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HERRSCHAFT/1911: Bourgeoisie future ... (SB)



Der Kapitalismus hat uns unfassbare Erfolge beschert. Auf der Welt lebt es sich insgesamt gesehen heute besser und sicherer, reicher und satter, gesünder und länger als es jemals für eine Menschheitsgeneration auf diesem Planeten galt.
Robert Habeck (gegenüber dem Institut der deutschen Wirtschaft) [1]

Wie dieses Bekenntnis Robert Habecks unterstreicht, kann die Bewältigung der ökonomischen, ökologischen und sozialen Krise aus Perspektive seiner aufstrebenden Partei nur auf einen grünen Kapitalismus hinauslaufen. In seinem unstillbaren Drang, aus Geld mittels der Warenproduktion mehr Geld zu machen, ist das Kapital blind gegenüber jeglichen Zerstörungsfolgen seiner Verwertungsbewegung und erzwingt uferloses Wachstum, welches die Klimakatastrophe maßgeblich verursacht. Dessen ungeachtet schwören die Grünen auf eben dieses Gesellschaftssystem und dienen sich als dessen innovative Sachwalter und Retter an, indem sie unter ihrer Regie gleich dem Phönix aus der Asche eine neue Runde der Kapitalverwertung in Aussicht stellen. Ein grünes Akkumulationsregime, gestützt auf Ökobranche und eine massive staatliche Anschubfinanzierung, soll mit marktwirtschaftlichen Mitteln den ökonomischen Kollaps bannen und das Aufheizen des Klimas zügeln. Als staatskonforme Modernisierer stehen die Grünen in Konkurrenz zu den Konservativen für ein zukunftsfähiges Bürgertum und tragen damit die Positionierung zu Grabe, eine umfassende gesellschaftliche Umkehr und radikale Neuausrichtung in Angriff zu nehmen, wie sie angesichts der Wucht und anwachsenden Eskalation der Verwerfungen unverzichtbar anmutet.

Ob Green New Deal oder European Green Deal - gemeint ist ein grüner Kapitalismus, der unter Fortschreibung der Macht- und Eigentumsverhältnisse auf Grundlage einer wachstumsgestützten Wirtschaft die ökonomische Krise meistern, die Klimakatastrophe abwenden und Wohlstand für alle schaffen soll. Die gesellschaftlichen Widersprüche werden ausgeblendet, um sie innovativ fortzuschreiben, wofür ein Luftschloss vorgehalten werden muss, das ein nachhaltiges Umsteuern postuliert und mit zahlreichen Konstruktionselementen und Zielsetzungen aus sozialen und ökologischen Bewegungen angereichert ist. Diese werden nicht etwa frontal blockiert und damit zu Widerspruch und Gegenwehr gereizt, sondern von oben her okkupiert, instrumentalisiert und beim Kreuzzug in die Katastrophe angeführt.

In diesem Sinne formiert sich ein breites Bündnis aus Politik, Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen, das den strategischen Entwurf unterstützt, die von der Coronapandemie zugespitzte Wirtschaftskrise biete Gelegenheit zu einer konstruktiven Zäsur, einem Neustart der Wirtschaft in Deutschland und den anderen EU-Staaten unter grünem Vorzeichen. "Die Europäische Union muss ein neues Wohlstandsmodell entwickeln", verlangt eine Koalition aus 180 europäischen Politikern, Unternehmensbossen und Verantwortlichen großer NGOs. Dazu zählen die Umweltminister aus zahlreichen Ländern und viele EU-Abgeordnete nicht nur aus der Fraktion der Grünen. Mit von der Partie sind Generaldirektoren von Großunternehmen wie Ikea, Renault, EON oder Suez, dem weltweit größten Wasserkonzern, sowie Vertreter von Umweltschutzeinrichtungen, darunter die Französin Laurence Tubiana, Leiterin der European Climate Foundation und Chefarchitektin des Pariser Klimaabkommens von 2015.

Dem Credo dieser versammelten Prominenz zufolge bedarf es massiver Investitionen in ein klimafreundlicheres und zukunftsträchtigeres Modell ganz im Geiste des Green Deal, den Ursula von der Leyen für die Europäische Union plant. Der Appell listet ambitionierte Maßnahmen auf: "Der Umbau hin zu einer Kohlenstoff-neutralen Wirtschaft, zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft und der Schutz der Artenvielfalt bergen das Potenzial, Arbeitsplätze und Wohlstand zu schaffen sowie die Lebensqualität der Bürger zu verbessern. Damit können wir widerstandsfähigere Gesellschaften aufbauen."

Es spräche natürlich nichts gegen einen neuen, mutigen Ansatz, bräche er denn mit der profitgetriebenen Wachstumsstrategie. Das ist jedoch am allerwenigsten vorgesehen. Interessierten sich die Eliten Europas wirklich für die globale Erwärmung, sprächen sie nicht von Klimaneutralität, sondern von Klimagerechtigkeit. Nur wer von einer relationalen und kritischen Betrachtung der historischen Akkumulationsprozesse ausgeht, kann alternative Lebenssysteme hervorbringen.

