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RAUB/1118: Durchmarsch der Trumpisten in die politische Mitte (SB)



Ein Ende der "moralischen Erpressung" durch die Klimaforschung und den "Abschied von deutschen Sonderzielen" [1] bei der Bekämpfung der Treibhausgase fordert der Berliner Kreis in der CDU. Sich auf Moral zu berufen ist selbst unter Christdemokraten nicht mehr das Gebot der Zeit, doch nähern sie sich damit keineswegs einem agnostischen Materialismus an, der die Interessen und Bedürfnisse der Menschen mit den gesellschaftlichen Widersprüchen kreuzt, die sie bedrücken. Nein, die Damen und Herren kolportieren vielmehr das sachzwanggesättigte Nutzendenken eines Donald Trump, dem es bei eisgekühlten Drinks in vollklimatisierten Villen schlichtweg an Vorstellungskraft mangelt, daß die Hitze der Sonne Menschen in Lebensgefahr bringen kann. Und dächte er darüber nach, daß in Zukunft ganze Regionen entvölkert sein werden, weil es dort schlichtweg zu heiß und zu trocken sein wird, während das Meer über die Ufer steigt und die Menschen von den dichtbesiedelten Küsten ins Inland treibt, dann wäre ihm schnell klar, daß es zur Sicherung der Energie, die es zur Erzeugung einer angenehm temperierten Raumluft bedarf, und der Nahrungsmittel für seinen Kühlschrank einer Extraportion imperialistischer Aggression bedarf.

Nichts anderes haben die Damen und Herren in der CDU im Sinn, wenn sie vermeintliche Vorteile im Klimawandel entdecken wie die mit dem "Schmelzen des polaren Meereises verbundenen Chancen (eisfreie Nordpassage, neue Fischfangmöglichkeiten, Rohstoffabbau)". Daß Menschen woanders in der Welt bei dieser Entwicklung ihre räumlichen wie agrarischen und industriellen Lebensvoraussetzungen verlieren, kann sie nicht weiter tangieren, sei doch das Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, realistischerweise nicht mehr zu erreichen. So leisten sie einem ökologischen Sozialdarwinismus Vorschub, der in seiner selektiven Gewalt so schwerwiegende Konsequenzen zeitigt, daß die davon Betroffenen gut beraten sind, heute schon für das Übermorgen des Überlebens oder Verhungerns zu planen.

De facto wird viel zu wenig dafür getan, die im Pariser Abkommen erklärten Klimaziele zu erreichen, so daß nicht nur der Berliner Kreis in der CDU davon ausgeht, daß sie unter gegebenen Bedingungen mit fatalen Folgen verfehlt werden. Indem rechtskonservative Unionspolitiker Trumps Vorstoß, die Vereinbarungen des Pariser Abkommens aufzukündigen, zum Anlaß nehmen, sich hierzulande zur Stimme all derjenigen aufzuschwingen, die für die Fortsetzung des massiven Raubbaus an den natürlichen Ressourcen zum eigenen Nutzen plädieren, schlagen sie in die Kerbe des gleichen Sozialdarwinismus, für den die rassistische Flüchtlingsabwehr eine Art Nationaltugend ist. Überleben als Nationalkollektiv, wohlgemerkt nur derjenigen, die sich aktiv ihrer Zugehörigkeit durch ein heutiges Äquivalent des deutschen Grußes - etwa das laute Rezitieren des Leitkulturkatechismus - versichern, ist das zentrale Motiv jenes Nationalchauvinismus, der nicht nur bei Pegida und AfD Hochkonjunktur hat.

Daß der deutsche Trumpismus nicht nur dort auf fruchtbaren Boden fällt, sondern auf breiter Front in die politische Mitte diffundiert, belegt das Argument des Berliner Kreises, "aggressive politische Maßnahmen zur Senkung der Treibhausgase" seien falsch, weil sie "politisch kaum noch durchzusetzen" wären und "sicherlich auch zu massiven sozialen Verwerfungen führen". Die politische Praxis der Regierungsparteien, im Zweifelsfall dem Verwertungsprimat des Kapitals den Zuschlag zu geben und sich klimapolitisch auf Schönrednerei zu beschränken, kündet von nichts anderem und entspricht dem Vorschlag des Berliner Kreises, nicht mehr auf Beschränkung des Klimawandels, sondern auf die Anpassung an die dadurch bedingten Veränderungen zu setzen.

Dieses Vorhaben ist unter dem Schlagwort "Resilienz" längst im Mainstream der Klimadebatte angekommen [2]. Das Konzept der Anpassung an die angeblich nicht mehr zu verhindernden Schäden durch flexible Abhärtung, sprich die Konditionierung der Bevölkerungen auf Mangel- und Verlustszenarios aller Art, ist die sozialtechnokratische Antwort auf die nicht mehr zu leugnende Einsicht, daß die stoffliche Problematik des grünen Kapitalismus bei aller Effizienzhuberei der notwendigen Verbrauchsreduktion unausweichlich im Wege steht und daß das kapitalistische Weltsystem nicht einmal in der Lage ist, eine weichgespülte Nachhaltigkeitsdoktrin zu realisieren, geschweige denn den Klimawandel auf 1,5 Grad zu begrenzen.

Parteistrategisch bahnt der Berliner Kreis einer möglichen Koalition mit der AfD den Weg, liegt er mit seiner vielbeachteten Intervention doch genau auf der klimapolitischen Linie der Rechtsausleger. Wichtiger für all diejenigen, die diesem Deutschland nicht über den Weg trauen, ist der Ton der neuen Rücksichtslosigkeit. Die Abkehr von allen humanitären und sozialökologischen Selbstverständlichkeiten ist nur aus einer Position der Stärke, der Ausgrenzung all derjenigen, die durch eine emanzipatorische Politik geschützt würden, zu machen. Dem Nationalkollektiv der Klimagewinner gemäß ist der deutsche Imperialismus auch auf diese Gebiet ganz vorne. Warum also in die USA schauen, wenn über die Zukunft hierzulande längst auf den Kommandohöhen sozialdarwinistischer Bevölkerungspolitik entschieden wird?


Fußnoten:

[1] https://www.tagesschau.de/inland/konservative-cdu-klimawandel-101.html

[2] Resilienz - Chiffre sozialer Kapitulation
http://www.schattenblick.de/infopool/sozial/report/sorb0031.html

4. Juni 2017


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