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RAUB/0886: Finanzpolitische Solidität suggerieren ... Banken alimentieren (SB)



Wann immer es um die Kosten der Krise geht, wird auf eine finanzpolitische Solidität verwiesen, die jeder gesamtgesellschaftlichen Grundlage entbehrt. So spricht der FDP-Rentenexperte Heinrich Leonhard Kolb anläßlich der von Bundesarbeitsminister Olaf Scholz gemachten Zusage, daß es auch im nächsten Jahr keine Rentenkürzung geben wird, von einem "unauflösbaren" Zusammenhang zwischen den aus Arbeitseinkommen stammenden Sozialbeiträgen und den Renten, die sich unter allen Bedingungen an der allgemeinen Einkommensentwicklung orientieren sollen (Deutschlandradio, 29.04.2009).

Vor nicht allzulanger Zeit haben liberale Politiker und Wirtschaftsexperten noch von der unbedingten Freiheit des Marktes schwadroniert. Um der Ausweitung des Sozialtransfers vorzubeugen, legten sie ein unbedingtes, in der Systemlogik der Marktwirtschaft wie ein Naturgesetz verankertes Prinzip der Nichteinmischung des Staates fest.

Abgesehen davon, daß dies nie gestimmt hat, sondern stets nur sozialpolitisch sinnvolle Interventionen betraf, während man steuer- und ordnungspolitische Eingriffe gerne in Kauf nahm, wenn sie gegen die Interessen der Lohnabhängigen gebürstet waren, ist man innerhalb kürzester Zeit von diesem ehernen Grundsatz abgerückt. Nur durch beschleunigtes Vergessen lassen sich heute Banken innerhalb von Tagen mit Summen refinanzieren, die für andere gesellschaftliche Bereiche auch in Jahren nicht freigesetzt werden. Die von Politikern an der Bilanz des Staatshaushalts orientierte Ausgabenmoral könnte nicht verlogener sein und wird dennoch zu Lasten von Leistungsempfängern eingefordert, die jeden Cent umdrehen, bevor sie sich dafür entscheiden, ob sie ihn lieber für Nahrung, Strom oder Kleidung ausgeben.

816 Milliarden Euro an faulen Krediten und Wertpapieren, die ihrem Namen nicht mehr gerecht werden, sollen womöglich laut der Bafin noch bei deutschen Banken lagern. Fast 1100 Milliarden Euro an Einnahmen aus Finanzinvestitionen im Ausland haben deutsche Geldinstitute in den letzten zehn Jahren laut Bundesbank gemacht. Es wurde heftig verdient, aber krisenbedingte Ausfälle sollen, nachdem niemand mehr von der unsichtbaren Hand des Marktes reden mag, von der öffentlichen Hand kompensiert werden. Die daraus entstehenden Belastungen des Staatshaushaltes sind um ein Vielfaches größer als eine an die allgemeine Inflation angepaßte Rentenerhöhung, die nicht an rückläufige Einnahmen aus sozialversicherungspflichtigen Einkommen gebunden wäre.

Der mit dem Argument der "Systemrelevanz" vollzogene Bruch jener vergessenen Regel, laut der die hohen Einkünfte der "Leistungsträger" - Kapitaleigner, die angeblich ihr Geld für sich arbeiten lassen - sich dem Umstand verdanken, daß sie auch das Ausfallsrisiko ihrer Investments zu tragen hätten, läuft mithin auf eine besonders hochentwickelte Form der Wegelagerei hinaus. Hochentwickelt deshalb, weil Räuber, Gendarm und Pope an einem Strang ziehen, an dessen Ende der lohnabhängige, erwerbslose oder verrentete Bürger nach allen Regeln der Kunst eingeseift wird.

Dazu gehört auch der Versuch, daß SPD-Politiker wie Scholz nun vergessen machen wollen, in welchem Ausmaß sie an der Verarmung großer Teile der Bevölkerung beteiligt waren und sind. Sich im Vorfeld wichtiger Wahlen als generöser Rentnerversteher aufzuspielen ist nur möglich unter Anerkennung nämlicher Systemlogik, laut der die mehrwertgenerierende Verwertung des Kapitals das A und O volkswirtschaftlicher Vernunft ist. Da das Problem einer anwachsenden Zahl von Leistungsempfängern bei abnehmenden Steuererträgen keinesfalls auf naheliegende Weise durch die umfassende Belastung derjenigen Kapitaleigner und Großverdiener, die bislang vom neoliberalen Kurs der Politik profitiert haben, gelöst werden soll, bleibt nur die Aufkündigung der Beteiligung am Betrieb dieses Systems durch das Gros der Bevölkerung.

29. April 2009