Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

RAUB/0875: Globale Verelendung sicherheitspolitisch durchgesetzt (SB)



Als der Geheimdienstkoordinator des US-Präsidenten, Dennis Blair, im Februar die Wirtschaftskrise zum gegenwärtig größten Sicherheitsrisiko für die USA erklärte, wollte er damit keinen Paradigmenwechsel einleiten. Er gab lediglich zu bedenken, daß der daraus resultierende Protektionismus die ökonomische Lage der USA negativ beeinträchtigen und zu einer Reduzierung der Militärbudgets verbündeter Staaten führen könne. Im Kern seiner Bedrohungsanalyse stand die Befürchtung, daß die Freihandelsdoktrin dauerhaft diskreditiert und das Ziel seiner Regierung, dem US-Kapital überall auf der Welt Zutritt zu verschaffen, torpediert werden könnte.

Damit hatte Blair den Terrorkrieg keineswegs zu einem Auslaufmodell erklärt. Ganz im Gegenteil, die Unterstellung, die Geheimdienste und Streitkräfte der USA müßten überall auf der Welt "proaktiv" und "präventiv" die Sicherheit des eigenen Landes gewährleisten, erfüllt vor dem Hintergrund einer wachsenden Gefahr konventioneller Staatenkriege die unverzichtbare Rolle eines Generalvorwands für Maßnahmen und Interventionen, mit denen die eigene Vormachtstellung untermauert wird. Globaler Freihandel und globale Terrorismusbekämpfung sind zwei Seiten eines imperialistischen Weltordnungskonzepts und werden es in Zukunft zweifellos weiter sein.

Vor diesem Hintergrund ist auch die aktuelle Erklärung der Weltbank zu bewerten, laut der die globale Wirtschaft 2009 erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wieder schrumpfen wird. Davon wiederum sind die ärmsten Staaten am meisten betroffen. Nun erweist sich der ihnen zuvor von nämlicher Weltbank verordnete neoliberale Strukturwandel als besonders verheerend. Wer aufgrund seiner Verschuldung gegenüber westlichen Staaten und Banken dazu genötigt wurde, sich zu Lasten der eigenen Bevölkerung als Rohstoff- und Arbeitslieferant zu verdingen, erleidet nun eine wirtschaftliche und soziale Katastrophe. Die exportorientierten Volkswirtschaften der Länder des Südens haben aufgrund ihrer hohen Kredite und dem daraus entstandenen Schuldendienst in einer Phase der globalen Rezession erst recht Probleme, die erforderliche Neuverschuldung überhaupt zu ermöglichen. Die Exporte in die Industriestaaten sind stark rückläufig, von dort getätigte Direktinvestitionen bleiben aus, und bereits vorhandene Investitionen werden wieder abgezogen.

Das auch unter Wachstumsbedingungen nicht wie versprochen zu allgemeinem Wohlstand führende neoliberale Akkumulationsregime erweist sich nun als regelrechte Falle für die Betroffenen. Der Abbau sozialpolitischer Überlebensgarantien und substitutiver Wirtschaftsweisen hat die Menschen in die Abhängigkeit eines Welthandels getrieben, dessen Zusammenbruch sie völlig ungeschützt krasser existentieller Not überantwortet. Wo immer die armen Länder sich in die globalen Verwertungsketten integriert haben, werden die Lieferanten von Rohstoffen und Billigarbeit ihrer wichtigsten Erwerbsmöglichkeiten beraubt, und das nach bereits erfolgter Verödung des eigenen ökonomischen Unterbaus durch Privatisierung, Deregulierung und Sozialabbau.

Da die Systemkrise von den finanzkapitalistischen und industriellen Zentren in EU, USA, Japan sowie den Schwellenstaaten China und Rußland ausgeht, man dort also mehr als genug mit dem eigenen Krisenmanagement zu tun hat, ist an eine Erfüllung der mehrfach getroffenen entwicklungspolitischen Zusagen nicht zu denken. Ganz im Gegenteil, die Entwicklungsstaaten rücken verstärkt als Ressourcen letzter Instanz ins Blickfeld krisengeschüttelter Industriestaaten. Das Bestehen der führenden weltpolitischen Akteure auf Aufrechterhaltung des Freihandels ist nicht nur der Einsicht geschuldet, daß ein von nationalstaatlicher Konkurrenz unterminiertes Krisenmanagement die Wirtschaftskrise im Zweifelsfall verlängert und verschlimmert. Es hebt vor allem darauf ab, daß das bisherige Konzept globaler Expansion und Arbeitsteilung auch die Chance eröffnet, sich die Volkswirtschaften zahlungsunfähiger Staaten vollends anzueignen und dauerhaft in Zonen neokolonialistischer Ausbeutbarkeit zu verwandeln.

Nach dem 11. September 2001 bekannte sich die damalige US-Regierung dazu, die Bekämpfung des Terrorismus nicht nur auf kriegerische Weise betreiben zu wollen, sondern dem Gegner mittels der wirtschaftlichen Besserstellung der Länder des Südens den Boden zu entziehen. Dieser Vorsatz uferte in die Fortsetzung des neoliberalen Strukturwandels unter dem Vorzeichen der Terrorismusbekämpfung aus und hatte das vorhersagbare Ergebnis, die Not zu vergrößern und den Widerstand gegen die US-geführte Weltordnung dementsprechend zu verstärken. Die nun erfolgende Durchsetzung des herrschenden Systems gegen jeden Ansatz, einen sozialistischen Systemwechsel zu initiieren, richtet sich gegen die Versuche der von Ausplünderung und Unterdrückung betroffenen Bevölkerungen, sich selbst zu helfen. Der genuin systemapologetische Charakter des Terrorkriegs tritt noch unverhohlener als zuvor in Erscheinung und generiert Verfügungsformen, mit denen dem Staat zusehends die Aufgabe übertragen wird, den Klassenantagonismus auch in den westlichen Metropolengesellschaften einer strikten Regulation der Ein- und Ausschließung zu unterwerfen.

9. März 2009