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PROPAGANDA/1493: "Lust auf Deutschland" - viel Holz für nichts (SB)



Nicht jeder Mensch hat sich am 22. Juni beglückt und beschenkt gefühlt, als die kostenlose Jubiläumsausgabe der Bild-Zeitung aus den Briefkästen von 41 Millionen Haushalten der Bundesrepublik ragte. "Lust auf Deutschland" knallte auch dem flüchtigen Betrachter in schwarz-rot-goldenen Lettern entgegen, und wer nicht auf Anhieb eine entsprechende Aufwallung verspürte, dem wurde mit einem farbanalog ausgestatteten "Bikinimädchen" auf die Sprünge geholfen. Daß die mehrheitlich als maskulin und heterosexuell eingestufte Zielgruppe überhaupt in der Lage ist, Lust auf ein Land, also das Abstraktum eines Nationalstaates, zu verspüren, scheint die Chefredaktion des Blattes weniger zu interessieren. Als Chiffre nationalistischer Selbstbeweihräucherung tut der Aufmacher seinen Dienst, und darauf kommt es ihr offensichtlich an.

Im Editorial schwadroniert Chefredakteur Julian Reichelt von dem "weiten und unglaublichen Weg", den Deutschland in den 65 Jahren, seit es seine Zeitung gibt, gegangen sei, "begleitet und beschrieben von BILD!". So protzig die Aktion, die ganze Republik ungefragt mit gedruckten Bild-Ausgaben zu überfluten, so falsch die Bescheidenheit der Behauptung, nichts anderes als das getan zu haben. Von Indoktrination zu sprechen, wäre ein vornehmer Ausdruck für 65 Jahre staatstragende und kapitalakkumulierende Propaganda, mit der der Axel Springer Verlag auch heute noch eine Bevölkerung behelligt, die Bild "am Kiosk, beim Bäcker, an der Tankstelle, auf dem Fernseher, auf dem Smartphone, auf dem Laptop, auf Social Media" erstehen und konsumieren kann.

Wenn die Bild-Zeitung heute nicht mehr als reaktionäres Boulevardblatt wahrgenommen wird und als Synonym für irreführenden Alarmismus aus der Presselandschaft hervorsticht, dann nicht, weil sie sich verändert hätte. Spätestens seit dem Ende der Blockkonfrontation hat sich der Generaltenor fast aller auflagestarken Blätter auf die Anerkennung herrschender Gewaltverhältnisse eingeschossen. Der antikommunistische Furor, mit dem Bild in den 60er Jahren die Bevölkerung in Pogromstimmung versetzt hat, ist in Zeiten von Pegida und AfD von nachrangiger Bedeutung. Hin und wieder auf die lange untergegangene DDR einzudreschen oder ein Rührstück aus dem Gruselkabinett der Stasi zu bringen reicht völlig aus, die eigenen Leichen vergessen zu machen. Es bedarf auch keines besonderen Mutes mehr, sich für LGBTI-Menschen einzusetzen, seit imperialistische Kriege mit Gender Mainstreaming geführt werden.

"Freier, furchtloser Journalismus ist ein Teil dieses großartigen Landes", lobt Reichelt im Editorial, doch ist in der vorliegenden Gratis-Ausgabe davon nichts zu sehen. Versteht man ihr redaktionelles Angebot als repräsentatives Beispiel für Kultur und Gesellschaft der angepriesenen nationalen Lustbarkeit, dann erfüllen diese nicht einmal den Qualitätsanspruch eines Ein-Euro-Marktes. Auch von Hofberichterstattung für Staat und Kapital kann kaum die Rede sein, so lieblos zusammengewürfelt und armselig verfaßt ist das journalistische Menü, das der Nation auf den Frühstückstisch flatterte. Mehr als die Hälfte des Blattes entfällt auf meist ganzseitige Werbeanzeigen, was nicht nur Zweifel am kostenlosen Charakter der Sonderausgabe weckt, sondern das ganze Elend einer Marktgesellschaft vor Augen führt, in der alles über den Preis geregelt wird. Was dazwischen an redaktionellen Beiträgen plaziert wurde, lohnt die Lektüre nicht, so beliebig wirkt das Gemenge aus Jubelbeiträgen über Merkel und Schulz, dem Abfeiern der angeblichen Errungenschaften deutscher Autokonzerne und den Ehrerbietungen gegenüber König Fußball, dem eigentlichen Regenten und Souverän des Landes.