Andernfalls setzt sich die koloniale Ausplünderung fort, in deren Verlauf die industrialisierten Ökonomien jahrhundertelang ihren monströsen ökologischen Fußabdruck hinterlassen haben, beuten die Rohstoffe verwertenden Megakonzerne der Energiewirtschaft, des Bergbaus und der Agroindustrie nunmehr im Zeichen des grünen Kapitalismus den globalen Süden weiterhin exzessiv aus und verwüsten Erde wie Klima. Die Idee eines unendlichen ökonomischen Wachstums auf einem Planeten mit begrenzten Sourcen mag allenfalls dann überzeugend anmuten, wenn man den Eliten angehört, die Ewigkeit an der eigenen Lebensspanne bemisst und überdies der vagen Hoffnung frönt, die ökonomischen und ökologischen Katastrophenszenarien ließen sich lange genug auf die restliche Menschheit umlasten.


Portrait - Foto: © 2021 by Bündnis90/Die Grünen

Annalena Baerbock
Foto: © by Bündnis90/Die Grünen, gruene.de


Grüner Kapitalismus im Sprung auf die Regierungsbank

In Deutschland setzen die parteipolitischen Sachwalter des grünen Kapitalismus zum erneuten Sprung auf die Regierungsbank wenn nicht gar ins Kanzlerinnenamt an. Seit ihrer Gründung vor vierzig Jahren haben es die Grünen immer wieder verstanden, als Sammelbecken verschiedene Bewegungen zu integrieren und darüber linke Positionen zu eliminieren. Sämtliche Flügelkämpfe endeten mit dem Sieg der Realos, welche die Partei auf bürgerlich konsensfähige Positionen einschworen und um des Wahlerfolgs willen radikalere Ansätze entsorgten. Waren die Grünen ursprünglich in der Friedensbewegung verankert, so verwandelten sie sich in einen Wegbereiter deutscher Kriegsführung, zu der sie maßgebliche ideologische Begründungen beisteuerten. Während der "Verrat" an der Arbeiterbewegung lange schon zu einem geflügelten Wort bei der kritischen Einschätzung der Sozialdemokratie geworden war, erfüllten die Grünen eine durchaus vergleichbare eindämmende und kanalisierende Funktion in jenen Kreisen, die sich nach dem Niedergang des antikapitalistischen Kampfes verstärkt Umweltschutz, Pazifismus und soziale Emanzipation auf ihre Fahnen geschrieben hatten.

Das zeichnet sich nicht auf sämtlichen Feldern in aller Deutlichkeit ab, da dieser integrative und herrschaftskonforme Prozess noch längst nicht abgeschlossen ist. So gelten die Grünen noch immer als genuine Umweltpartei, obgleich sie einem Entwurf den Weg bereiten, der die ökologische Katastrophe nicht nur nicht abwenden kann, sondern im Gegenteil jene Maßnahmen ausblendet und verhindert, die unverzögert ergriffen werden müssten, wollte man die Klimakatastrophe zumindest noch bremsen. Eine ökosozialistische Stoßrichtung, die geeignet sein könnte, fundamentale gesellschaftliche Veränderungen mit wirksamen umweltpolitischen Steuerungsprozessen zu verbinden, rückt damit in um so weitere Ferne, als die Grünen mit wachsendem Erfolg für sich reklamieren, über ein Zukunftsmodell zu verfügen, das inmitten multipler Krisen ohne gravierende gesellschaftliche Umbrüche wachstumsfördernde Lösungswege in Aussicht stellt.

Als Partei des wohlhabenden, gebildeten, städtischen Kleinbürgertums repräsentieren die Grünen zwar eine Gesellschaftsschicht, die für die akut vom Abstieg bedrohten oder bereits abgehängten Bevölkerungskreise unerreichbar geworden ist. Da an der Wahlurne aber insbesondere mit Hoffnungen, Versprechen und anderen Luftschlössern gehandelt wird, stehen ihre Chancen nicht schlecht, auch einen Gutteil der Opfer ihrer langjährigen Politik als Stimmvolk auf ihre Seite zu ziehen.


Sozialer Kahlschlag und Kriegführung unter Rot-Grün

Ihre Regierungsfähigkeit auf Bundesebene haben die Grünen schon vor Jahren unter Beweis gestellt. In der rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder und Joseph Fischer schufen sie zusammen mit den Sozialdemokraten durch die Hartz-Gesetze und die Agenda 2010 den größten Niedriglohnsektor Europas und führten damit die weltweit gravierendste sozialpolitische Umverteilung in einem Industriestaat herbei. Aus heutiger Sicht ist die Lohnquote der abhängig Beschäftigten um mehr als 10 Prozent zurückgegangen, für die unteren 40 Prozent bedeutet das die Absenkung ihrer Reallöhne unter das Niveau von 1995. Vom wachsenden Wohlstand, der allenthalben ins Feld geführt wird, haben die unteren zwei Drittel der Bevölkerung nicht profitiert. Ihr Einkommen ist zurückgegangen oder stagniert im günstigsten Fall. Die zu ihren Lasten erwirtschaftete deutsche Führungsposition in Europa ging mit einer lähmenden Befriedung der Arbeits- und Sozialkämpfe einher, die unter Einbindung der Gewerkschaften jeglichen Widerstand gegen die sozialen Grausamkeiten verhinderte.

