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RAUB/1066: Antidemokratisch und sozialfeindlich - das Transatlantische Freihandelsabkommen (SB)




Die große Eilfertigkeit, mit der die EU-Regierungen zusichern, daß ihre Ausspähung durch US-amerikanische Geheimdienste keinesfalls die Aufnahme der Verhandlungen zur Transatlantischen Freihandelszone TTIP verzögern werde, läßt ahnen, daß mit diesem Handelsabkommen zuallerletzt die Stärkung demokratischer Grundrechte bezweckt wird. Ohnehin geht die Schaffung eines transnationalen Wirtschaftsraums mit mehr als 800 Millionen Menschen, der 44 Prozent des globalen Handels und fast die Hälfte der globalen Produktivität auf sich vereinigt, fast geräuschlos vonstatten. Weder die langjährige Vorbereitung des Projekts noch der Beginn der Verhandlungen am Montag dieser Woche wurden von größerer öffentlicher Aufmerksamkeit begleitet. Angesichts der weitreichenden Konsequenzen für jeden davon betroffenen Menschen kann dies nur dahingehend gedeutet werden, daß man keine schlafenden Bürger wecken will.

Beachtung findet die Transatlantic Trade and Investment Partnership vor allem in Hinsicht auf Verbraucherinteressen etwa durch die möglicherweise erfolgende Freigabe des Imports genmanipulierter Nahrungsmittel oder hormonbehandelter Tierprodukte. So schwerwiegend diese Entwicklungen auch für die Gesundheit der Konsumenten wie die weitere Monopolisierung der Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion sind, so sehr geht die etwa unter dem beschönigenden Titel "Mehr Konsum für weniger Geld" (Süddeutsche Zeitung) geführte Debatte an der zentralen Marschrichtung des Projekts vorbei. Was mit der Erhöhung der Produktivität durch die Aufhebung von Zollschranken und der Einebnung regulativer Handelsbeschränkungen aller Art in erster Linie bewirkt werden soll, ist die Beschleunigung der Kapitalverwertung zur Erwirtschaftung höherer Profitraten. Auf dem Spiel stehen individuelle und kollektive Interessen etwa an einem wirksamen Arbeits- und Umweltschutz, an kleinteilig organisierten Formen der Energieerzeugung oder Ernährungssicherheit, am Schutz regionaler Besonderheiten in der Produktionsweise, an der Qualitätssicherung bestimmter Produkte und Leistungen, an staatlichen Subventionen für strukturell benachteiligte Regionen und Erwerbsformen, an der Freizügigkeit im Umgang mit nichtkommerziellen kulturellen Praktiken und Dienstleistungen.

So soll im größeren Rahmen qualifiziert werden, was bereits durch die neoliberale Konstitution der Europäischen Union an kommunalen, regionalen und nationalen Schutzfunktionen gegen die Durchsetzung bloßer Kapitalinteressen abgeschafft wurde. Im euphemistischen Jargon der Marktradikalisierung wird der wachstums- und wettbewerbsfördernde Effekt eines "level playing fields" beworben, doch geht es dabei alles andere als egalitär und sozial gerecht zu. Die umfassende Vereinheitlichung der Marktregeln kann nur auf dem niedrigsten gemeinsamen Nenner erfolgen, ist der transatlantische Handel doch schon heute weitreichend liberalisiert. Was aufgrund der Ausschaltung nationalstaatlicher Regulative gerne als marktwirtschaftliche Entdifferenzierung und Dezentralisierung propagiert wird, läuft tatsächlich auf die Zentralisierung der Normen und Standards des transatlantischen Handels im Rahmen eines verbindlichen Regelwerks zwischen EU und USA hinaus. Frei, den damit erleichterten grenzüberschreitenden Transfer von Gütern, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitskräften zu seinem Vorteil zu nutzen, ist allein der mit genügend Investivkapital ausgestattete Akteur. Als Besitzer der Produktionsmittel und Käufer der Ware Arbeitskraft diktiert er die Bedingungen der Mehrwertproduktion umso wirksamer gegen die Interessen der Lohnabhängigen, je größer die Basis der Kostensenkung durch die Reservearmee der Erwerbslosen und die Verfügbarkeit anderer Produktionsvoraussetzungen wie Rohstoffe, Umweltressourcen, Transport- und Distributionskapazitäten ist.

