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HERRSCHAFT/1849: USA - das Elend der Zurückgewiesenen ... (SB)



Als "Sieg für die Grenze" feiert US-Präsident Donald Trump die Bestätigung seiner restriktiven Asylpolitik durch den Obersten Gerichtshof der USA. Das mehrheitlich konservative Gremium des Supreme Court hob die Entscheidung eines untergeordneten Gerichtes auf, die von der Trump-Administration eingeführte Drittstaatenregelung zu blockieren. Sie sieht vor, keinerlei Asylanträge mehr von Menschen zu bearbeiten, die auf ihrer Flucht vor politischer Unterdrückung und sozialer Verelendung durch Mexiko reisen, um die Südgrenze der Vereinigten Staaten zu überqueren. Es handelt sich meist um Flüchtende aus mittelamerikanischen Staaten wie Honduras, El Salvador und Guatemala, die in den USA nicht etwa mit kriminellen Mitteln ihr Glück machen wollen, wie von Trump-AnhängerInnen behauptet, sondern die schon von Glück reden können, wenn sie den nächsten Tag überleben.

Die Südgrenze der USA und darüber hinaus jene Mexikos lassen sich mit steilen Stufen vergleichen, die erfolgreich zu erklimmen für viele eine Frage von Leben und Tod ist. Da die politische Repression in diversen Staaten Mittel- und Südamerikas nicht zuletzt US-amerikanischem Einfluß auf die von Washington als eigene geostrategische Hemisphäre beanspruchte Region geschuldet ist, hätte das ehemalige Einwanderungsland allen Grund dazu, den Opfern dieser Politik zumindest das Recht auf Schutz und den Anspruch auf ein Leben in Würde zuzuerkennen. Trumps mehrfach gegenüber hispanischen MigrantInnen ausgedrückter Abscheu fällt auf fruchtbaren Boden einer gesellschaftlichen Rechtsentwicklung, die wie in der EU im jeweils schwächeren Menschen nicht nur eine zu bekämpfende Konkurrenz um den eigenen Anteil am gesellschaftlichen Reichtum, sondern eine regelrechte Bedrohung der eigenen Sicherheit ausmacht.

Dabei sorgt die millionenfache Verwertung undokumentierter migrantischer Arbeitskraft auf den Feldern und Plantagen, in den Schlachtfabriken und Dienstleistungsbetrieben der USA, die nicht selten unter Bedingungen regelrechter Lohnsklaverei stattfindet, für eine reale Steigerung des gesellschaftlichen Gesamtgewinns. Unter legalen Voraussetzungen würden sich nur wenige US-BürgerInnen finden lassen, die diese häufig sehr schmutzigen und gefährlichen Arbeiten verrichten, dennoch erfreut sich die rassistisch determinierte Flüchtlingsabwehr der Trump-Administration großer Zustimmung in der weißen Bevölkerung. Wer nicht als "Caucasian", so die behördlich am häufigsten verwendete Bezeichnung für Weiße, eingestuft wird, soll außer Landes bleiben.

Um dies zu erreichen, wurde neben dem Office of Border Patrol, das für die direkt an der Grenze stationierten Beamten zuständig ist, die für die Bekämpfung illegaler Migration im weiteren Sinne zuständige Vollzugsbehörde U.S. Immigration and Customs Enforcement (ICE) mit einem umfassenden Arsenal an Zwangsinstrumenten ausgestattet. Sie verfügt über Inhaftierungszentren für 35.000 permanent in Lagerhaft befindliche MigrantInnen, die mit Isolationstrakten ausgestattet sind, um widerständige Insassen zu brechen. Die Luftflotte für Abschiebeflüge ICE Air fliegt 185 Länder an, um die unerwünschten Menschen wieder loszuwerden. In Isolationshaft haben sich mehrere Inhaftierte umgebracht. Häufig kommt es zu Beschwerden wegen sexueller Belästigung durch Vollstreckungsbeamte. Familien werden auseinandergerissen, Kinder zur Adoption freigegeben, und der Zeitraum zwischen der Deportation von Kindern und Eltern kann mehrere Jahre betragen.

Nicht gering zu schätzen ist der Vorbildcharakter der staatlichen Migrationsabwehr für den Ausbau einer Repression, die auch die legale US-Bevölkerung qualifizierten Unterdrückungsmaßnahmen aussetzen kann. So drohte Trump im Frühjahr die Verhängung des Notstandsrechtes an, um an die Haushaltsmittel für den Bau der von ihm vermutlich als Monument eigener Größe gedachten Grenzmauer zu gelangen. Die zur Internierung der MigrantInnen geschaffene Lagerstruktur übertrifft in einigen Belangen sogar die HighTech-Knäste des regulären Strafvollzugssystems, verfügen die inhaftierten MigrantInnen doch über noch weniger Rechte als dessen InsassInnen.

