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PROPAGANDA/1369: Anschlagversuch von Detroit - Wie man Ungereimtheiten verdaulich macht ... (SB)



Die politische Ausbeute des Anschlagversuchs von Detroit ist kaum zu überschätzen. Durch die Verbindungen des mutmaßlichen Attentäters Umar Faruk Abdulmutallab in den Jemen verfügt die US-Regierung über einen Vorwand zur militärischen Intervention in dieses geostrategisch wichtige Land, durch seine nigerianische Herkunft rückt das große ostafrikanische, erdölexportierende Land ebenfalls ins Visier der Terrorkrieger, durch die Aktivitäten Abdulmutallabs im Londoner Muslim Center wird die britische Regierung zur weiteren Verschärfung ihrer ohnehin drakonischen Antiterrorgesetze legitimiert, durch die Bedrohung des Flugverkehrs werden weitere Sicherheitmaßnahmen fällig, die sich nicht auf Bodyscanner und den erweiterten Zugriff der Sicherheitsbehörden auf Passagierdaten beschränken, sondern den Geheimdiensten weitere Ressourcen und Kompetenzen zur präventiven Terrorabwehr zuschanzen. Das sozialrassistische Ausgrenzung codierende Feindbild des fundamentalistischen Islam erhält neue Nahrung und rechtfertigt die Anwesenheit westlicher Streitkräfte in Afghanistan und im Irak.

Dieser Ertrag kann jedoch nur erwirtschaftet werden, wenn die aus dem Anschlagversuch gezogenen Schlußfolgerungen jeden Gedanken daran, daß die angeblichen Defizite der Sicherheitsapparate nicht zufällig an dieser speziellen Stelle auftraten, umschiffen. Das ist angesichts der Massierung des vermeintlichen Versagens der Behörden in diesem Fall nicht eben leicht und kann nur gelingen, weil die Immunisierung der Öffentlichkeit gegen staatlich inszenierte Subversions- und Konterstrategien neun Jahre nach den Anschlägen des 11. September 2001 den Charakter eines selbsttragenden Ausblendens dieser Option angewandter Machtpolitik erlangt hat.

So soll die in London erfolgte Radikalisierung Abdulmutallabs den britischen Sicherheitsbehörden bereits vor mehreren Jahren aufgefallen sein. Als Präsident der studentischen Islamic Society, die als anfällig für islamistische Tendenzen gilt, wurde seine Telekommunikation abgehört. Den Geheimdiensten war daher seit 2007 bekannt, daß Abdulmutallab mit "extremistischen Netzwerken" und "Jihadisten" (The Observer, 03.01.2010) in aller Welt in Kontakt stand. Der nigerianische Student habe sich aktiv um diese Kontakte bemüht. Im Mai 2009 verhängten die britischen Behörden ein Einreiseverbot gegen Abdulmutallab, der seitdem auf einer Verdächtigenliste stand (NZZ, 29.12.2009).

Sein Name befand sich auch auf einer US-Liste für sogenannte Terrorverdächtige, auf der zwar 550.000 Personen aufgeführt sein sollen, was angesichts des umfassenden Reiseverkehrs in die USA dennoch eine überschaubare Größe ist. Der für die Überwachung der weltweiten Telekommunikation zuständige US-Geheimdienst National Security Agency (NSA) will vier Monaten vor dem Anschlagversuch ein Gespräch zwischen jemenitischen Al Qaida-Führern abgehört haben, bei dem es um einen bevorstehenden Anschlag ging, den ein Nigerianer ausführen sollte (NYT, 31.12.2009). Etwa zu dieser Zeit wurde ein Somali auf dem Flug nach Djibouti verhaftet, als er versuchte, Plastiksprengstoff in seiner Unterhose mittels einer Spritze zu zünden (NZZ, 03.01.2010). Im August 2009 erfuhr die CIA davon, daß sich eine Person, die sie den "Nigerianer" nannte, mit Terroristen im Jemen treffen wollte. Dabei soll es sich laut Geheimdienstquellen um Abdulmutallab gehandelt haben (CBS Evening News, 29.12.2009). Im November erstellten CIA-Beamte in Nigeria ein biographisches Dossier über Abdulmutallab, aus dem unter anderem hervorging, daß er im Jemen islamisches Recht studieren wollte (NYT, 31.12.2009).