Der Zentralisierung des Regelwerks adäquat begünstigt die Entfachung der Marktkonkurrenz stets die größten Kapitale am meisten, verfügen diese doch über den längsten Atem und die größte Schlagkraft bei der Ausschaltung konkurrierender Unternehmen wie der Zurichtung staatlicher Administrationen für ihre Zwecke. So werden der Monopolisierung des Kapitals auch noch letzte geschlossene Türen geöffnet, was frei nach neoliberaler Ideologie mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze erzeugen soll. Über die Höhe der Entlohnung und die Qualität der Arbeit wird jedoch genauso geschwiegen, wie die angebliche Verbilligung des Konsums bestenfalls befristet ist, da die Freisetzung oligopolistischer und monopolistischer Interessen die Ausschaltung preisdrückender Konkurrenz bewirkt.

Als "wettbewerbsverzerrend" oder "marktwidrig" in Frage gestellt sind damit alle Formen öffentlich-rechtlicher wie auf unabhängige Weise selbstorganisierter Formen der Produktion und Reproduktion. So wurde schon in der EU versucht, den nicht privatwirtschaftlich betriebenen Rundfunk auszuschalten. Die Urheberrechtsdebatte im Bereich sogenannter immaterieller Güter dürfte in Anbetracht der Marktmacht US-amerikanischer IT-Konzerne in eine noch restriktivere Richtung verlaufen. Die sogenannte Gesundheitswirtschaft wird die Ökonomisierung medizinischer Leistungen noch unbehinderter durchsetzen, als der Versicherungswirtschaft neue Möglichkeiten der Regulation individueller Lebensführung zugestanden werden können. Die bislang noch nicht vollständig gelungene bilaterale Durchsetzung von Patent- und Lizenzrechten kann weitreichende Auswirkungen auf gemeingüterorientierte Formen des Wirtschaftens, wie etwa in der Commons-Bewegung vorgedacht, haben. Die sozialfeindliche Stoßrichtung der Kommodifizierung essentieller Ressourcen wie Wasser, Nahrung, Energie und Wohnen ist schon in der bisherigen Privatisierungsoffensive hervorgetreten und wird durch die Doktrin der freien Marktwirtschaft, mit der insbesondere die USA in die TTIP-Verhandlungen gehen, kaum in ihr Gegenteil verkehrt werden.

Der Primat des Marktes wird dazu genutzt, Bürgerrechte im Bereich des Datenschutzes zu schleifen, die Maßgaben der Arbeitsmigration und Einwanderungspolitik zu definieren, mit geheim tagenden Schiedsgerichten Handelshemmnisse zu beseitigen und Investitionsschutz zu gewährleisten oder gar ganzen Staaten die Markt- und Rechtsordnung der kapitalistischen Metropolengesellschaften aufzuoktroyieren. Die transatlantische Freihandelsdoktrin steht daher im Widerspruch zu allen demokratischen Bestrebungen, unbehelligt von ökonomischer Fremdbestimmung und staatlicher Repression zu leben. Zudem richtet sich die Schaffung einer exklusiven Zone erleichterter Kapitalakkumulation gegen den wirtschaftlichen Aufstieg der Schwellenstaaten und dabei insbesondere Chinas, so daß neue Kriege eher begünstigt als verhindert werden. Es ist allemal an der Zeit, daß sich, wie einst bei der Verhinderung des Multilateralen Investitionsschutzabkommens (MAI) 1998, das in vielerlei Hinsicht als Vorläuferin der TTIP gelten kann, eine große soziale Bewegung formiert, um dem immer mehr zu Lasten des Gros der Menschen gehenden Krisenmanagement von Staat und Kapital entgegenzutreten.

10. Juli 2013