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RAUB/1036: Armut und Reichtum - Keine Frage gerechter Verteilung (SB)




Solange man Armut und Reichtum für zwei verschieden große Stücke eines Kuchens hält, ist die Welt für die Reichen in Ordnung. Wenn jeder behalten und mehren darf, was Sein ist, läßt sich trefflich und endlos darüber streiten, ob der eine dem andern etwas abgeben sollte und wenn ja wieviel. Die Klammer der Debatte, was unter den gegebenen Voraussetzungen das Beste für alle sei, schweißt die Gegensätze so untrennbar zusammen wie Sozialpartner im Aufsichtsrat. Brenzlig wird die Sache allenfalls, wenn jemand entschieden der Frage nachgeht, was es mit diesem Kuchen, der angeblich zur Verteilung ansteht, denn eigentlich auf sich hat. Damit es nicht soweit kommt, schreien die Sachwalter der herrschenden Verhältnisse bereits weit im Vorfeld Zeter und Mordio, wenn das Wörtchen "Verteilung" auch nur am Horizont auftaucht. Nicht, daß sie etwas gegen Verteilen hätten, das noch immer der sicherste Garant dafür ist, daß die Starken auf ihre Kosten kommen und die Schwachen abgespeist werden. Sie legen nur allergrößten Wert auf die Feststellung, daß dieses Spiel stets nach ihren Regeln gespielt wird.

So reagieren Politiker von Union und FDP denn auch höchst unwirsch auf die Kampagne "Umfairteilen", die soeben in Berlin vorgestellt worden ist. Die Idee, daß die Reichen mehr bezahlen sollen, kanzelt FDP-Generalsekretär Patrick Döring mit den herablassenden Worten ab: "Frank Bsirskes Griff in die verstaubte Umverteilungsleier" sei "ein argumentatives Armutszeugnis" [1]. Ein Narr und ewig Gestriger, wer heute noch glaube, daß sich das Rad der Ausplünderung und Verelendung jemals wieder zurückdrehen lasse, lautet die Botschaft der Freidemokraten, für die der Spaß im Umgang mit dem Wahlvolk längst aufgehört hat. Erbarmungslose Rückbesinnung auf die Kernkompetenz der Partei, heißt es im blau-gelben Lager. Wer in Krisenzeiten wie diesen statt Opfer zu bringen die Leistungsträger mit Forderungen belästige, habe sein Mitspracherecht verwirkt.

Die Welt auf den Kopf gestellt sieht der Vorsitzende der CSU-Mittelstands-Union, Hans Michelbach, wenn er entrüstet wettert: "Hier schürt eine Koalition der Umverteiler mit falschen Daten Neidkomplexe". Das Bündnis verdrehe "böswillig die Tatsachen" und rede einer "Abzock-Politik" das Wort. Wer hat, der hat und muß den Tagedieben auf die Finger hauen, die ihm sein Eigentum aus der Tasche ziehen wollen, heißt es in christsozialem Brachialjargon.

Ganz anders SPD-Chef Sigmar Gabriel, der sich erstens in der parteiinternen Troika gegen Steinmeier und Steinbrück, sodann gegen Angela Merkel durchsetzen will. Um einen sozialdemokratischen Gegenpol zur eisernen Kanzlerin vorzutäuschen, kann es nicht schaden, einen etwas wärmer und menschlicher rüberkommenden Kandidaten aufzubauen, will man die Bundestagswahl 2013 gewinnen. Also schließt sich Gabriel der Initiative an und setzt sogar noch einen drauf, wenn er von den Wohlhabenden in Deutschland mehr "sozialen Patriotismus" verlangt. Hinter Reichtum stecke meist eine große persönliche Leistung, hält der Sozialdemokrat nicht damit hinter dem Berg, für wen sein Herz schlägt. Andererseits will auch die Klientel bedient sein, und so befleißigt sich Gabriel der tiefsinnigen Erkenntnis, daß niemand allein reich werde.