Nachdem sich Abdulmutallabs Vater Alhaji Umaru Mutallab im November 2009 wiederholt an nigerianische Behörden, US-Diplomaten und CIA-Agenten gewendet hatte, um ihnen seine Befürchtungen über die Radikalisierung seines Sohnes mitzuteilen, sandte ein Beamter der US-Botschaft in Abuja eine Abdulmutallab betreffende Terrorismuswarnung an das National Counterterrorism Center in Washington, der Zentrale der US-Terrorismusabwehr. Obwohl US-Visa ansonsten schon bei geringen Verdachtsmomenten aufgehoben werden, blieb das Visum Abdulmutallabs auch nach dieser Warnung gültig (NYT, 31.12.2009). So konnte der 23jährige Nigerianer trotz der Praxis, daß die Daten der Passagiere jedes Flugs in die USA im Vorweg der US-Heimatschutzbehörde zugesandt werden, um eventuelle Verdachtsmomente noch vor Abheben der Maschine überprüfen zu können, in Amsterdam einen transatlantischen Flug besteigen, der ihn nach Detroit bringen sollte. Aus dieser Passagierdatenübermittlung ging auch hervor, daß Abdulmutallab sein Ticket bar bezahlt hat und daß sein nur aus einem Rucksack bestehendes Gepäck nicht durchsucht wurde, was allemal zu einem genaueren Blick auf seine Person Anlaß gegeben hätte.

Der ebenfalls auf Flug 253 der Northwest Airlines am 25. Dezember anwesende Anwalt Kurt Haskell hat Abdulmutallab beim Flugschalter dieser Fluggesellschaft in Amsterdam mit einer Begleitperson gesehen, die erklärt habe, daß der junge Nigerianer ohne Reisepaß fliegen müsse. Daraufhin seien beide in das Büro des zuständigen Northwest-Vertreters geschickt worden. An Bord dieses Fluges, so berichteten mehrere Mitreisende, befand sich ein Mann, der Abdulmutallab die ganze Zeit im Auge behalten und in dem Moment, als dieser seine Bombe zu zünden versuchte, sofort mit einer Videokamera gefilmt haben soll. Zudem wurde in Detroit außer dem mutmaßlichen Attentäter eine weitere Person verhaftet, von der die US-Behörden jedoch behaupten, daß sie mit dem Anschlagversuch nichts zu tun gehabt hätte (junge Welt, 04.01.2009).

Nun wird angestrengt versucht, das angebliche Versagen der Sicherheitsbehörden mit organisatorischen Mängeln, menschlicher Unzulänglichkeit oder schlichter Unaufmerksamkeit zu erklären. Das ist angesichts des seit neun Jahren mit aller Schärfe geführten Terrorkriegs, der auf eine bereits seit mehreren Jahrzehnten erfolgende Aufrüstung der inneren Sicherheit gegen den Terrorismus aufsetzt, einigermaßen leichtfertig.

Die bereits im Namen des Globalen Krieges gegen den Terrorismus ergriffenen Maßnahmen sind so weitreichend, daß sie durch derartige Nachlässigkeiten, wenn es sich denn um solche handelte, vollständig entwertet würden. Wenn man ganze Armeen gegen Länder in Bewegung setzt, die angeblich Horte des Terrorismus sind, wenn man Tausende von Menschen verschleppt und foltert, wenn man die Grundrechte demokratischer Gesellschaften aushebelt, Milliarden in die Entwicklung hocheffizienter Sicherheitstechnik steckt, ganze Heere von Sicherheitspersonal und Terrorismusexperten anwirbt, die Aufmerksamkeit der Bevölkerung mit immensem medialen Aufwand für diese Bedrohung schärft, obwohl die Chance, durch andere Gefahren als die eines Anschlags ums Leben zu kommen, um ein Vielfaches größer ist, wenn also sehr viel Rauch entfacht wird, dann sollte schon ein kleines Feuer brennen. Zwar ist es eine Binsenweisheit, daß die Aufrüstung des Sicherheitsstaats vielen Zwecken und dabei insbesondere der Unterdrückung politischer Oppositionsbewegungen gewidmet ist, deren Aktionsformen beim besten Willen nicht mit Terrorismus gleichgesetzt werden können. Dennoch wird offiziell der Eindruck erweckt, als wolle man mit diesen Maßnahmen den Terrorismus bekämpfen.

Daher bestände nach dieser Affäre mehr Erklärungsaufwand, als daß Fehler im institutionellen und bürokratischen Getriebe der zuständigen Behörden herangezogen werden. So ist die Rüge, mit der US-Präsident Barack Obama seine Sicherheitsbehörden belegt hat, angesichts der Tatsache, daß die USA über 16 Geheimdienste und drei ihnen übergeordnete Kontrollorgane verfügen, deren Budget den gesamten Militärhaushalt jedes anderen Landes außer den USA übersteigt, ein eher schwacher Versuch, von der Frage abzulenken, was denn wäre, wenn Abdulmutallab gezielt durch das Netz der Sicherheitsmaßnahmen geschleust worden wäre, um einen von vornherein fingierten Anschlagversuch durchzuführen. Diese Frage zu stellen gehört zum kleinen Einmaleins der Kritiker machiavellistischer Praktiken. Wer sie unter Verweis auf Verschwörungstheorien als unseriös brandmarkt, der erweist sich angesichts der vielen belegten Beispiele für den Einsatz staatlicher Institutionen bei der Durchführung von Gewaltakten, die anschließend dem politischen Gegner in die Schuhe geschoben werden, seinerseits als unseriös. Dies gilt um so mehr, als die vielen Ungereimtheiten um den Anschlagversuch von Detroit allesamt führenden internationalen Presseorganen entnommen werden können.

