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PROPAGANDA/1436: Die Mauer steht noch ... zwischen Arm und Reich (SB)



Am heutigen 13. August 2011 begeht das offizielle Deutschland in Gestalt des politischen Establishments samt den meinungsbildenden Mainstreammedien den 50. Jahrestag des Berliner Mauerbaus. Die breite Mehrheit der Bevölkerung dürften die dem Anlaß entsprechend zur Schau gestellten Trauermienen und Krokodilstränen nicht im geringsten interessieren. Niedriglöhne, befristete Arbeitsverträge, Leiharbeit, Entlassungen, Hartz IV und dergleichen Grausamkeiten mehr haben eine Schneise sozialer Verwüstung durch die Gesellschaft geschlagen, deren Opfer das vielbeschworene deutsche Wohlstandsbürgertum nur noch vom Hörensagen kennen. Wollte man glaubhaft eine Mauer beklagen, die quer durch Deutschland verläuft und die Menschen trennt, so wäre es die zwischen Arm und Reich. Ginge man daran, diese Barriere niederzureißen, bräche allerdings mehr zusammen als nur aufgetürmtes Mauerwerk.

Das zu verhindern ist der Zweck der Übung, wenn man mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Ende der DDR und dem Mauerfall unermüdlich mahnt, daß eines nie wieder geschehen dürfe: der Sozialismus. Diese Predigt ist nötiger denn je, rücken doch die Verheerungen kapitalistischer Verwertung und die Umlastung der Krisenfolgen auch den Bundesbürgern so dicht auf den Pelz, daß der deutsche Klassenkompromiß, uns gehe es immer noch viel besser als dem Rest, seine Tragfähigkeit eingebüßt hat. Wie eingetrockneter Leim, der aus den mürben Fugen bröselt, verliert das Leitmotiv hiesiger Tüchtigkeit und Schaffenskraft als Garant wirtschaftswundersamer Dauerblüte für alle seine Bindekraft. Sozialrassistische Bezichtigung prügelt aus der Mitte der Gesellschaft auf angebliche Versager ein, um sie in jene Schuldknechtschaft zu zwingen, der man das Lebenselixier der Eliten abpreßt. Greift Elend massenhaft um sich, müssen dessen Produzenten den Verlust ideologischer Deutungshoheit fürchten, die sich immer weniger mit der Lebenswirklichkeit zahlloser Menschen zur Deckung bringen läßt.

Da tut es hiesigen Politikern gut, einmal nicht ständig nach England schielen und treuherzig versichern zu müssen, daß derartiges bei uns nicht geschehen könne, weil die Integration hierzulande viel weiter fortgeschritten sei. Während ringsum die Gesellschaft auseinanderbricht, lassen vorgezogene Sonntagsreden Ost und West zusammenwachsen, um mit den Mauern in den Köpfen aufzuräumen, hinter denen sich ein Restzweifel verschanzt. Mag der Vorbehalt auch winzig sein, ob wir am Ende doch nicht die bestmögliche aller Lebenswelten genießen, so steht zum Leidwesen bundesdeutscher Führungskasten bereits in der Bibel, daß das Senfkorn der allerkleinste unter den Samen sei, doch zum größten Baum heranwachse. Die Botschaft ist fatal, denn tunesische, ägyptische, israelische, chilenische oder britische Verhältnisse unverhofft explodierender sozialer Dampfkessel kann Europas exportmeisterliche Führungsmacht inmitten eskalierenden Krisenzitterns am allerwenigsten gebrauchen.

Zum Glück gibt es die Linkspartei, der man anstelle des abhanden gekommenen realsozialistischen Widerparts alles anhängen kann, was den Bundesbürgern an Schreckgespenstern eingetrichtert werden soll. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt wirft Gesine Lötzsch eine "unerträgliche Verklärung des sozialistischen Systems" vor. FDP-Chef Philipp Rösler verurteilt die "Relativierung dieses Verbrechens an unserer Nation" und Generalsekretär Christian Lindner stößt ins selbe Horn: "Die Linke verhöhnt die Maueropfer." CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe kanzelt mit der Linkspartei auch die SPD ab: "Wer die Diktatur schönredet, Stasi-Spitzel in seinen Reihen duldet, die SED-Opfer verhöhnt und erneut sozialistische Experimente plant, der ist als Koalitionspartner nicht geeignet." Nicht fehlen dürfen in diesem Konzert die Grünen: Die Parteichefs Claudia Roth und Cem Özdemir warnen davor, die Geschichte "durch wohlfeile Beschönigungsversuche umzudeuten". [1]

Das Ärgernis Linkspartei, die den Sozialismus für nicht restlos entsorgt erklärt, muß als Prügelknabe herhalten, um die Bundesbürger zu lektionieren, was nicht sei kann und darf: Ende der Systemfrage, Ende der sozialen Frage! Wer etwas anderes behauptet, ist - wie es Wolf Biermann im Deutschlandfunk mit Blick auf die Parteivorsitzende der Linken formulierte - "eine politische Erbin der Kräfte, die schuld waren am Bau der Mauer". [2] Es handle sich um eine "Geschichtssicht von geschichtslosen Menschen, die irgend etwas verdecken und verschleiern und beschönigen wollen". [3] Das zwangsläufig ins Nebulöse eines ideologischen Generalverdachts entufernde Schwadronieren des Liedermachers führt vor, warum Linken-Geschäftsführer Dietmar Bartsch seiner Partei ein schlechter Ratgeber ist, wenn er verlangt: "Auch wegen unserer Geschichte ist es unabdingbar, dass wir uns in der Frage der Berliner Mauer eindeutig positionieren."

Sich jeder differenzierten Analyse zu enthalten und mit der Verdammung des "Unrechtsstaats" im Osten den "Rechtsstaat" im Westen für alternativlos zu erklären, geht konform mit den Gegnern der Linkspartei. Solange sich Die Linke ihres Parteinamens würdig erweist, wird man sie diffamieren und zum Abschwören zwingen wollen. Da hilft kein Drehen und Winden, kein Lavieren und Taktieren: Jeder Schritt zurück schafft verlorenes Terrain, wie es sich die Berliner Festredner des 13. August wünschen.

Fußnote:

[1] http://de.nachrichten.yahoo.com/lindner-kritisiert-äußerung-linken-chefin-mauer-055206031.html

[2] http://www.mz-web.de/servlet/ContentServer?pagename=ksta/page&atype=ksArtikel&aid=1313173141882

[3] http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1191791

13. August 2011