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PROPAGANDA/1383: Ist die Terrorismusbekämpfung Rußlands verwerflicher als die der NATO? (SB)



Bei der Ursachenforschung zu den verheerenden Anschlägen in der Moskauer U-Bahn wird auch auf das brutale Vorgehen russischer Sicherheitsbehörden im Nordkaukasus verwiesen. In diesem Falle leisten sich nicht wenige Politiker und Journalisten eine Begründbarkeit terroristischer Anschläge, die in anderen Fällen "sinnloser Gewalt" Gefahr läuft, als Rechtfertigung des Terrorismus verstanden zu werden. Die Rede ist von Folterungen und Entführungen, mit der die russischen Sicherheitsbehörden und dabei insbesondere der Inlandgeheimdienst FSB für den ständigen Nachwuchs an Selbstmordattentätern sorgten. Zudem unterhalte der von Moskau unterstützte Präsident Tschetscheniens, Ramzan Kadyrow, ein Schreckensregime, das die Gewalt zusätzlich eskalieren lasse.

Würde in deutschen Medien auf vergleichbare Weise über die Situation in Afghanistan berichtet, dann wäre der Einsatz der Bundeswehr dort noch schwieriger zu rechtfertigen als ohnehin schon. Die von Berliner Regierungspolitikern allen Widersprüchen zum Trotz verbreitete Behauptung, deutsche Soldaten verhinderten am Hindukusch, daß in der Bundesrepublik terroristische Anschläge erfolgten, hat auch US-Präsident Barack Obama bei seinem Besuch im Kriegsgebiet gegenüber US-Soldaten kolportiert. Dort legte er eine Entschlossenheit an den Tag, den Krieg siegreich zuendezuführen, die nicht so weit entfernt liegt von den Racheschwüren des russischen Präsidenten Dimitri Medwedew und seines Ministerpräsidenten Vladimir Putin.

Was immer afghanische Familien zu erleiden hatten und haben, seit das Land durch die USA und ihre Verbündeten erobert wurde und durch die NATO besetzt wird, kommt bestenfalls in der Debatte um wirkungsvollere Befriedungsstrategien zur Sprache. Ansonsten kolportiert man in der Bundesrepublik die gleiche vordergründige Antiterrorlogik, deren furchteinflößende Rhetorik im Fall der russischen Führung hierzulande eher auf Ablehnung stieß. Dabei haben es Medwedew und Putin mit Anschlägen im eigenen Land zu tun, während die NATO-Staaten weit vom Bündnisgebiet entfernt einen Konflikt schüren, der die terroristische Gewalt produziert, die angeblich verhindert werden soll.

Das liegt nicht zuletzt an der verheerenden sozialen Lage der afghanischen Bevölkerung, die sich nach langjähriger Anwesenheit der NATO nicht verbessert hat. Hunger und die Armut im Kriegsgebiet werden im Verhältnis zu anderen Faktoren bei der Analyse der Situation stark vernachlässigt. Das gilt auch für die Anschläge, die Rußland immer wieder erschüttern. Armut und Elend sind im Nordkaukasus noch größer als in anderen Teilen des Landes, in denen das Gros der Bevölkerung sehr hart um sein materielles Überleben zu kämpfen hat. Die russische Gesellschaft ist von schwerwiegenden sozialen Spannungen betroffen, wie auch der um sich greifende Terror faschistischer Organisationen belegt, die zahlreiche Morde unter anderem an linken Oppositionellen begangen haben. Der gegen Tschetschenen und andere Bevölkerungsgruppen des Nordkaukasus, deren Zugehörigkeit zu Rußland zaristischem Eroberungsdrang geschuldet ist, gerichtete Rassismus trägt das seinige dazu bei, die Fronten zu verhärten und Unversöhnlichkeit zur Maxime staatlichen Handelns zu erklären.

Wer hierzulande meint, den in Rußland geführten Terrorkrieg als besonders brutal kritisieren zu müssen, der sollte den westlichen Imperialismus oder den israelischen Siedlerkolonialismus nicht unerwähnt lassen. Die Ausblendung der sozialen Widersprüche in den betroffenen Gesellschaften ist eine Offenlassung des Antiterrordiskurses, die mit ideologischen Glaubenssätzen überspielt wird, die der Analyse und Bewältigung gewalttätig ausgetragener Konflikte alles andere als dienlich sind.

31. März 2010