Zudem böte sich in diesem Fall an, über eine gegen Obama gerichtete Intrige der politischen Konkurrenz nachzudenken. Seit dem Vorfall zu Weihnachten steht der US-Präsident in der Kritik der Republikaner, die ihm vorwerfen, in Sachen nationaler Sicherheit unzuverlässig zu sein. Insbesondere der Hardliner Dick Cheney, ein erklärter Befürworter der Folterung Terrorverdächtiger und führender Ideologe des Terrorkriegs, bezichtigt Obama, "soft on terrorism" zu sein, was in der Macho-Welt der Terrorkrieger etwa der Schmähung gleichkommt, kein richtiger Mann zu sein. Da das Thema Sicherheit sich als ideologisch stark aufgeladene Chiffre rassistischer und chauvinistischer Einstellungen besonders für den Wahlkampf eignet und im Herbst die Zwischenwahlen zum US-Kongreß anstehen, könnten die vielen Unterstützer Obamas unter deutschen Journalisten durchaus auf eine solche Idee verfallen, ohne ihre Karriere gleich dadurch zu riskieren, einer Verschwörungstheorie anzuhängen.

Der dank der systemkonformen Konditionierung des Gros der westlichen Massenmedien vorherrschende Tenor eines bloßen Versagens der Sicherheitsbehörden stellt auf die wachsende Akzeptanz des Publikums ab, ihre Irreführung bezweckende Kampagnen mit Haut und Haaren, sprich mit allen irrationalen und inkonsistenten Behauptungen, unbesehen zu schlucken. Im Interesse systematischer Herrschaftsicherung böte es sich durchaus an, von einem immunologischen Testlauf zu sprechen, mit dem die Schwelle der Manipulierbarkeit weiter abgesenkt wird, um die Bevölkerung auf die Akzeptanz von Widersprüchen vorzubereiten, bei denen persönliche Lebenserfahrung und gesellschaftliche Realität noch weiter auseinanderklaffen als in diesem Fall.

Dabei geht es nicht um eine Metaverschwörung der Medien, die von namenlosen grauen Eminenzen initiiert oder auch nur am Kaffeetisch von Angela Merkel, Friede Springer und Liz Mohn ausgeheckt wird. Die schlichte Notwendigkeit, die Mechanismen kapitalistischer Herrschaft in Zeiten der Krise so zu optimieren, daß die Klassenwidersprüche in der BRD trotz anwachsender Not auch in Zukunft medientechnisch auszusteuern sind, braucht prominenten Moderatoren, gutbezahlten Kommentatoren oder einflußreichen Verlegern nicht erst klargemacht zu werden. Das frappante Fehlen jedes Ansatzes, in diesem den Terrorverdacht gegen sich selbst kehrenden Fall Überlegungen in Richtung auf die plausible Strategie anzustellen, mit Hilfe eines agent provocateurs weitreichende politische Hebelwirkungen zu generieren, belegt eine den Mehrheitsmedien zur zweiten Natur gewordene Konformität, die unter anderem erklärt, wieso immer weniger Menschen meinen, daß man für Presseprodukte Geld ausgeben sollte.

Das etablierte Stigma der Verschwörungstheorie in seiner Breitenwirkung zu erhalten und mit seiner Hilfe herrschende und dissidente Wahrheit voneinander zu scheiden ist zu wichtig, als daß sich etablierte Medien auf dieses Glatteis begäben. Eins und eins zusammenzuzählen macht bei ihnen schon deshalb drei, weil die Aufsichtsgremien, Rundfunkräte und Kontrollagenturen der herrschenden Ordnung in den Verlagsführungen, Zeitungsredaktionen und Sendern stets mit von der Partie sind. So berichtet der Zeilenschinder, dem im Prinzip gleichgültig ist, worüber er schreibt, weil er in politisch prekären Fällen nur sehr bedingt Herr seiner eigenen Meinung ist, eben lieber über das Für und Wider von einem Hauch von Frivolität umwehter Nacktscanner, als die Frage aufzuwerfen, welchen Umständen man es eigentlich zu verdanken hat, daß man schon wieder über Verschärfungen des Sicherheitsregimes diskutiert.

5. Januar 2010