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PROPAGANDA/1399: Irreführende Haßpolemik angeblicher Unterstützer Israels gegen Niebel (SB)



Auf "proisraelischen" Webseiten ist man sich einig - der FDP-Politiker Dirk Niebel macht den Möllemann und wird möglicherweise ein ähnliches Ende wie dieser finden. Die Polemik, mit der die Reaktion des Entwicklungsministers auf seine durch die israelische Regierung untersagte Einreise nach Gaza auf die Spitze genommen wird, dokumentiert in Anbetracht dessen, daß Niebel stets ein ungeteilter Unterstützer der israelischen Regierungspolitik war, den geringen geistigen Bewegungsraum, über den die sich als besonders liberal ausgebenden Verfechter neokonservativer Hegemonie verfügen. So ist Niebel als Vizepräsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in der FDP scharf mit Jürgen Möllemann ins Gericht gegangen, als dieser nicht mehr nur geschäftliche Interessen arabischer Klienten vertrat, sondern die Kritik an der israelischen Besatzungspolitik für seinen Wahlkampf instrumentalisierte.

Wenn Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, dem Entwicklungsminister anlastet, sich "sehr ungeschickt" in der Angelegenheit verhalten zu haben und dessen Bemerkung, die Blockade sei "kein Zeichen von Stärke, sondern eher ein Beleg unausgesprochener Angst" [1], scharf kritisiert, dann könnte er dem FDP-Politiker nicht wirksamer zustimmen. Wieso einen Israel stets wohlgesonnenen Minister an den Pranger der öffentlichen Meinung zu stellen, weil er einmal, anders als von ihm erwartet, seinem Ärger über eine Entscheidung der israelischen Regierung Ausdruck verleiht? Die Angst vor einem Dammbruch im Verhältnis westlicher Staaten zu Israel nötigt den Parteigängern der rechtszionistischen Regierung in Tel Aviv die geradezu inquisitorische Durchsetzung eines Dogmas ab, für das es keine andere Grundlage als auf Biegen und Brechen durchgesetztes Machtstreben gibt.

Daran beteiligt sind stets mehrere Akteure, deren Interessen in einen gemeinsamen Handlungskonsens einzubinden die Kunst politischer Vermittlung ausmacht. Die Bekundungen enger und vertrauensvoller Zusammenarbeit der Bundesregierung gegenüber Israel, die Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Eklat um das Einreiseverbot für ihren Minister erneuerte, nicht ohne festzustellen, daß sie davon ausgehe, daß Niebel diesen Besuch nachholen könne, ist genauso haltlos wie die Annahme, die besondere Unterstützung der Bundesrepublik verschaffe ihren Politikern eine Sonderstellung im Umgang Israels mit ausländischen Gästen. Wäre Israels starke Position im Nahen und Mittleren Osten nicht durch die USA gedeckt, dann zeigte sich schnell und völlig unabhängig von historischen Verpflichtungen, daß die Bundesrepublik ihre hegemonialen Ziele durchaus zu Lasten des jüdischen Staats durchsetzte, wenn die dominanten Kräfteverhältnisse dies ermöglichten.

Da deutsche Wirtschaftsunternehmen seit jeher in arabischen Ländern aktiv sind und die EU großes Interesse daran hat, diese Nachbarregion zum Nutzen ihrer Mitgliedstaaten zu befrieden und zu erschließen, ist die Bevorzugung Israels durch keinen jener Schwüre belastbar, die deutsche Politiker dem Land gegenüber pflichtgemäß ablegen. Mit den nun erfolgten Zugeständnissen der Regierung Netanjahu zur Lockerung der Blockade Gazas revidiert die israelische Regierung Positionen, die sie noch vor wenigen Tagen für unverrückbar erklärt hat. Dieses Zeichen der Schwäche zu vermeiden ist eine Maxime, die sie nicht zuletzt wegen des Angriffs auf die Free Gaza-Flottille und der Brüskierung der türkischen Regierung derzeit nicht mehr durchhalten kann.

Die Erklärung des israelischen Außenministeriums, sie erlaube die Einreise ranghoher Politiker in den Gazastreifen nicht, weil dies von der dort regierenden Hamas zu Propagandazwecken genutzt würde, was wiederum die gemäßigte Führung des Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas im Westjordanland schwäche [2], hätte von Niebel schon deshalb klaglos akzeptiert werden müssen, weil die Isolation der palästinensischen Partei erklärte Politik der Bundesregierung ist. Daß er die Verhinderung seines Besuchs dennoch mit deutlichem Widerspruch quittierte, ist kein Ausdruck persönlicher Kränkung, sondern repräsentiert die aktuelle Linie der Bundesregierung im Umgang mit Israel. Keinesfalls will man zu einer Stärkung der Hamas beitragen, allerdings schreckt man auch nicht davor zurück, eine solche Option als Druckmittel zur Durchsetzung eigener Interessen ins Feld zu führen.

