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PROPAGANDA/1326: Informationspolitik der NATO machte Jugoslawen sprachlos (SB)



Nicht eben von großer Lernbereitschaft oder gar selbstkritischen Einsichten bestimmt sind die heutigen Rückblicke auf den Beginn des Kriegs der NATO gegen Jugoslawien vor zehn Jahren. Was damals als Pflicht zur Unterstützung des Kampfeinsatzes der Bundeswehr in bundesrepublikanischen Redaktionen verstanden wurde, wird ungerührt als prinzipielle Rechtfertigung der deutschen Kriegsbeteiligung fortgeschrieben. Wenn überhaupt Einwände geltend gemacht werden, dann an der militärischen Effizienz der NATO, die weit weniger militärische Ziele zerstört hatte als beabsichtigt, an der elfwöchigen Dauer des Krieges, der ursprünglich nach wenigen Tagen mit der Kapitulation der jugoslawischen Regierung beendet werden sollte, oder an den inneren Kämpfen, die SPD und Grüne als für die Kriegführung verantwortliche Regierungsparteien auszufechten hatten. Die mit diesem Schritt erfolgte Aufwertung der Bundesrepublik als Militärmacht wird stillschweigend gutgeheißen, und an der Legende, daß es bei der Bombardierung Jugoslawiens um die Verhinderung der blutigen Unterdrückung der Kosovo-Albaner ging, eisern festgehalten.

Bestenfalls reicht die beanspruchte journalistische Kritikfähigkeit für Pflichtübungen etwa nach Art eines heutigen Beitrags des Deutschlandradios Kultur, in dem die Verwendung des Begriffs "Kollateralschaden" für zivile Opfer der NATO-Bomben durch den Pressesprecher des Militärbündnisses, Jamie Shea, moniert wurde. Der seitdem vom militärtechnischen Insiderjargon in den allgemeinen Sprachschatz ausgewanderte Begriff wurde zum Unwort des Jahres 1999 gewählt, um dem allgemeine Unbehagen gerecht zu werden, das die Präsentation des Krieges durch Shea hierzulande ausgelöst hatte. Auch der Deutsche Presserat hatte die Journalisten damals aufgefordert, kriegsverharmlosende Begriffe wie diesen zu unterlassen, sprich der medialen Verarbeitung des Geschehens ein seriöses und pietätvolles Antlitz zu geben.

Sich über die Vermittlung unbequemer Informationen zu ereifern, anstatt die zugrundeliegenden Sachverhalte selbst einer gründlichen Untersuchung zu unterziehen, ist ein typischer Reflex nicht nur von Medienarbeitern, sondern auch Politikern, die sich nicht der Gefahr aussetzen wollen, mit nonkonformistischen Ansichten vor die Öffentlichkeit zu treten. Wenn die Bürger von EU-Staaten gegen den Vertrag von Lissabon votieren, dann handelt es sich um ein "Kommunikationsproblem" anstelle der Wahrnehmung eines demokratischen Rechts, das es zu respektieren gilt. Wenn die Begünstigung von Kapitaleignern oder Managern sauer bei der lohnabhängigen Bevölkerung aufstößt, dann haben die zuständigen PR-Experten versagt, nicht jedoch ein Gesellschaftsystem, das sich mit Hilfe sozialer Widersprüche reproduziert.

Der Krieg gegen Jugoslawien basierte auf einer großangelegten Irreführung der Bundesbürger, die mit der einseitigen Belastung der jugoslawischen Regierung für die bürgerkriegsartigen Kämpfe im Kosovo begann und mit der Behauptung der rot-grünen Bundesregierung, man führe keinen Krieg, sondern wolle die Kosovo-Albaner mit "Luftschlägen" beschützen, längst nicht endete. Dies aufzuarbeiten wurde zugunsten künftiger Kriegseinsätze der Bundeswehr tunlichst unterlassen. Wo niemand fragt, muß auch niemand Rede und Antwort stehen, und da man alle kulturindustriellen Register von Dschungelcamp bis Anne Will zieht, um die Bundesbürger davon abzulenken, Fragen nach dem wirtschaftlichen Niedergang zu stellen, auf die es keine Antwort unterhalb der Schwelle systemkritischer Überlegungen gibt, fragt schon gar keiner nach einem Krieg, der vor zehn Jahren geführt wurde.

Was bleibt, ist der bescheidene Unmut darüber, daß die Informationspolitik der NATO mit propagandistischen Mitteln agierte, die sogar der wohlmeinendste Parteigänger dieses Krieges als solche durchschaute. Wenn schon ein gerechter Krieg, dann doch bitteschön so verpackt, daß die Fratze eigener Aggression unter der dickaufgetragenen Schminke bester Absichten verborgen bleibt. Abgesehen von rhetorischen Fehltritten, die beim Anschauen der Bilder verbrannter Leichen irgendwie störten, erledigte die NATO ihren Job jedoch auch in dieser Hinsicht sehr professionell.

So unterband das Militärbündnis die Möglichkeit, daß die Angegriffenen ihre Sicht der Dinge darstellten, systematisch. Die ohnehin vorhandene Dominanz der Medien der NATO-Staaten, die das in den jugoslawischen Sezessionskriegen aufgebaute antiserbische Ressentiment mit boulevardgestählter Obszönität im wahrsten Sinne des Wortes ausschlachteten, hätte durch Zwischentöne aus Belgrad ohnehin nicht in Frage gestellt werden könnten. Die Haltlosigkeit der eigenen Propaganda bedurfte jedoch der vollständigen Ausblendung aller widrigen Informationen unter anderem durch die falsche Behauptung, die jugoslawischen Medien fungierten als Sprachrohr ihrer Regierung. Was man sich hierzulande niemals eingestanden hätte, wurde unter dem angeblichen Diktator Milosevic dem Zerrbild einer massiv unterdrückten Bevölkerung überantwortet.

Darüber hinaus griffen die NATO-Staaten zu konkreten Zensurmaßnahmen. Nach der Sperrung jugoslawischer Internet-Provider, die US-amerikanische Server nutzten, wurde die Satellitenbetreibergesellschaft Eutelsat dazu genötigt, die Ausstrahlung des serbischen Staatsfernsehens RTS einzustellen. Schließlich wurde das Hochhaus, in dem dessen Belgrader Studios untergebracht waren, gezielt attackiert. 16 Menschen bezahlten diese Art von Informationspolitik mit dem Leben.

Jamie Shea wurde dafür, daß er den Krieg mit dem kalten Grinsen eines PR-Profis verkaufte, der alles schönreden kann, was ihm auf den Schreibtisch gelegt wird, mit einer Karriere bei der NATO belohnt, die ihn bis in seine heutige Position als Direktor der politischen Planungsabteilung des Militärbündnisses beförderte. Sein eifrigster Stichwortgeber, der BBC-Reporter Mark Laity, hatte sich auf den Pressekonferenzen der NATO so bewährt, daß er selbst zu einem erfolgreichen Sprecher der Militärallianz wurde, der sich unter anderem an der Propagandafront in Afghanistan bewährt. Über Kollateralschäden braucht er nicht mehr zu sprechen, diese werden heute Taliban oder Terroristen genannt.

24. März 2009