Während das Hartz-IV-Ghetto mit seinen Millionen von Insassen weithin bekannt ist, dürfte die ebenfalls von der rot-grünen Koalition forcierte Kommodifizierung der Gesundheit weniger geläufig sein. Mit dem Krankenhausfinanzierungssystem (DRG) wurde eine Umwälzung des Gesundheitswesens auf den Weg gebracht, in dessen Rahmen die Krankenhäuser in Deutschland derzeit 40 Millionen Fälle jährlich stationär oder ambulant "versorgen". Nachfolgende Große Koalitionen sattelten auf und trieben die Brutalisierung voran, die mit dem "Krankenhausstrukturgesetz" (KHSG) in die nächste Runde der Kapitalisierung der Krankenhausversorgung ging, die wiederum von der bereits in Angriff genommenen "Qualitätsoffensive" samt "Strukturfonds" aus Steuergeldern auf die nächsthöhere Stufe der Verwertung getrieben wird.

Die unter Fischer erstmals in die Bundesregierung eingetretenen Grünen erwiesen der herrschenden Klasse damals einen weiteren langersehnten Dienst. Sie durchbrachen den tiefverwurzelten Widerstand gegen militärische Interventionen und schickten die Bundeswehr in ihren ersten Kampfeinsatz gegen Jugoslawien, womit von deutschem Boden erstmals seit 1945 wieder ein Angriffskrieg ausging, noch dazu auf dem abermals von deutschen Truppen heimgesuchten Balkan. Der grüne Außenminister steuerte zur Aushebelung der verfassungsrechtlichen Beschränkung auf die Landesverteidigung das ideologische Konstrukt bei, die Losung "Nie wieder Krieg!" müsse um "Nie wieder Holocaust!" ergänzt werden. Den aus historischen Gründen kriegsmüden Landsleuten wurde der Aberwitz verdaulich gemacht, das Tätervolk des Holocaust stehe in der unabweislichen Pflicht, den nächsten Völkermord mittels eines Angriffskriegs zu verhindern.

Was der Brachialsozialdemokrat Schröder und der nicht minder rabiate grüne Aufsteiger Fischer zuwege brachten, war schon phänomenal. Ob sozialer Kahlschlag oder Militarisierung, das rot-grüne Gespann brachte den bedeutendsten Schub der Herrschaftssicherung und Kapitalverwertung seit Gründung der Bundesrepublik auf den Weg. Daß dieses Kunststück nicht etwa einer konservativ geführten Administration, sondern einer linksbürgerlich-reformistischen Allianz gelang, kam nicht von ungefähr. Das sozialtechnokratische Akzeptanz- und Befriedungsmanagement war bei den Sozialdemokraten und Grünen in besseren Händen, die ihr Ohr in gewissem Ausmaß am Puls der zu unterwerfenden Bevölkerungsgruppen hatten. Als der Kriegsbann gebrochen war, hielt die Formel Einzug, dass die falschen Waffengänge abzulehnen, die richtigen aber unbedingt zu führen seien. Menschenrechte und Demokratie, humanitäre Hilfe oder Schutzverantwortung - irgendein Vorwand wird sich schon finden lassen, um deutschen Interessen in aller Welt zur waffengestützten Durchsetzung zu verhelfen und zu diesem Zweck am Regimewechsel mitzuzündeln oder sich dauerhaft einzunisten.

Während die SPD die Gewerkschaften mit ins Boot des Sozialabbaus holte, banden die Grünen weite Teile der ehemaligen Linken und des sich neu formierenden alternativen Bürgertums ein, so dass der Widerstand gegen die einschneidende und folgenschwere Reformpolitik auf der Strecke blieb. Die Sozialdemokraten haben sich angesichts ihrer Verantwortung für die Verelendung und Unterbindung des Widerstands nicht nur unglaubwürdig, sondern derart überflüssig gemacht, dass sie am Rande des Untergangs stehen. Anders die Grünen, denen es gelungen ist, sich als Steigbügelhalter eines neuen Aufschwungs in Szene zu setzen, der die Rettung auf allen Schauplätzen des Verhängnisses technokratisch in Aussicht stellt.


Bloße Anpassungsbereitschaft reicht nicht aus

Die nächste Regierungsbeteiligung fest im Blick, leistete die Basis unter der Ausflucht obligatorischer Bauchschmerzen noch jedem Manöver ihrer Parteiführung Gefolgschaft, deren Gesellschaftsentwurf ohne die bürgerliche Mitte nicht auskommt, in der man der Einfachheit halber selber angekommen ist. Dass dieser Langzeitplan mitunter gewöhnungsbedürftige Kurskorrekturen erforderte, liegt auf der Hand. So musste die grüne Perspektive ein ums andere Mal liebgewonnenen Ballast über Bord werfen, um das Vehikel flott zu halten.

