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RAUB/1047: Helden der Zerstörung gegen Outlaws der Utopie (SB)




Individueller Wagemut, geleitet von einer kühnen Vision, die zu verwirklichen die ganze Frau respektive den ganzen Mann fordert, ist das Leitbild neoliberaler Selbstverwirklichung. Das das freie Spiel des Marktes zu seinen Gunsten nutzende Unternehmertum gilt politischen Institutionen und staatlichen Bildungseinrichtungen als systemrelevante Bedingung eigener Existenz. Krise hin, Krieg her, die Marschrichtung der kapitalistischen Vergesellschaftung bleibt streng neoliberal, und kreative Zerstörung ist das mindeste, was die Feldherrn auf den Kommandohöhen der Marktwirtschaft vollstrecken müssen, wenn das gesellschaftliche Gesamtprodukt auch weiterhin in den Himmel der Hoffnungen und Erwartungen wachsen soll.

Können Risikobereitschaft des Leistungsträgers und Eigenverantwortung eines Lohnempfängers nicht laut genug bejubelt werden, ist man sich in Staat und Wirtschaft darüber hinaus einig, daß die Zivilgesellschaft couragierter und zur Übernahme zahlreicher Freiwilligendienste bereiter Bürgerinnen und Bürger bedarf, um den Standortvorteil rechtssicherer Verhältnisse und kostengünstiger Arbeit zu wahren. Insbesondere Jugendlichen wird nahegelegt, sich auf diese Weise einzubringen oder gar im bewaffneten Auslandseinsatz die Ressourceninteressen und Expansionsziele des deutschen Imperialismus durchzusetzen. Wer dazu bereit ist, kann sich der Anerkennung durch Politik und Medien sicher sein, trägt er doch als zwar kleines und unsichtbares, aber keineswegs entbehrliches Rad dazu bei, Staat und Kapital im globalen Wettbewerb zu Schlagkraft und Ansehen zu verhelfen.

Wo persönlicher Wagemut bis zur Selbstaufgabe anderen Zwecken dient als diesen, schlägt der Jubel umstandslos in Schmähung und Verdammung um. Der Aktivist, der die Polizei mehrere Tage bei der Räumung des Lagers aufhielt, das die Zerstörung des Hambacher Forstes durch die RWE-Expropriateure verhindern sollte, wird für seinen Mut keineswegs gefeiert. Er sieht sich in den wenigen regionalen Medien, die diesen ungewöhnlichen Akt gewaltfreien Widerstands gegen Umweltzerstörung und Ressourcenraubbau überhaupt wahrgenommen haben, des Vorwurfs ausgesetzt, das Leben der sogenannten Rettungsmannschaften gefährdet zu haben. Wenn es zutrifft, daß die Polizei ihm, wie er in einem Telefonat berichtete, damit gedroht hat, ihn bei Nichtkooperation durch einen Arzt betäuben zu lassen, dann träfe der Vorwurf illegitimer Gewaltanwendung erst recht diejenigen, die ihn erheben.

Gerettet werden sollte der Wald vor seinen Zerstörern, protestiert wurde gegen ein menschen- und naturfeindliches System der Energieerzeugung, dessen Betreiber angebliche Sachzwänge kapitalistischer Verwertungslogik geltend machen, als sei die Eigentumsordnung oberster Glaubenssatz zivilreligiöser Anbetung. Der Tunnelaktivist riskierte sein Leben, um diesen Affront nicht unwidersprochen hinzunehmen. Aus der Tiefe der Erde, die diesem alten Wald seit Jahrhunderten Lebensgrund ist, kommentierte er den Versuch seiner sogenannten Rettung mit einer Begründung seines Tuns, wie sie in der negierten Welt sozialer Befreiung nicht vernünftiger sein könnte:

