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PROPAGANDA/1402: Vorwärts und alles vergessen ... Massenmobilmachung für den Sieg (SB)



Wenn nichts mehr hilft, dann walte der Fußball. Nicht der Ball als solcher, getreten von namenlosen Menschen um der Freude an Sport und Spiel willens. Der Rahmen bloßer Unterhaltung ist längst gesprengt, am Fernsehen und beim Public Viewing werden Ausweise der Zugehörigkeit vergeben. Was als bloßer Konsum so harm- und folgenlos wie jede andere Form der Ablenkung auch wäre, gerät als Akt tätigen Bekenntnisses zur volkspädagogischen Disziplinaranstalt. Der jüngste Erfolg der deutschen WM-Elf birgt Erfolgsgeheimnisse für den Standort Deutschland und Rezepturen für das aktuelle Krisenmanagement, die über bloße Analogieschlüsse hinausgehen, weil sie direkt dem Hort der Weisheit zivilreligiöser Glaubensdoktrin entspringen.

So fühlt sich ein Kommentator dazu berufen, der Bundesregierung am Beispiel der Nationalmannschaft vor Augen zu führen, "was es auch geben kann: Eleganz und Zusammenhalt, Vorwärtsdrang und Durchsetzungsvermögen" (FAZ, 05.07.2010). Nichts macht so trunken wie der Erfolg, den zu reproduzieren eine Kleinigkeit sein sollte, wenn man sich nur die zahlreichen Ratschläge zu Herzen nähme, die nun im Dutzend billiger feilgeboten werden. "Am Beginn stand im obersten deutschen Fußballstab eine innere Verständigung nicht nur über das Ziel, sondern vor allem über den Weg dorthin", weiß die Frankfurter Rundschau (05.07.2010) zu berichten und muß sich die Frage gefallen lassen, warum ihr publizistischer Erfolg bei so viel Wissen um die universale Wahrheit des Siegens so bescheiden ist, daß sie inzwischen im Rahmen einer Redaktionsgemeinschaft zusammen mit drei anderen Zeitungen produziert wird. Die Konsensmaschine des kommerziellen Journalismus kann durch kritische Geister nur aus dem Gleichschritt gebracht werden, der in vermeintlich unterschiedlichen Zeitungen identischen Inhalts zur publizistischen Tugend erhoben wird.

So begründet das Lob für Trainer und Mannschaft sein mag, so abwegig sind die verklärenden Fußballmetaphern, mit denen Journalisten und Politiker den Eindruck erwecken, die Politik sei ein Spiel, bei dem nur darauf ankomme, daß man gute Teamarbeit leiste und über ein sinniges strategisches Konzept verfüge. Die Absicht, hochbezahlte Fußballprofis zum Vorbild einer Regierung zu erklären, die als Agentur der Kapitalmacht die Aufgabe hat, den Widerspruch zwischen exorbitanter Staatsverschuldung und unantastbaren Eigentumsprivilegien zu Lasten der von Erwerbseinkommen und Sozialtransfers abhängigen Bevölkerung zu lösen, könnte die Bereitschaft zur Verneblung des sozialfeindlichen Charakters kapitalistischer Vergesellschaftung nicht besser dokumentieren.

So gerät die Zustimmung zum Fußballnationalismus zusehends zu einem Ausschlußkriterium, das gegen all diejenigen gerichtet ist, die sich der Emphase des Wir-Gefühls nicht hingeben wollen, weil sie grundlegende Einwände gegen die davon ausgehende Polarisierung haben. Wenn die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sich über den identitätsstiftenden Charakter des angeblich "unverkrampften Patriotismus" freut und behauptet, daß sei "kein Nationalismus der abgrenzt, sondern ein positives, einladendes Gefühl", dann unterschlägt sie den Zwang zur Affirmation, den jeder am eigenen Leib erlebt, der nicht dazugehört, weil er nicht mitjubelt. Was die 33jährige Ministerin als gesellschaftlichen Fortschritt der jüngeren Generation darstellt, die "ja schon lange über die Schwere der Debatte vieler Linksintellektueller hinaus (sei), ob man sich für Deutschland freuen darf" [1], verbleibt, wenn die Wellen der Gefühlsanimation verebbt sind, als Ressentiment gegen jegliche Kritik, die diesen Namen verdient hat.