Von Joseph Fischer angeführt, konnten die Grünen 1998 und 2002 in Gerhard Schröders rot-grüner Koalition mitregieren. Seit dem Gang in die Opposition im Jahr 2005 trauern sie dem Verlust ihres Einflusses nach, die deutsche Führerschaft in Europa von der Regierungsbank aus mitzugestalten. Nach der Atomkatastrophe von Fukushima lagen sie 2011 in Umfragen jenseits der 20-Prozent-Marke und sahen sich bereits als grüne Volkspartei. Doch bei der Bundestagswahl 2013 folgte ein böses Erwachen, als die Partei auf 8,4 Prozent abstürzte, worauf 2017 nicht minder magere 8,9 Prozewnt folgten. Die parteiinterne Fehleranalyse kam in beiden Fällen zu dem Schluss, vorzugsweise auf Nummer Sicher zu gehen: Möglichst viel offen lassen, keine Angriffsfläche bieten, Fehler vermeiden und insbesondere die gutbürgerliche Wählerschaft nicht verschrecken.

Verhuschte Anpassungsbereitschaft und flexible Verbiegsamkeit reichen indessen nicht hin, um das wankelmütige Wahlvolk gewogen zu stimmen, das in zahllosen Umfragen bis hin zum letztendlichen Urnengang Punkte an seine Heldenfiguren vergeben will, als winke der große Jackpot. Habeck attestierte denn auch der zwischenzeitlichen Führungsriege seiner Partei ein taktisches Korsett, das Risiken scheue und die Angst vor Niederlagen übergroß werden lasse. Jetzt seien "Mut und Leidenschaft" gefragt, nicht jenes "Eiferertum", das die Grünen so weit von den Mehrheiten der Gesellschaft entfernt gehalten habe. Die Grünen müssten es machen wie er und sich einer "neuen Haltung" befleißigen, nämlich vermittelnd, nicht belehrend und nahe bei den Leuten.


Rechtsdrift entsorgt Flügelkämpfe

Als parteipolitische Sammlungsbewegung verschiedener Strömungen wiesen die Grünen lange zwei Flügel auf, die zeit ihrer Geschichte den internen Machtkampf um den Kurs der Gesamtpartei besonders prägnant und von der Öffentlichkeit wahrgenommen ausgetragen haben. Um ihre Flügel- und Fraktionskämpfe soweit zu zügeln, dass die Partei nicht daran zerbrach, verordneten sich die Grünen einen Flügelproporz bei der Besetzung von Spitzenämtern, eine Doppelspitze aus Frau und Mann sowie die Trennung von Amt und Mandat. Zudem hat die Basis bei den Grünen mehr Mitspracherechte, als dies in den meisten anderen Parteien der Fall ist, weil sie über Parteitage hinaus bei wichtigen Fragen an der Entscheidung beteiligt wird. Dies wurde im Laufe der Jahre von innen und außen immer wieder als Kinderkrankheit belächelt, als Hindernis in Abrede gestellt und als einer reifen Partei unwürdig der baldigen Abschaffung anempfohlen. So wenig diese Strukturen die Partei zu einer genuin basisdemokratisch organisierten Form politischen Kampfes machen und so sehr sie eine konsequente Beschneidung von Hierarchie und Führungsmacht lediglich vortäuschen mögen, bleiben sie doch zumindest ein Seismograph der innerparteilichen Befindlichkeit.

Aufstrebende Bannerträger und selbst Idole des Parteivolks brauchen Fingerspitzengefühl, Timing und nicht zuletzt wortakrobatische Überzeugungskraft, um die Entsorgung verbliebener Prinzipien als pragmatische Erfolgsrezepte zugunsten aller zu verkaufen. Fliegende Farbbeutel aus dem gegnerischen Lager des Parteivolks wie damals der Kriegstreiber Joseph Fischer haben sie heute nicht mehr zu befürchten. Ganz im Gegenteil scheint es dem allseits akzeptierten Führungsduo Annalena Baerbock und Robert Habeck gelungen zu sein, die Ära der Flügel endgültig zu Grabe zu tragen. Die vormaligen Realos haben derart den Sieg davongetragen, dass sie unangefochten für die gesamte Partei sprechen können.


Harte Bandagen auf dem Feld der inneren Sicherheit

Da die SPD dramatisch an Bedeutung verliert, konzentrieren sich die Grünen zunehmend auf das ohnehin seit Jahren angestrebte Bündnis mit der Union, wie es Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg so erfolgreich vorgemacht hat. Wenn der Chef der grün-schwarzen Landesregierung im Schwäbischen so schwärzelt, dass vom Dunkelgrün kaum noch etwas zu sehen ist, scheint es für ihn das geringste Problem zu sein, ob die Grünen noch grün sind. In landesväterlicher Attitüde spitzt er die Warnung vor jeglicher Radikalität und entschiedenen Positionierung für ökologische oder soziale Anliegen aufs Nachhaltigste zu, was nur konsequent ist, wenn man denn Stimmen, Stimmen, Stimmen und dazu entsprechende Pfründe gewinnen will.

Um grüne Regierungsfähigkeit abermals auf Bundesebene zu demonstrieren, bedarf es jedoch weiterer zu bewältigender Prüfsteine. Von konservativen bis rechtsradikalen Kräften wird den Grünen insbesondere zur Last gelegt, sie seien in Fragen der inneren Sicherheit unzuverlässige Kantonisten, da ihnen beim Blick durch die Multi-Kulti-Brille die deutsche Freund-Feind-Kennung abhanden komme. Um im Aufwind zu segeln und als einzige Partei außer der AfD wählbar zu sein, die nicht abgestanden riecht, sondern eine Art Vision vorhalten kann, dass alles vielleicht doch wieder besser wird, muss die grüne Parteiführung harte Bandagen anlegen. Soll die Sicherheitspolitik nicht ihre ungeschützte Flanke bleiben, gilt es unbarmherzige Signale auszusenden, selbst wenn dies Teile der eigenen Partei und Basis zeitweise empören könnte.

