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PROPAGANDA/1390: Die Saga geht weiter ... Prinz Harry an die Front! (SB)



Die Harry-Saga geht weiter. Nein, nicht von dem jugendlichen Magier Harry Potter, auch wenn dieser sich gerne mit einem Attribut britischen Standesdünkels, dem Aufwachsen in einem privaten Internat, schmückt, ist die Rede. Der Harry, um den es heute geht, ist kein Produkt der Fantasy-Literatur. Er existiert in Fleisch und Blut als Sproß eines englisches Monarchengeschlechts, des Hauses Windsor. Prince Henry of Wales, volkstümlich Prince Harry genannt, ist dritter in der Reihe der Thronfolger des Commonwealth of Nations und damit potentieller Herrscher über 134 Millionen Menschen, die in den 16 Subjekten des Königin Elizabeth II. unterstellten Reiches leben. Als Mitglied eines Königshauses, das viel Wert auf militärisches Gepränge legt und in der Tradition eines weltumspannenden Empires steht, steht es ihm gut zu Gesicht, nicht nur sterben zu lassen, sondern selbst an einer der Fronten moderner Kolonialkriege zu kämpfen, in denen verwehte imperiale Größe wiederauflebt.

Allerdings waren Harrys Versuche, als ganz normaler Leutnant der traditionsreichen Blues and Royals, eines der Königin direkt unterstellten Elite-Regiments, am Irakkrieg teilzunehmen, davon behindert, daß die britische Boulevardpresse in helle Aufregung um die anstehende Bewährungsprobe des Prinzen ausbrach. In den Niederungen einer Unterhaltungskultur, die den Eindruck vermittelte, der Krieg im Irak sei nichts anderes als eine spaßige Inszenierung des Reality-TV, wurde etwa behauptet, die Soldaten des Zugs, den Harry im Irak kommandieren sollte, wollten T-Shirts mit der blutroten Aufschrift "Ich bin Harry" tragen, um etwaige Angreifer zu verwirren. Dann hieß es, sie hätten sich Perücken in der Farbe des rothaarigen Prinzen besorgt, um ihn dadurch vor irakischen Widerständlern zu schützen. Schließlich entstand der Eindruck, der Prinz solle durch ein Kamerateam des Verteidigungsministeriums begleitet werden, um seinen Kriegseinsatz als Doku-Soap unter dem Titel "Wüstenprinz" zu verwerten.

Zu allem Überfluß ließ ein Abu Zaid von der Malik Ibn Ashtar-Brigade der Mahdi-Miliz verlauten: "Wir erwarten die Ankunft des jungen, hübschen, verwöhnten Prinzen mit angehaltenem Atem. Wir werden uns ihm gegenüber großzügig zeigen. Wir werden ihn seiner Großmutter wieder zurückgeben, aber ohne Ohren." Die Möglichkeit, daß Bilder eines gefesselten Thronfolgers, den man bisher vor allem bei seinen Abenteuern in den Nachtclubs Londons bestaunen durfte, in den Händen irakischer Widerstandskämpfer auftauchten, führte schließlich dazu, daß Her Royal Highness Elizabeth II. in ihrer Eigenschaft als befehlshabender Oberst der Blues and Royals dafür sorgte, daß ihrem Enkel dieses zweifelhafte Abenteuer erspart blieb.

Das allerdings schien den rastlosen Prinzen erst recht dazu zu veranlassen, nach neuen Schlachtfeldern zu suchen, auf denen er beweisen konnte, daß blaues Blut so rot wie das anderer Soldaten ist. Dieses Mal immerhin konnte der Boulevard vermelden, Harry habe wie jeder andere Soldat sein Leben im Kampfeinsatz gegen die Taliban riskiert. 77 Tage währte sein geheimgehaltener Kampfeinsatz in der afghanischen Provinz Helmand im Jahr 2008, bis die Nachricht publik und für die Presse ausschlachtbar wurde. Die Tageszeitung The Sun taufte den Prinzen "Hero Harry" und rühmte ihn dafür, mit einem schweren Maschinengewehr an einem Feuergefecht teilgenommen und den Tod von bis zu 30 Taliban bewirkt zu haben, indem er Luftangriffe auf ihre Stellungen anforderte. Stolz wurde nachgerechnet, daß sein Kampfeinsatz exakt 735 Jahre nach dem Neunten Kreuzzug erfolgte, in dem sein Vorfahr Prince Edward im Nahen Osten die Botschaft des christlichen Gottes mit Schwert und Feuer verbreitete.

Jüngsten Informationen aus dem britischen Königshaus zufolge zieht es den Prinzen erneut in einen Kriegseinsatz. Dieses Mal allerdings will er nicht im Staub afghanischer Wüsten Deckung nehmen, sondern an Bord eines Apache-Kampfhubschraubers von oben ins Geschehen eingreifen. Gegenüber der Presse zeigt sich Harry begeistert über die Möglichkeiten, die sich ihm in der Kanzel dieser hochentwickelten Angriffswaffe eröffnen. Für ihn sei dies der einfachste Weg, zurück an die Front zu gelangen, könne er dort doch nicht gezielt von den Taliban als besonders wertvolle Beute gejagt werden. Um so mehr Spaß dürfte es machen, von diesem perfekten Instrument der Aufstandsbekämpfung tatkräftig Gebrauch zu machen. Wie die Tageszeitung The Guardian (08.05.2010) in der Berichterstattung über die Flugausbildung des 25jährigen Prinzen mitteilt, könne das Feuerleitradar des Apache 256 potentielle Ziele innerhalb von Sekunden erfassen und mit diversen Bordwaffen, unter ihnen eine 30-Millimeter-Schnellfeuerkanone und Hellfire-Raketen, bekämpfen.

Sage also niemand, die sogenannte asymmetrische Kriegführung der NATO-Staaten sei eine bloße, mit kalter Technokratenratio durchgeführte Maßnahme der Friedenserzwingung. Auch heute werden Kolonialkriege, zumindest von einigen Soldaten, als Feld der Ehre verstanden, auf dem der Ritus der Mannbarkeit vollzogen und die Zugehörigkeit zum gehobenen Stand weißer Herren besiegelt wird. Daß die Eingeborenen der Feuerkraft der Invasoren nach wie vor nichts annähernd vergleichbares entgegenzusetzen haben und sie darob zu "hinterhältigen" und "feigen" Mitteln wie Sprengfallen am Wegesrand greifen, mindert den Wert der bei ihrer Beseitigung zu erringenden Meriten keinesfalls. Schließlich kann man im Zeitalter des Stabilitätsexports durch NATO-Interventionismus nicht mehr erwarten, daß Harry wie weiland sein Vorfahr Edward hoch zu Roß in die Schlacht zieht, um sich mit seinen Gegnern im ebenbürtigen Zweikampf zu messen.

10. Mai 2010