Schröder arbeitet mit gezielter Irreführung, wenn sie die Normalität des Nationalismus als Entlastung von historischer Schuld feiert, die zu verwalten ewig gestrigen, das Spaßbad schwarzrotgoldenen Funs verweigernden Linken angelastet wird. Widerstand gegen Nationalismus ist nicht auf deutsche Bürger beschränkt, sondern Bestandteil jeglicher Herrschaftskritik, die den Klassenantagonismus kapitalistischer Gesellschaften nicht ignoriert. Die Diffamierung vermeintlicher Spaß- und Spielverderber als ausschließlich auf die Vernichtungspolitik des NS-Regimes abonnierter Antifaschisten erweist sich als Konterstrategie zur Durchsetzung herrschender Interessen, die auf der einen Seite mit jenem Schlußstrich kokettiert, den nicht zu ziehen die Bundesregierung beschwört, wenn sie wider alle unterstellte Verankerung in Völker- und Menschenrecht den israelischen Siedlerkolonialismus legitimiert, während sie ihn de facto längst gezogen hat, wenn sie die Anerkennung eigener Schuld in den Aktivposten einer historisch gerechtfertigten Kriegführung ummünzt.

Längst geht es nicht mehr um die Leugnung der eigenen Beteiligung an Völkermord und Aggressionskrieg. Was hat die junge Generation schon damit zu tun, daß ihre Großeltern den Antibolschewismus Hitlers im Antikommunismus McCarthys fortsetzten und sich darüber den Dispens verschafften, im Frontstaat BRD hohe Regierungsämter mit bewährten NS-Bürokraten besetzen zu können. "Wir gehen Patriotismus entspannter an - das ist typisch für unsere Generation", schwärmt Schröder über ihresgleichen und schert Rechte, Linke und Islamisten über den totalitarismustheoretischen Kamm, um sie unterschiedslos staatsfeindlicher Umtriebe bezichtigen zu können. Die Doktrin des Antiextremismus kennt keine antagonistischen Ideologien mehr, sondern nur die eine Nation, für deren Wohl die Guten ins Töpfchen und die Bösen ins Kröpfchen zu sortieren sind.

Der bunte Anschein, den das Fahnenmeer erweckt, maskiert die Uniformität der Nationalbegeisterung nicht, sondern unterstreicht den irrationalen, zwischen opportunistischem Herdenverhalten und ungeahnten Ausfällen changierenden Furor in Marsch gesetzter Massen. Was noch nicht die bedrohliche Form unvermittelter körperlicher Gewalt annimmt, droht den am Rande Stehenden damit, daß sie im Ernstfall auf der falschen Seite stehen. Wer behauptet, die Erregung der Massen sei jemals Ausdruck purer Lebensfreude gewesen, ignoriert die geschichtliche Lektion über Volkserhebung und Mobilmachung. Eine nicht in den Kategorien kulturindustrieller Vermittlung angesiedelte Freude bedarf der Vereinnahmung durch das größere Ganze nicht, ihre Kollektivität schließt jegliche Fremdbestimmung durch Dritte aus.

Der vielgelobte Teamgeist der Nationalmanschaft kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Motive und Ziele von Sportstars Welten von den Zwängen und Problemen um ihr Überleben kämpfender Menschen entfernt sind. So wird die Berichterstattung über die neuen deutschen Helden von einem Leistungsethos dominiert, dem das Team eine ausschließliche Bedingung seines Erfolgs ist und nicht etwa für die Solidarität mit dem Schwachen oder die Lehren menschlichen Scheiterns fruchtbar gemacht werden soll. Der Kontext des Wettbewerbs kontaminiert alle vermeintlich erstrebenswerten Qualitäten der Sportler mit dem Sozialdarwinismus der neoliberalen Verwertungslogik, dem sie in ihrer massenmedialen Präsenz auch und gerade dann Pate stehen, wenn gelebte Multikulturalität mit dem Siegel erfolgreich erbrachter Leistung gegen die Akzeptanz nichts als ihr nacktes Leben mitbringender Migranten gestellt wird. So führt die am Vorbild erfolgreicher Sportler exemplifizierte Schelte der Regierungspolitik nur ein Publikum in die Irre personalisierter Zuständigkeit für die Misere, das an der Ermächtigungslogik der Exekutivgewalt nicht rühren möchte, weil die dann sichtbar werdenden Probleme durch keine massenmediale Verdummungsstrategie mehr aus der Welt zu schaffen wären.

Fußnote:

[1] http://www.rp-online.de/politik/deutschland/WM-Erfolg-laesst-Geburten-steigen_aid_874287.html

5. Juli 2010