Annalena Baerbock hat das vielfach getan und sich beispielweise in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung schon im letzten Herbst für eine raschere Abschiebung bestimmter Asylbewerber ausgesprochen. Sie fordert ein "konsequentes Durchgreifen" und erklärt: "Straffällige Asylbewerber, die unsere Rechtsordnung nicht akzeptieren und vollziehbar ausreisepflichtig sind, sollten bei der Abschiebung vorgezogen werden." Mit der Formulierung "straffällige Asylbewerber" verwendet sie ein Codewort der extremen Rechten, die angebliche oder tatsächliche Straftaten von Flüchtlingen zu einer Bedrohungslage aufbauschen. Sie wollen ein Klima der Verdächtigung und Angst erzeugen, Polizei und Justiz als ohnmächtig und überfordert darstellen und den Aufbau eines Polizeistaats - natürlich nach ihrem speziellen Gusto - einfordern. Wie die anderen bürgerlichen Parteien lassen sich auch die Grünen von den Rechten vor sich her treiben und machen sich deren Schlüsselparolen zu eigen. Daß man dabei die neofeudale Klassengesellschaft zementiert, ist inzwischen so selbstverständlich, als sei es nie anders gewesen.

Im Entwurf des grünen Grundsatzprogramms heißt es dazu, die Polizei sei als sichtbarer Arm des staatlichen Gewaltmonopols in besonderer Weise Hüterin und Verteidigerin von Rechtsstaat und wehrhafter Demokratie. Dafür brauche sie eine gute Ausstattung und ausreichend Personal, wie sie auch auf das Vertrauen aller Bürgerinnen angewiesen sei. Zudem müsse durch den grenzüberschreitenden Ausbau der Zusammenarbeit von Polizei und Justiz die Sicherheitspolitik zunehmend europäisch koordiniert werden. [2]

Wer heute in Berlin mitregieren will, muss sich zum starken Staat bekennen, der seinen repressiven Apparat aufrüstet, um angesichts der multiplen Krise die kommende Revolte im Keim zu ersticken. Die Bundesländer haben die schärfsten Polizeigesetze seit dem NS-Staat in Stellung gebracht, und diese weitreichende Ermächtigung polizeilicher Exekutivgewalt ist wiederum nur Glied einer Kette von Maßnahmen, die sich wie eine Würgeschlinge um den Hals des widerständigen Subjekts legen.


Portrait - Foto: © 2021 by Nadine Stegemann

Robert Habeck
Foto: © by Nadine Stegemann


Offenes Ohr in Wirtschaftskreisen

Deutschland wäre nicht das, was es heute ist, ohne die Grünen: Der ökonomische Platzhirsch Europas, der politische Krisengewinner und nicht zuletzt der ambitionierteste Kriegstreiber weit über den Kontinent hinaus. Sie haben gemeinsam mit der SPD das bislang innovativste System der Ausbeutung von Arbeitskraft und Zwangsverfügung des Subproletariats entworfen und durchgesetzt, das angesichts deutscher Führerschaft längst allerorten als Evangelium wirtschaftlichen Überlebens gepredigt wird. Sie wollen aber noch mehr: Ihr Entwurf einer zukunftsweisenden grünen Technologie zur Rettung von Ökonomie und Umwelt im selben Streich hausiert mit dem Versprechen, inmitten eines Szenarios drohenden Untergangs einen neuen Zyklus der Kapitalverwertung loszutreten. Daß diese Option in Wirtschaftskreisen höchst interessiert geprüft und gewogen wird, liegt auf der Hand, ließe sich doch auf diese Weise womöglich ein technologischer Vorsprung erwirtschaften und mit einer tiefgreifenden Sozialkontrolle vorgeblich gesundheitsfördernder und ökologisch fairer Selbstdisziplin der Existenzweise und reduzierten Lebensansprüche verknüpfen.

Im Programmentwurf steht zur Wirtschaftspolitik zu lesen, dass jede Regulierung auf ihre Ziele auszurichten sei. Sie sollte Individuen und Unternehmen möglichst viel Freiheit in Bezug auf die gewählten Mittel überlassen, weshalb laufend zu überprüfen sei, ob es bestimmter Vorschriften noch bedarf. Auch ungeeignete politische Regeln schränkten Wettbewerb ein und hemmten wirtschaftliche Entwicklung. Wie dem hierzulande agierenden Kapital damit signalisiert wird, sollen seiner Profitmaximierung keine gravierenden regulatorischen Steine in den Weg gelegt werden.