Kommt jetzt eine ganz kleine Prise vom starken Arm der alten Arbeiterbewegung, der alle Räder zum Stillstand bringen könnte, wenn er es denn wollte? Natürlich nicht, denn wie Gabriel fortfährt, gehöre immer "auch ein Land mit guter Bildung, Rechtsstaat und sozialem Frieden" dazu. Deshalb sei es gerechtfertigt, von den Wohlhabenden mehr zu verlangen. [2] Indem er "sozial" mit "Patriotismus" verknüpft und zu bedenken gibt, daß sich die Pfründe deutscher Eliten noch immer in Ruhe und Ordnung am besten mehren ließen, dient er die Sozialdemokratie wie eh und je als bessere Alternative zur Gewährleistung stabiler Verhältnisse an.

An Gründen, den Reichen ausnahmsweise ins Portemonnaie zu schauen, fehlt es bekanntlich nicht. Der öffentlichen Armut in Deutschland steht ein Privatvermögen von über acht Billionen Euro in Händen der reichsten zehn Prozent gegenüber, die mittlerweile über zwei Drittel aller Nettovermögen verfügen. Zugleich stehen Bund, Länder und Kommunen inzwischen mit mehr als zwei Billionen Euro in der Kreide. Erst kürzlich hatte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) dafür plädiert, die hohen Staatsschulden mit Zwangsanleihen und Vermögensabgaben zu finanzieren. Bis 1997 gab es noch die Vermögenssteuer, die Privatleuten ein Prozent ihres Vermögens abverlangte. Diese Regelung wurde vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt, und seither lehnt Schwarz-Gelb eine Wiedereinführung ab. Der Höchstsatz bei der Einkommenssteuer wurde seit den 1990er Jahren mehrfach gesenkt und liegt derzeit bei 42 Prozent. [3]

Die Gewerkschaft Verdi, der Paritätische Wohlfahrtsverband und das globalisierungskritische Netzwerk Attac fordern die Wiedereinführung einer dauerhaften Vermögenssteuer, eine einmalige Vermögensabgabe sowie die stärkere Besteuerung hoher Einkommen, großer Erbschaften, finanzstarker Unternehmen und Kapitalerträge. Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, verlangt in noch drastischeren Worten eine Umverteilung des Wohlstands: Der "überflüssige Reichtum in den Händen weniger" müsse "abgepumpt und in die Realwirtschaft umgeleitet werden". Um das auch in Europa durchsetzen zu können, solle die Europäische Zentralbank (EZB) nur noch Anleihen solcher Länder kaufen, die eine Steuer auf Millionenvermögen einführten.

Im Bündnis "Umfairteilen", dem sich neben Attac, Gewerkschaften und Sozialverbänden auch Migrantenverbände, Jugend- und Studierendenorganisationen, die Initiative Vermögender für eine Vermögensabgabe, die Naturfreunde sowie weitere zivilgesellschaftliche Organisationen und Initiativen angeschlossen haben [4], manifestiert sich erstmals eine breite gesellschaftliche Bewegung für eine Politik der sozialen Umverteilung in Deutschland. Einig, wohin dieser Zug fahren soll, ist man sich allerdings noch lange nicht. Wollte man sich zu der Position durchringen, daß gesellschaftlicher Reichtum kein Kuchen ist, von dem man sich ein Stück abschneiden kann, sondern ausschließlich auf Grundlage produzierter Armut existiert, verlangte dies Konsequenzen, die sich nicht mehr mit dem Ruf nach einer gerechten Verteilung einhegen lassen.

Fußnoten:
[1] http://www.jungewelt.de/2012/08-04/053.php

[2] http://www.focus.de/politik/deutschland/debatte-ueber-umverteilung-gabriel-macht-sich-fuer-reichensteuer-stark_aid_793360.html

[3] http://www.tagesschau.de/inland/reichensteuer110.html

[4] http://www.scharf-links.de/47.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=27087&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=b638f32330

4. August 2012