Der rassistische Charakter dieser Maßnahmen zeigt sich auch darin, daß immer wieder nichtweiße StaatsbürgerInnen der USA in ICE-Lagerhaft geraten. Es hat in einzelnen Fällen bis zu drei Jahre gedauert, bis sie dort den Nachweis der Legalität ihres Aufenthaltes im Land erbringen konnten. Wie wenig die faktischen Grundlagen staatsbürgerlicher Zugehörigkeit tatsächlich zählen, wenn es um die Frage geht, wer draußen bleiben und damit vielleicht sterben muß und wer reingelassen wird und leben darf, hat sich in der haßerfüllten Kampagne Trumps gezeigt, in der er vier nichtweiße Parlamentarierinnen der Demokraten aufforderte, das Land in Richtung ihrer angeblichen Heimat, also des ethnisch bestimmten vermeintlichen Ortes ihrer Herkunft, zu verlassen. Wer die Sprechchöre hört, wenn die von Trump angestachelte Meute im Chor "Send her back" brüllt, der weiß, was die Stunde geschlagen hat. Gemeint war damit die Abgeordnete Ilham Omar, die im Unterschied zu Alexandria Ocasio-Cortez, Rashida Tlaib und Ayanna Pressley nicht in den USA geboren war und den Fehler begangen hatte, sich mit dem Kampf der PalästinenserInnen gegen die israelische Siedlungs- und Annexionspolitik zu solidarisieren.

White supremacy im Wortsinn herrscht, wenn ein blonder weißer Mann, dessen Mutter aus Schottland in die USA eingewandert ist und dessen Vater Sohn deutscher Eltern war, für sich in Anspruch nimmt, darüber entscheiden zu können, wer aufgrund seiner oder ihrer familiären Herkunft dazugehört und wer nicht. Afroamerikanische und hispanische Menschen jedenfalls sollen weit höhere Hürden beim Erlangen der US-Staatsbürgerschaft überwinden als etwa seine Ehefrau, die mit einem Touristenvisum in die USA eingereist war und dort illegal als Model arbeitete. Melania Trump hätte damit eigentlich den Anspruch auf Einbürgerung verwirkt, doch als Gefährtin eines Immobilienmoguls war sie unangreifbar. Später wanderten ihre Eltern im Rahmen einer Familienzusammenführung in die USA ein, ein Verfahren, das Trump im Falle nichtweißer MigrantInnen mehrfach als illegitim verurteilt hat.

Manche sind eben weißer als weiß, das gilt in den USA wie in der EU, wo die Legende vom großen Austausch der weißen Mehrheitsbevölkerung die verschwörungstheoretische Runde macht. Im Fall der Vereinigten Staaten stellt dies eine besonders tiefe Zäsur dar, da die Einwanderung aus aller Welt praktisch das Fundament der US-amerikanischen Gesellschaft darstellt, das wiederum auf den Gebeinen von Millionen vertriebener und massakrierter UreinwohnerInnen lastet. Nicht nur politische und soziale Mißstände treiben die Menschen in Lateinamerika in die Flucht, zusehends sind sie auch von der menschengemachten Klimakatastrophe betroffen. Während die globaladministrative Vormachtstellung der USA sich eines besonders hohen Pro-Kopf-Verbrauches an Naturressourcen und eines demgemäßen Ausstoßes an Treibhausgasen verdankt, sollen die zerstörerischen Folgen dessen bleiben, wo es früher hieß, daß dort der Pfeffer wächst. Jüngstes Beispiel dafür: Über 100 Menschen, darunter Kinder, die nach der Verwüstung der Bahamas durch den Hurrikan Dorian in den USA Schutz suchen wollten, diffamierte Trump als üble Kriminelle. Ihnen wurde das Besteigen der Fähre nach Florida aufgrund eines fehlenden Visums untersagt.

Um so verheißungsvoller für eine Zukunft der hermetischen Abschottung gegen die anwachsende Schar von Flüchtenden, deren Lebensräume durch die Klimakatastrophe unbewohnbar geworden sind, präsentiert sich das transatlantische Bündnis für Xenophobie und Klimawandelleugnung. So polemisiert die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel gegen die Forderungen nach einer weitreichenden Klimaschutzpolitik und verlangt gleichzeitig, die Grenzen der EU stärker abzuschotten. Die eigene Verantwortung für die anwachsende Naturzerstörung leugnen, indem die berechtigte Existenzangst der Menschen in Aggression gegen das Fremde und Andere gerichtet wird, ist ein probates Mittel, bei dessen erfolgreicher Anwendung sich RassistInnen dieseits und jenseits des Atlantiks die Hände reichen können. Diese Entwicklung ist längst darüber hinaus, noch durch moralische oder rechtsförmige Kriterien eingehegt zu werden - im Wettstreit darum, wer am weißesten ist, sind die letzten Hüllen vorgeschützten Anstandes gefallen, so daß der unmoderierte Sozialdarwinismus freie Bahn hat.

12. September 2019


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