Angesichts solcher Avancen zeigte denn auch jüngst eine Umfrage unter 1500 Führungskräften aus Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst, dass Baerbock klare Favoritin der deutschen Wirtschaftselite für die Nachfolge von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit weitem Vorsprung vor Christian Lindner, Armin Laschet und Olaf Scholz ist. [3] Wenngleich sich die Stimmungslage natürlich bis zum Wahltag noch beträchtlich ändern kann, unterstreicht dieses Ergebnis doch, in welchem Maße der grüne Deal inzwischen auch in den Unternehmensführungen als Rettungsstrategie aus der Krise angesehen wird.


Militarisierung und Kriegsgefahr

Überdies sind die Grünen zu einem eskalierenden Szenario außenpolitischer Drohungen und Sanktionen bereit, vor dem selbst Unionskreise eher zurückschrecken. Der aberwitzige Spagat, einerseits ideologisch auf Russland und China einzuprügeln, aber andererseits auf Geschäfte mit ihnen dringend angewiesen zu sein, was die Aggression im konservativen Milieu in gewissem Maße zügelt, scheint nicht Sache der Grünen zu sein. Diese setzen forciert auf transantlantische Partnerschaft, Aufrüstung und den Knüppel gegen die beiden "autoritären Regime" in Moskau und Beijing. Daher steht im Falle einer erneuten grünen Regierungsbeteiligung auf Bundesebene eine forcierte Militarisierung der Außenpolitik samt erhöhter Kriegsgefahr zu befürchten, zumal parteiinterne Zirkel und parteinahe Denkfabriken längst die Messer wetzen. Lange schon mehren sich Stimmen aus dem Lager der Grünen, die deutlich schärfer als der übrige politische Apparat gegen Ost und Fernost hetzen. Wenn Baerbock beispielsweise verkündet, der russischen Aggression müsse dringend Einhalt geboten werden, indem die Ukraine militärisch stärker unterstützt wie auch in die Nato und die EU aufgenommen wird, kommt dies einer Kriegserklärung gegen Russland gleich. [4]

Wie aus einem Bericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI hervorgeht, hat Deutschland im vergangenen Jahr seine Militärausgaben so sehr gesteigert wie kein anderer unter den zehn am stärksten aufgerüsteten Staaten weltweit. Demnach sind die tatsächlichen Aufwendungen für die Bundeswehr im Jahr 2020 um 5,2 Prozent auf 43,8 Milliarden Euro emporgeschnellt. Auch liegt die Bundesrepublik im Vergleich zu den anderen Ländern Westeuropas im Zehnjahresvergleich deutlich vorn, hat sie doch ihre Militärausgaben um 28 Prozent gesteigert - weit mehr als Frankreich (9,8 Prozent) und UK (4,2 Prozent). [5]

Diese beschleunigte Militarisierung würden auch die Grünen vorantreiben, ist Annalena Baerbock doch einer Meinung mit Annegret Kramp-Karrenbauer, dass angesichts der Corona-Krise kein starres Zwei-Prozent-Aufrüstungsziel mehr gelte, wie es die Nato-Mitgliedsstaaten 2014 in Wales vereinbart hatten - denn das könnte ja nun bescheidener ausfallen, soweit das Bruttoinlandsprodukt als Berechnungsgrundlage schrumpft. "Wir müssen erst über eine strategische Neuaufstellung sprechen, dann über die Ausgaben. Es muss auch um die Fähigkeiten der Nato und die konkrete Lastenverteilung gehen. Ein theoretisches Zwei-Prozent-Ziel hilft da nicht wirklich weiter", sagte Baerbock bereits im November. [6]

Im Programmentwurf führen pazifistische und antimilitaristische Positionen ein Schattendasein, während einer forcierten Militarisierung Tür und Tor geöffnet wird. Im Vorfeld eingespeiste Diskussionspapiere der Heinrich-Böll-Stiftung und der Bundestagsabgeordneten Franziska Brandtner wurden zwar zugunsten weicherer Formulierungen vordergründig entschärft, doch laufen diese zumeist auf Forderungen vergleichbarer Stoßrichtung hinaus. Noch gilt es auch jene Teile der eigenen Basis und Wählerklientel nicht zu vergraulen, welche die Grünen allen Ernstes für eine Friedenspartei halten.

Im Programm für die Bundestagswahlen 2017 hieß es noch: "Wir werden Einsätzen der Bundeswehr nur mit einem Mandat der Vereinten Nationen zustimmen." Diese Position stellt der aktuelle Entwurf in Frage: Bei Eingriffen in die Souveränität eines Staates oder wo staatliche Souveränität fehle, brauche es ein Mandat der Vereinten Nationen. Werde das Vetorecht im Sicherheitsrat jedoch missbraucht, um schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu decken, stehe die Weltgemeinschaft vor einem Dilemma, weil Nichthandeln genauso Menschenrechte und Völkerrecht schädige wie Handeln. Damit wird die Mandatierungspflicht als ein Grundpfeiler des Völkerrechts tendenziell ausgehebelt.

