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RAUB/0871: Krisendialektik ... das System durch seine Aufhebung retten (SB)



Liberale und konservative Politiker polemisieren gegen die sogenannte Enteignung der Aktionäre der Großbank Hypo Real Estate (HRE) mit Vergleichen, die suggerieren, in der Bundesrepublik würde der Staatssozialismus Einzug halten. Bemerkenswerterweise fielen die Proteste gegen staatliche Hilfen und Garantien in Höhe von 102 Milliarden Euro an nämliches Geldinstitut vollständig aus. Beim Handaufhalten vergessen auch eingefleischte Marktfundamentalisten, daß sie damit der neoliberalen Auslegung des Sozialismus, des Übertrags von Verlusten auf die Allgemeinheit, frönen.

Von Enteignung, zudem gegen Entschädigung der Aktionäre, kann ohnehin keine Rede sein, wenn die Tatsache, daß ihre Anteile überhaupt noch an der Börse notiert werden, dem Umstand zu verdanken ist, daß der Staat bereits mehrere hundert mal so viel in das Unternehmen gebuttert hat, als sein derzeitiger Börsenwert beträgt. Daß der US-amerikanische Großaktionär Christopher Flowers, der 24 Prozent des HRE-Aktienkapitals hält, diese am liebsten zu dem Preis veräußerte, zu dem er sie erstand, ist verständlich. Daß er sich möglicherweise mit den derzeitigen Börsenwert von 1,20 Euro abfinden muß, obwohl er im vergangenen Jahr 22,50 Euro je Anteilsschein ausgegeben hat, ist die mögliche Folge der staatlich verfügten Übernahme der Großbank.

Die Mißachtung des juristischen Eigentumstitels, die insbesondere FDP-Politiker bei einer solchen Zwangsmaßnahme beklagen, führt jedoch nicht zu einer sozialistischen Bundesrepublik, wie Parteichef Guido Westerwelle befürchtet. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die bei der Debatte um die Verstaatlichung der Bank nie vergißt zu betonen, wie sehr ihr als vom DDR-Sozialismus gebranntes Kind eine solche Maßnahme zuwider ist, erwägt diesen Schritt allein deshalb, um einen Systemwechsel zu verhindern. Gerettet werden soll die Freiheit der kapitalistischen Marktwirtschaft durch ihre befristete Aussetzung, so das Credo der Bundesregierung, das in sich so widersprüchlich ist wie ein angeblich staatsferner Markt, der ohne den von staatlichen Gewaltorganen gewährten Schutz des Privateigentums, ohne die militärische Sicherung globaler Handelsinteressen, ohne die administrative Ausgrenzung für die Wertschöpfung überflüssiger Menschen und ohne ordnungspolitische Rahmenbedingungen, mit denen sich kapitalismusimmanente Monopolisierungstendenzen im Zaum halten lassen, nicht funktionieren kann.

Flowers und alle anderen HRE-Teilhaber werden allerdings nicht aus bloßem Mitleid mit dem harten Schicksal, das Schiff in ihrer Verantwortung als Eigner auf Grund gesetzt zu haben, entschädigt. Eingedenk der bislang so eifrig gepredigten wirtschaftsliberalen Glaubensdoktrin will man dem Eindruck, hier könne es sich tatsächlich um eine Entwicklung hin zur generellen Verstaatlichung großer Unternehmen handeln, die womöglich auf eine Vergesellschaftung der Produktionsmittel hinausliefe, durch die Bekräftigung entgegenwirken, daß man es mit einer notgedrungenen Ausnahme von der Regel der prinzipiellen Bevorteilung des Kapitals zu tun habe. So still und heimlich, wie die propagierte Regel, laut der lukrative Gewinne am Finanzmarkt durch das damit eingegangene Risiko großer Verluste erkauft werden, zu Grabe des staatlichen Krisenmanagements getragen wurde, so lautstark werden die Leiden der Kapitaleigner in die Waagschale sozialer Gerechtigkeit geworfen, wenn ihnen etwas genommen wird, das sie längst verspielt haben.

Dieses Lamento dient einzig dem Zweck, vergessen zu machen, daß es noch ganz andere Lösungen zur Bewältigung der Wirtschaftskrise gibt. In der Eigentümergesellschaft der Bundesrepublik besteht das einzige Eigentum vieler Menschen in einem begrenzten körperlichen Leistungsvermögen, das sie verbrauchen müssen, um bei wenigen die Illusion zu nähren, daß ihr Geld arbeite. Um so geringfügiger entlohnte Menschen hätten allen Grund, die Frage zu stellen, wieso die gigantischen Summen, die zur ohnehin fraglich bleibenden Rettung der Banken aufgebracht werden, nicht unmittelbar in die Produktivkraft humaner Arbeit und Versorgung investiert werden, die reale Erträge in Form von Gütern generiert. Wieso wird das Risiko, das Kapitaleigner angeblich eingehen, nicht eingelöst, um eine Situation zu schaffen, in der bei einem nicht mehr reversiblen "Marktversagen" über systemische Alternativen der gesellschaftlichen Reproduktion nachgedacht werden muß?

Weil mit dem Schurkenstück, das auf der Bühne der Bundesrepublik derzeit aufgeführt wird, die Sicherung der Vorteile bislang und eben auch in Zukunft herrschender Kapitalmacht- und Funktionseliten betrieben wird. Wenn im Fall der HRE der Eindruck erzeugt wird, es ginge der Bundesregierung bei deren Alimentierung lediglich darum, die solide Anlageform des Pfandbriefes vor dem Pleitensturm unseriöser Finanzmarktinstrumente zu retten, dann werden auch damit Investoreninteressen bedient, und seien es nur die derjenigen Bundesbürger, die auf eine kapitalmarktgedeckte Rente gesetzt haben. Die vielbeschworene "Systemrelevanz" der HRE besteht darin, daß ihr Zusammenbruch unkalkulierbare Entwicklungen in Gang setzen könnte, die sich nicht auf Verluste von Kapitaleignern beschränkten, sondern die die soziale Hierarchie der Gesellschaft im schlimmsten Fall auf den Kopf stellten.

Die Marktwirtschaft zu retten, indem man gegen ihre Prinzipien verstößt, bedeutet vor allem, die davon profitierenden Interessen zu schützen. Dabei handelt es sich nicht nur um Kapitaleigner. Der ganze Komplex mit ihnen in Staat und Gesellschaft verknüpfter Funktionsträger könnte zur Disposition eines Austauschs des Personals gestellt werden, wenn die selbsterklärten Regeln konsequent eingehalten würden. Zu den dagegen gerichteten Bannsprüchen gehört auch die nun häufig zu vernehmende Behauptung, in Zeiten der Krise dürfe man nicht um ansonsten bis zum Überdruß gepredigte ideologische Grundsätze streiten. In jedem Fall grenzt es an einen strafwürdigen Akt, nämliche Grundsätze durch das Bekenntnis zu revolutionärer Gesellschaftsveränderung in Frage zu stellen.

19. Februar 2009