Viel Holz für nichts auf einem Pressemarkt, den elf Konzerne unter sich aufteilen, deren Eigner in Sachen Geldwert von Friede Springer mit geschätzten vier Milliarden Euro Privatvermögen angeführt werden. 99,5 Prozent der täglichen Verkaufsauflage am Zeitungsmarkt entfallen auf fünf Verlagsgruppen, deren weithin entuferte Konzernstrukturen die vielbeschworene Neutralität ihres Journalismus mit unsichtbaren Zäunen aller Art einfrieden. Zahlreiche Beteiligungen an pressefremden Unternehmen, die Notwendigkeit, ein werbefreundliches Umfeld in ihren Blättern zu schaffen, die sich immer weiter auswachsende Vermengung von redaktionellem und PR-motivierten Content als auch das selbstredende Primat, alle Infragestellung der kapitalistischen Eigentumsordnung ins Reich des Bösen zu verbannen, sind Bedingungen eines Geschäftsbetriebes, der sich wirklich freien und furchtlosen Journalismus schlichtweg nicht leisten kann [1].

Wer das Land auch nur an einem Tag mit 41 Millionen kostenlosen Printexemplaren einer Tageszeitung überschwemmen kann, der liefert damit auch den schlagenden Beweis für die Dominanz einer Meinungsmacht, gegenüber der tatsächlich freie und streitbare Publikationen schon deshalb keinen Stich haben können, weil die Verbreitungskanäle fest in der Hand an Geldmacht orientierter und politische Hegemonie anstrebender Akteure sind. Das gilt in beschränktem Maße auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der gegen die Totalisierung des Marktprimats dennoch zu verteidigen ist, und sei es nur, um die verbliebene Nischen eines Journalismus zu schützen, der das Attribut "kritisch" noch in Anspruch nehmen kann.

"Lust auf Deutschland" - der nationalistische Tenor des Aufmachers ist symptomatisch für die Festungsmentalität eines Pressebetriebes, der das Fundament seines Geschäftsmodells in der herrschenden Eigentumsordnung und ihrer Expansion auch zum Preis aggressiver Kriegführung verortet. Die Zurichtung der Bevölkerung auf reibungsloses Funktionieren in der Arbeitsgesellschaft ist seine zentrale Aufgabe, die mit allerlei Winkelzügen und Scheinmanövern zu vollziehen mitunter auch den irreführenden, die strukturellen Bedingungen des Pressemarktes ignorierenden Eindruck journalistischer Streitbarkeit erwecken kann. Wie rassistische Feindbilder und gewaltbereiter Sozialneid geschürt werden kann, gehört nicht minder zum Arsenal einer Boulevardpresse, die auch in ihrer gehobenen Magazin- und Wochenzeitungsform längst in den Niederungen sozialchauvinistischer Apologie angekommen ist.

Im Ergebnis ist der Horizont dieser Bewußtseinsindustrie gerade so weit gespannt, daß der Eindruck allzu großer Enge vermieden wird. Mit Bild und Konsorten werden die Fesseln so geschmeidig gehalten, daß die meisten Menschen nicht merken, wie fest sie angezogen sind. Wo mit Lust auf die Nation ein sinnstiftendes Identitätsangebot sondergleichen gemacht wird, da soll einem die Lust am Ausbruch aus diesen Verhältnissen schon vergehen. Und wer ihn dennoch wagt, der wird von der Fußballnation in ein Abseits geschossen, aus dem es keine Wiederkehr gibt.


Fußnoten:

[1] Ulrike Sumfleth - Simulierte Diskurse. Verlagskonzerne und ihr Märchen von der Pressefreiheit

7. Juli 2017


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