Wer politische Lösungen für die Krisen und Konflikte in der europäischen Nachbarschaft vorantreiben und Menschen schützen möchte, heißt es denn auch, müsse zumindest die Möglichkeit offenlassen, als Ultima ratio auch militärische Mittel zur Unterstützung solcher Lösungen einzusetzen: "Diese politische Notwendigkeit kann nicht automatisch dann enden, wenn der Sicherheitsrat blockiert ist." Handlungsleitend sei das erweiterte VN-Konzept der Schutzverantwortung (Responsibility to Prevent, Protect, Rebuild), das die internationale Gemeinschaft verpflichte, Menschen vor Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen. Diese Schutzverantwortung als neue völkerrechtliche Interventionsnorm zu etablieren scheitere jedoch am starken Widerstand Russlands und Chinas, aber auch zahlreicher Länder des globalen Südens, so der Wink mit dem Zaunpfahl, welche Hemmnisse der Kriegsführung auszuhebeln seien.

Die westlichen Mächte bedienen sich dieses Konstrukts angeblicher Schutzverantwortung bekanntlich immer nur dort, wo es gilt, ihre ökonomischen und strategischen Interessen mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Das gestaffelte Arsenal von Sanktionen und Interventionen gründet auf überlegener Waffengewalt und richtet sich nicht gegen Verbündete, deren massive Menschenrechtsverletzungen allenfalls milde gerügt, aber niemals auf vergleichbare Weise abgestraft werden. [7]


Bekenntnis zur Nato - Aufrüstung der EU

Geradezu grotesk muten die Passagen zur EU an, von der irreführend behauptet wird: "Die Europäische Union ist eine Friedensmacht." Der kriegstreibenden Logik folgend, dass dem menschheitsbeglückenden Leuchtfeuer notfalls auch mit Waffengewalt Geltung in aller Welt verschafft werden müsse, geizt der Programmentwurf nicht mit Forderungen nach einem Ausbau der militärischen Komponenten. Um die EU als machtpolitischen Akteur vor allem gegenüber Russland und China, aber auch gegenüber den USA, aufzuwerten, wird die gesamte Palette der Aufrüstung zitiert, insbesondere aber eine Entscheidung per qualifizierter Mehrheit angemahnt. Wie schon beim leidigen UN-Mandat sollen auch in der EU die Kriegswilligen nicht länger durch ein Konsensprinzip ausgebremst werden. Vom Abbau nationaler militärischer Parallelstrukturen und einer verstärkten Zusammenarbeit der Streitkräfte über angemessene Ausstattung und Rüstungskooperation bis hin zum Ausbau von EU-Einheiten sowie einer Stärkung des gemeinsamen europäischen Hauptquartiers fehlt kein Versatzstück auf dem Wunschzettel, der das militaristische Herz machtbewußten Geltungsstrebens höher schlagen läßt.

Ein Austritt aus der Nato, für den sich die Grünen in früheren Zeiten aussprachen, ist natürlich kein Thema mehr. Ganz im Gegenteil wird die Allianz für "unverzichtbar" erklärt, wobei sie jedoch einer strategischen Neuausrichtung bedürfe. Mittels einer stärkeren militärischen Zusammenarbeit innerhalb der EU und mit Großbritannien könnten europäische strategische Interessen, gerade auch in der Nato, geschlossen und durchsetzungsstärker vertreten werden. Das Bekenntnis zum stärksten Militärbündnis der Welt wird also um die Absicht ergänzt, den Einfluß innerhalb desselben zu eigenen Gunsten zu verschieben. An einem Strang mit den USA und zugleich eigenständig ermächtigt - so die grüne Faustformel unabweislicher Waffengewalt, der in Regierungsbeteiligung abermals auf die Sprünge geholfen werden soll.


Deutschland. Alles ist drin

"Deutschland. Alles ist drin" lautet der Titel des grünen Programms zur Bundestagswahl am 26. September. Diese nichtssagende und somit beliebig interpretierbare Parole hausiert mit einer verheißungsvollen Perspektive, die gleich einer Wundertüte grandiose Überraschungen für alle verspricht. Alles ist drin für die Grünen, die davon träumen, nach kargen Jahren endlich zum großen Wurf anzusetzen, womöglich sogar stärkste Fraktion zu werden und die nächste Bundeskanzlerin zu stellen. Alles ist drin für die Bürgerinnen und Bürger, da mit dieser Partei das gesamte Spektrum abgedeckt ist und keine Wünsche offen bleiben. Alles ist drin in diesem Land, so erläuterte Baerbock das Motto, was zur Bewältigung der Herausforderungen notwendig wäre. Als "Vitaminspritze für dieses Land" pries Habeck den Programmentwurf, den ein Bundesparteitag Mitte Juni beschließen soll. Die Regierungsparteien CDU, CSU und SPD seien "erlahmt und müde", fügte er hinzu. Seine Partei wolle "einen Aufschwung schaffen, der über das rein Ökonomische hinausgeht".