Diese sind im Nahen Osten ebensowenig menschenfreundlicher Art wie in Afghanistan oder im Iran. Es geht wie stets um die optimale Positionierung der Bundesrepublik und der EU im geostragischen Feld, um Erfolg im internationalen Standortwettbewerb und um die Sicherung von Ressourceninteressen aller Art. Israel ist als militärischer und ökonomischer Gigant zwar ein Aktivposten westlicher Hegemonialpolitik, doch geht die Abwägung des Schadens, der der EU aus der andauernden Unterdrückung der Palästinenser erwächst, gegenüber diesem Nutzen zusehends zu Lasten seiner Regierung. Allein die Dominanz sie unterstützender Interessen in den USA hält die EU davon ab, die israelische Regierung zu Zugeständnissen zu nötigen, die den europäischen Interessen in der arabischen Welt zugutekämen.

Letztlich geht es den westlichen Regierung und den Unterstützern Israels darum, auf der Seite der Sieger im internationalen Sozialkampf zu stehen. Die Maximierung kolonialistischer Brutalität erweist sich jedoch als kontraproduktiv, wenn sie die Legitimation imperialistischer Politik dadurch schwächt, daß die Verbündeten Israels in die Lage gebracht werden, eine Politik zu rechtfertigen, die ihrem erklärten Wertekodex widerspricht. Zwar läßt sich mit den vielbeklagten doppelten Standards durchaus Politik machen, so lange die massenmediale Beschwichtigung funktioniert. Kommt es jedoch zu strategischen Veränderungen wie einer möglichen Neuausrichtung der türkischen Regionalpolitik, die die Interessen der NATO im Kern betrifft, dann steht mehr auf dem Spiel als moralische Glaubwürdigkeit.

Wenn Bernd Zeller auf Die Achse des Guten zu Niebel feststellt: "Es war wirklich ein Fehler, ihm die Einreise nach Gaza zu verweigern; richtig wäre gewesen, ihm die Ausreise zu verwehren" [3], wenn Leser der neokonservativen islamophoben Webseite Politically Incorrect in der Kommentarspalte schwadronieren: "Träte ein Mohammedaner den Niebel in den Rinnstein: ich stünde dabei und würde die 'Kulturbereicherung' 3.0 der besonderen Art auf meinem Mobil-Telephon festhalten; und natürlich direkt bei youtube posten"; "Herr Niebel kann sich zu dem Verräter Poettering (CDU) dazu gesellen"; "Der Niebel auf dem Möllemann-Zug. Hoffentlich stürtzt er nicht ab wie der Mölli" [4], dann spricht daraus die Ignoranz einer Demagogie, deren Urheber Israel ein reprojektives Feigenblatt der eigenen rassistischen Suprematie ist.

Ginge es diesen vermeintlichen Israelunterstützern tatsächlich um den Bestand dieses Staats, dann könnten sie Niebel ebensogut dafür loben, daß er der israelischen Regierung empfiehlt, die an ihr geübte Kritik ernstzunehmen und zu begreifen, daß es für sie "fünf Minuten vor 12" ist, sie also allen Grund habe, jede Chance zu nutzen, "um die Uhr noch anzuhalten" [1]. Wollte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vermeiden, daß das von ihm auf den Iran gemünzte Bild eines "Atombomben kontrollierenden messianischen Kults" [5] auf sein eigenes Land angewendet wird, dann täte er gut daran, Niebels Rat unabhängig davon, daß er durchaus als Drohung zu verstehen ist, zu beherzigen. Die notorische Hetze gegen angebliche Kritiker der israelischen Besatzungspolitik erweist sich einmal mehr als personalisierte Verteidigung eines Gewaltverhältnisses, an dem zu rühren das eigene Überleben zu Lasten anderer in Frage stellte.

Fußnoten:

[1] http://nachrichten.lvz-online.de/nachrichten/topthema/nach-einreiseverweigerung-niebel-wirft-israel-grossen-aussenpolitischen-fehler-vor/r-topthema-a-36115.html

[2] http://www.bild.de/BILD/politik/2010/06/20/minister-dirk-niebel-heftige-kritik-an-israel/keine-einreise-nach-gaza.html

[3] http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/zu_klaerende_sachen/

[4] http://www.pi-news.net/2010/06/email-an-dirk-niebel-grenze-ueberschritten/

[5] http://www.ynetnews.com/articles/0,7340,L-3695385,00.html

21. Juni 2010