeübte Wirkung weit hinausreichte. Angesichts ihrer Fixierung auf nationale Identität und Stärkung des eigenen Staates wie auch einer mehr oder minder weitgehenden Ablehnung supranationaler Administrationen wie die Europäische Union scheint eine rechte Internationale zunächst ein Widerspruch in sich zu sein. Das könnte sich jedoch schnell ändern, weshalb derzeit kursierende Einschätzungen, dieses politische Lager sei seit jeher zersplittert und werde auch künftig an seinen inneren Widersprüchen scheitern, den Ernst der Lage fatal unterschätzt.

Nach den Europawahlen am 26. Mai will die sogenannte "Europäische Allianz der Völker und Nationen" (European Alliance of Peoples and Nations, EAPN) stärkste Fraktion im EU-Parlament werden. Unter Führung des italienischen Innenministers und Vizepremiers Matteo Salvini soll ein neues europäisches Bündnis der Nationalisten und Rechtspopulisten geschmiedet werden, das als paneuropäische Sammlungsbewegung seinen Einfluß geltend macht. Das ambitionierte Vorhaben sieht insbesondere vor, die im Europäischen Parlament bislang auf verschiedene Fraktionen verteilten rechten Parteien in einer einzigen zusammenzuführen. Diese würde dann über einen beträchtlichen Stimmenanteil verfügen, der bei diversen wichtigen Abstimmungen Weichen stellen oder Entscheidungen blockieren könnte, während zugleich eine Reihe einflußreicher Positionen in den Kommissionen besetzt würden. [2]

Wie stark diese Fraktion letzten Endes wird, hängt zum einen vom Ausmaß des Stimmenzuwachses ab, der diesen Parteien bei der Europawahl prognostiziert wird. Zum anderen ist vorerst noch offen, wie viele Parteien sich von Salvinis Anschub inspirieren lassen, dem Ruf zum Schulterschluß zu folgen. Stärkste Fraktion wird die EAPN eher nicht werden, doch könnte sie es zur drittgrößten oder im Falle eines dramatischen Absturzes der sozialdemokratischen Parteien sogar zur zweitgrößten bringen, sofern alle adressierten Bündnispartner mitziehen.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán, der als Leitfigur der Rechten in Ostmitteleuropa sehr wichtig für den Zusammenschluß wäre, hat Salvinis Vorhaben allerdings eine Absage erteilt. Nachdem die Europäische Volkspartei die Fidesz nicht ausgeschlossen, sondern nur suspendiert hat, will er seine Position innerhalb der immer noch stärksten europäischen Fraktion halten. Im EU-Parlament bilden Salvinis Lega, Straches FPÖ und Le Pens Nationale Sammlungsbewegung bislang die Fraktion "Europa der Nationen und der Freiheit" (ENF), der aktuell 37 Parlamentarier angehören. Im derzeitigen Parlament sitzen bereits rund 150 Parlamentarier, die eine Gesetzgebung durch die EU ablehnen. Neben den Abgeordneten der ENF sind dies auch Mitglieder der Fraktion "Europa der Freiheit und der direkten Demokratie" (EFDD), in der vor allem Brexit-Befürworter der britischen Ukip, aber auch Italiener der Fünf-Sterne-Bewegung vertreten sind. Hinzu kommen 20 Fraktionslose, unter ihnen der NPD-Abgeordnete Udo Voigt, sowie Vertreter der ungarischen Jobbik-Partei und der faschistischen griechischen Goldenen Morgenröte. [3]

Die AfD war bei der Europawahl 2014, nur ein Jahr nach ihrer Parteigründung, auf sieben Prozent gekommen und mit sieben Abgeordneten in das EU-Parlament eingezogen. Wegen der 2015 erfolgten Spaltung der Partei ist Jörg Meuthen aktuell der einzige Europaabgeordnete der AfD und Mitglied der europafeindlichen Fraktion "Europa der Freiheit und der direkten Demokratie". Der AfD, die unter dem Motto "Freiheit statt Brüssel" ihren Europawahlkampf eröffnet hat, werden nach jüngsten Umfragen neun bis elf Prozent zugetraut, etwas weniger als bei den Umfragen zur Bundestagswahl.

Meuthen bildete gemeinsam mit Salvini das Führungsduo auf einer Pressekonferenz zur Gründung des rechten Europabündnisses in einem Mailänder Nobelhotel. Aus Finnland kam der EU-Kandidat Olli Kotro von der rechtspopulistischen Kleinpartei Die Finnen, von der dänischen Dansk Folkeparti setzte sich der EU-Abgeordnete Anders Vistisen auf das Podium. Das Gesamtbild fiel mager aus, da Marine Le Pens Rassemblement National, Geert Wilders' Freiheitspartei, die österreichischen Freiheitlichen, die ultrarechte spanische Vox und Vertreter der Visegrád-Staaten fehlten. Das ist jedoch nicht mit grundsätzlichen Absagen an das Vorhaben gleichzusetzen, da der eigentliche Startschuß am 18. Mai bei einem Großevent in Mailand fallen soll, an dem dann auch all jene Parteien teilnehmen werden, die sich der Rechtsallianz anschließen. Mindestens ein Dutzend Gruppen aus weiteren Ländern sollten bis dahin dazustoßen, gab Jörg Meuthen als optimistisches Ziel aus.