"Deutschland" ist im Titel mit Vorbedacht vorangestellt, was jenen Teilen der grünen Basis durchaus mit Unbehagen schwant, die es per Änderungsantrag entfernt sehen wollen. Nicht von ungefähr erinnert diese Konnotation an nationale Kampagnen, borniert konservative Selbstvergewisserung oder die Werbung der Bundeswehr. Indem die Grünen ihren Programmentwurf mit "Deutschland" eröffnen und auf dieses Wort noch an 113 weiteren Stellen des Textes zurückgreifen, unterstreichen sie ihre Bereitschaft, als Modernisierer das reaktionäre Altbürgertum auszubooten und die staatstragende Zukunft zu repräsentieren. Der Konflikt zwischen altem und neuem Bürgertum erstreckt sich nicht länger vor allem auf innovative Ideale von Konsum, Statussymbolen und Lebensführung, sondern greift auf Wirtschaftsweise, Befriedung gesellschaftlicher Widersprüche und Durchsetzungsfähigkeit in der Staatenkonkurrenz über. [8]

Immer mehr Menschen wird klar, dass Jahrzehnte verfehlter Klimapolitik die Katastrophe heraufbeschworen haben und es so nicht weitergehen kann. Die Klimakrise ist real, eine weitreichende Transformation unabdingbar. Daraus speist sich der Aufschwung der Grünen, die als politische Kraft mit den höchsten Kompetenzen in der Klimapolitik gelten. Im bestürzenden Dilemma zwischen dem Beharren auf jeglichen Vorteilen der hiesigen Lebensverhältnisse und der dämmernden Erkenntnis, dass die große Umlastung von oben nach unten und von den Metropolengesellschaften in die sogenannte Peripherie die zentrale Achse des Verhängnisses ist, stellen die Grünen eine befreiend anmutende Flucht nach vorn in Aussicht: Im Grunde können wir alles beim Alten lassen, sofern die Zukunft nur grün ausgestaltet wird.

Eine neue Ökoindustrie, neue Märkte, neue Wachstumsschübe der Wirtschaft werden die Klimakrise überwinden und allen Vorteile bescheren, lautet das Credo. So heißt es im Programmentwurf: "Wir wissen, wie man eine sozial-ökologische Marktwirtschaft entwickelt, die zukunftsfähige Jobs, sozialen Schutz und fairen Wettbewerb in Deutschland und Europa zusammenbringt, wie man der Globalisierung klare Regeln setzt und Tech-Konzerne angemessen besteuert." Der Staat müsse durch eine aktive Industriepolitik dafür sorgen, dass Deutschland seine internationale Position als globaler Industriestandort wahren kann. Mobilität, Konsum und Produktion müssen auf Klimaneutralität ausgerichtet werden, fordert die grüne Kanzlerinnenkandidatin. Ein Umbau der Industrie sei essenziell, um bei klimaneutralen Produkten wettbewerbsfähig zu bleiben und Arbeitsplätze zu schützen. Das sieht das Manager-Magazin genauso: "Die wirtschaftspolitische Garde der Ökopartei ist längst aufgestellt und hervorragend vernetzt. Bereit für einen radikalen Umbau der Industrie." Unternehmer und Manager können den Klimawandel nicht mehr ignorieren, dessen Auswirkungen bedrohen bisherige Geschäftsmodelle, Handelswege und Absatzmärkte, oder schlicht den Profit.

Und dass die Profite des hiesigen Kapitals im globalen Konkurrenzkampf erwirtschaftet werden, betont auch die Führung der Grünen: Es gebe einen Wettlauf um die Wettbewerbsfähigkeit bei klimaneutralen Produkten. Es gehe darum, den Industriestandort Europa in die Zukunft zu führen, und was die neue US-Regierung Joe Bidens vorschlage, sei wirklich ein ambitionierter Klimaschutzplan, befindet Baerbock. Deshalb plädiere sie für eine transatlantische Klimapartnerschaft. Dies sei die Chance, Pflöcke für die Zukunft einzuschlagen, gehe es doch nicht nur um Klimaschutz und Industrie-Innovationen, sondern auch um den "Wettbewerb der Systeme" zwischen dem Westen und China. [9] "In einer Wertesystemkonkurrenz zwischen einem regulierten kapitalistischen und einem autoritär gelenkten Fortschritt streben wir eine größere technologische Souveränität Europas an", heißt es dazu im Programmentwurf.

Wir lieben den Kapitalismus mehr als ihr alle, lautet die Botschaft der Grünen. Woran Unionsparteien und SPD scheitern, werden wir schaffen: Die Modernisierung der Marktwirtschaft im grünen Gewand. Und da wir Deutschland nicht minder lieben, scheuen wir buchstäblich kein Mittel, ihm in der internationalen Konkurrenz Geltung und Schlagkraft zu verleihen.


Fußnoten:

[1] www.heise.de/tp/features/Es-gibt-kein-gruenes-Leben-im-Falschen- 5989737.html

[2] www.wsws.org/de/articles/2020/07/09/grun-j09.html

[3] www.tagesspiegel.de/politik/umfrage-zur-nachfolge-von-angela-merkel-annalena-baerbock-unter-fuehrungskraeften-als-kanzlerin-favorisiert/27120512.html

[4] www.wsws.org/de/articles/2021/04/28/baer-a28.html

[5] www.jungewelt.de/artikel/401311.friedensforschungsinstitut-klotzen-für-den-krieg.html

[6] www.heise.de/tp/features/Aufruesten-trotz-Pandemie-6028751.html

[7] www.heise.de/tp/features/Gruener-Programmentwurf-mit-Bekenntnis-zu-militaerischen-Interventionen-4799662.html

[8] www.jungle.world/artikel/2021/17/extrem-staatstragend

[9] www.deutschlandfunk.de/baerbock-gruene-ueber-klimaneutralitaet-eine-umstellung-des.694.de.html

17. Mai 2021


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