"Ich wundere mich ein Bisschen über die große Aufmerksamkeit dafür, dass die Polizei mit dem Räumungsversuch mein Leben aufs Spiel setzt - gleichzeitig interessiert sich scheinbar kein Mensch dafür, dass die Lebensgrundlagen von Millionen zerstört werden: Täglich sterben Hunderte an Hunger, Durst und Vertreibung als direkte Folgen des menschengemachten Klimawandels. Hier unten ist es riskant und ungemütlich, aber RWE riskiert die Zukunft unseres Planeten. Wenn nicht endlich mehr Menschen selber handeln, um den Braunkohleabbau zu stoppen, macht RWE die Erde nicht nur ungemütlich, sondern unbewohnbar." [1]

Millionen Menschen auch in Deutschland sind sich der Unzulänglichkeit und Widersprüche der herrschenden Vergesellschaftungsform bewußt. Das kurze Aufbegehren im Zorn über erlittene Demütigungen, materielle Benachteiligungen und politische Ohnmachtserfahrungen verpufft schnell zum resignativen Seufzer "Wenn sich das nicht ändert, dann bleibt das so". Über das Adressieren von Zuständigkeiten und Intonieren moralinsaurer Klagelieder hinaus wird wenig gewagt, droht doch gut sichtbar hinter dem dünnen Firnis ziviler und demokratischer Verfaßtheit die Staatsgewalt, die in Handlungseinheit mit Kapitalinteressen nicht davor zurückschreckt, uralte Ökosysteme der Zerstörung preiszugeben. Wer es wie die Besetzerinnen und Besetzer des Hambacher Forstes wagt, sich den Rodungsmaschinen und damit den auf dem Fuß folgenden Schaufelbaggern körperlich in den Weg zu stellen, der tut aus Sicht derjenigen, die in dieser Gesellschaft über Definitionshoheit und Exekutivgewalt verfügen, das ganz und gar Falsche. Sich stückchenweise das Leben in der Fabrik, vor dem Rechner oder im Service-Job aus dem Leib reißen zu lassen, weil man nichts anderes besitzt als seine Arbeitskraft, deren Preis vom Kapital in den Keller blanker Überlebensnot getrieben wird, gilt demgegenüber als das ganz und gar Richtige. Atomisiert in der Konkurrenz um schmaler werdende Lebensressourcen, spaltbar und fremdbestimmt im konsumistischen Identitätsreigen, fällt der Ethos der Arbeitsgesellschaft all denjenigen auf die Füße, die sich nicht auf eine Weise bewegen, die den Marschtritt des Produktivitätszwangs aus dem Takt bringt.

Nicht Wagnis oder Mut, nicht Verantwortung oder Zivilcourage entscheiden darüber, wem Anerkennung oder Ächtung gebührt. Sich in vorauseilendem Gehorsam der herrschenden Ordnung zu unterwerfen, wird honoriert in einer Angstgesellschaft, die essentielle Voraussetzungen des eigenen Lebens und Respekt vor dem Leben anderer nicht zu schätzen weiß, weil die Kannibalisierung zur Kapitalakkumulation verbliebener Ressourcen im vergeblichen Versuch, längst verbrauchte Wertsubstanz einzuholen, anwachsenden Verbrauch erzeugt. An dem jungen Mann, der die Logik des Vorteilsstrebens um jeden Preis auf demonstrative Weise durchbrochen hat, soll ein Exempel statuiert werden. Dem Widerstand gegen einen Brand, der sein Heizmaterial aus einer Erde reißt, die den auf ihr lebenden Organismen ganze Ewigkeiten eines auskömmlichen Daseins gespendet hat, obwohl das Feuer Zerstörung in globalem Maßstab zeitigt, ist unter Androhung existenzvernichtender Bestrafung das Kreuz zu brechen. Den Wald erobern und absperren, um ihn ungestört zerstören zu können, während seine Schützer verächtlich gemacht werden, erinnert daran, daß die Basis kapitalistischer Verwertung in der privatwirtschaftlichen Aneignung dessen besteht, was allen zu der Möglichkeit verhelfen könnte, auf respektvolle und schonende Weise die Utopie eines ungeteilten und unzerstörten Lebens zu verwirklichen.

[1]Quelle: Meldungen vom 15.11.2012, 06.30-16.00 Uhr Hambacher Forst E-Mail: hambacherforst@riseup.net Internet: http://hambacherforst.blogsport.de/kontakte

18. November 2012