Die Inhalte der einstündigen Pressekonferenz blieben zwangsläufig rar, um den angestrebten Pool offenzuhalten. Nach den Worten Salvinis werde man einen "neuen Traum" für Europa stiften und dafür die Union "radikal" reformieren, den Brüsseler Zentralismus eindämmen und die Hoheit der Nationen etwa beim Staatshaushalt stärken. Die Sozialisten und Konservativen, die Europa seit Jahrzehnten regierten, hätten nur einen "Albtraum" produziert. "Die Europäer wurden betrogen von den Bürokraten, den Bankern und den Gutmenschen", wetterte er. Seine Allianz werde sich für ein Europa der Arbeit, der Sicherheit und des Grenzschutzes einsetzen.

Um das zu erreichen, wolle man künftig nicht zersplittert, sondern geeint auftreten. Willkommen seien alle Parteien, "für die Attribute wie konservativ, freiheitlich und patriotisch mehr sind als leere Worthülsen". "Nicht willkommen sind uns Sozialisten, Kommunisten, Ökofaschisten und Extremisten - und zwar aus dem linken wie aus dem rechten Lager." Meuthen plädierte zudem für einen "machtvollen Schutz" an den EU-Außengrenzen und die Zurückdrängung der "illegalen Migration". In die "Festung Europa" solle nur kommen, wer ausdrücklich hereingelassen werde. Die italienische Lega zeige exemplarisch, wie das geht.

Salvini räumte durchaus Differenzen zwischen den verschiedenen Parteien ein, was aber angesichts des angestrebten Schutzes der nationalen Identität kein Problem sei. Unerwähnt blieben denn auch die Kontroversen in der Migrationsfrage, da Salvini beim Versuch, Geflüchtete auf andere Länder weiterzuverteilen, bei der polnische PiS und der ungarischen Fidesz auf Granit gebissen hatte. Den Polen wiederum sind die guten Beziehungen zu Wladimir Putin, die Salvini und Le Pen ebenso wie Österreichs Freiheitliche pflegen, ein Dorn im Auge. Die FPÖ hat zwar keinerlei Berührungsängste mit der AfD, muß aber beim Werben um Stimmen aus dem konservativen Lager Vorsicht walten lassen, um dieses Segment der Wählerschaft nicht abzuschrecken. Marine Le Pen bedient nicht selten die Ressentiments ihrer Landsleute gegenüber Italien, dessen aktueller Umgang mit Staatsschulden von der AfD keinesfalls gutgeheißen wird.

Insofern ist eigentlich nicht abzusehen, wie sich die potentiell an einer gemeinsamen Fraktion beteiligten rechten Parteien in inhaltlichen Fragen einigen sollten. Das ist vielleicht aber auch gar nicht erforderlich, soweit sie sich auf die Ablehnung der EU in ihrer bestehenden Form konzentrieren und ihren Entwurf einer radikalen Reform schlichtweg nicht konkretisieren. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang eine Aussage Alexander Gaulands beim Wahlkampfauftakt in Offenburg. Warum sich an der Wahl beteiligen, wenn das Europaparlament nichts zu sagen hat? Die AfD wolle möglichst viele Vertreter in ein Parlament schicken, das sie abschaffen möchte, klärte der AfD-Vorsitzende sein Publikum über den offenkundigen Widerspruch auf. "Da die EU kein Staat ist, braucht sie kein Parlament." Seiner Partei schlägt Gauland vor, die Europawahl wie die letzte Volkskammerwahl in der DDR anzusehen. Auch damals hätten Parteien in eine dem Untergang geweihte Volksvertretung gestrebt, um die Zukunft mitzuprägen. [4]

Für die rechten Parteien ist Parlamentarismus kein Selbstzweck oder Wert an sich, sondern vorübergehendes Mittel auf dem Weg zur Machtübernahme. Sie machen davon Gebrauch, soweit es ihrem Vorteil dient, setzen aber zugleich auf seinen Zusammenbruch oder seine Zerschlagung. Eine starke "Europäische Allianz der Völker und Nationen" käme daher ohne jeden konstruktiven Zukunftsentwurf samt entsprechender Agenda aus, und ihr das als Schwäche anzulasten, zeugte von der fundamentalen Verkennung seitens des bürgerlichen Lagers.


Fußnoten:

[1] www.faz.net/aktuell/politik/ausland/vor-der-europawahl-afd-und-lega-bilden-gemeinsame-fraktion-im-eu-parlament-16130556.html

[2] www.sueddeutsche.de/politik/rechtspopulismus-europawahl-lega-afd-1.4401092

[3] www.welt.de/politik/ausland/article191527471/Europawahl-2019-AfD-und-Lega-bilden-neue-Fraktion-im-EU-Parlament.html

[4] www.faz.net/aktuell/politik/afd-und-europawahlkampf-gaulands-abflussbecken-16129238.html

9. April 2019


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