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RAUB/1142: Europavertrag JETA - dritte und vierte Wahl ... (SB)



Für uns Europäer war es noch nie so einfach, Handelsabkommen zu schließen
Ein namentlich nicht genannter hochrangiger EU-Beamter [1]

Ursprünglich wollte die EU mit den Vereinigten Staaten die weltgrößte Freihandelszone (TTIP) errichten, während Japan auf die transpazifische Freihandelszone (TPP) mit den USA setzte. Donald Trump hat diese Pläne zu Grabe getragen, worauf die von ihm verschmähten Partner beschleunigt zusammengefunden und ein anderes "historisches Abkommen" auf den Weg gebracht haben. Jean-Claude Juncker, Donald Tusk und Shinzo Abe haben in Tokio das größte Handelsabkommen der EU-Geschichte unterzeichnet, mit dem beide Partner im ökonomischen und politischen Ringen um Einflußsphären verlorenen Boden gutzumachen und in die Offensive zu gehen hoffen. Worum geht es dabei?

Im Versuch, die Ideologie des Freihandels in den Rang eines unabweislichen Leitmotivs zu erheben und entsprechende Abkommen durchzusetzen, drängen staatliche Sachwalter hegemonialer Zugriffsentwicklung darauf, dem Kapital neue Profitmöglichkeiten zu erschließen. Wie alle Raubzüge gründet auch dieser auf einer forcierten Ausplünderung seiner Opfer: Zum einen sollen die beteiligten Kapitalfraktionen in der globalen Konkurrenz gegenüber Dritten bevorteilt, zum anderen Bereiche der Gesellschaft in privatwirtschaftliche Profitmaximierung überführt werden, die dieser zuvor nicht zugänglich waren.

Um anderen kraft des eigenen höheren Produktivitätsniveaus die Gurgel abzudrehen, bedarf es offener Türen bei der ökonomischen Expansion. Als habe der zumeist erzwungene freie Handel höchst ungleicher Partner weltweit nicht Existenzen millionenfach ruiniert, das Elend vervielfacht und den Vorsprung der führenden Industriestaaten vorangetrieben, rezitieren die Protagonisten des Freihandels den Katechismus der neoreligiösen Marktdoktrin, die von Ausbeutung nichts wissen will, wenn sie wachsenden Wohlstand für alle in Aussicht stellt.

Wenngleich die weltweit führenden Industriestaaten angesichts der Verwertungskrise des Kapitals vermeintlich das Interesse teilen, alle Handelshemmnisse niederzureißen, sind sie doch zugleich erbitterte Konkurrenten um privilegierte Zugriffssphären. Das zwingt sie zu Bündnissen, die ihrer Natur nach nicht von Dauer sein können. Da auch die Bündnispartner potentielle Rivalen sind, wachsen sich innere Widersprüche zur Sprengkraft aus. Zugleich sind die globalen Blöcke der führenden Mächte längst nicht so stabil wie jahrzehntelang angenommen. Nicht von ungefähr steht die Schreckensvision einer Annäherung zwischen Washington und Moskau im Raum, die verheerende Folgen für Europa haben könnte.

Freihandelsabkommen regeln nicht nur den Austausch von Waren und Dienstleistungen, sie setzen auch Standards für die Konditionen des Welthandels. Sie sind Ausdruck und Werkzeug eines Führungsanspruchs, der Bedingungen festzuschreiben versucht, die künftig in Handelsbeziehungen nicht mehr unterschritten werden dürfen. Nicht von ungefähr bedienen sich Freihandelsabkommen juristischer Konstruktionen, deren präzise Ausdeutung selbst Experten außerordentlich schwerfällt. Diese Problematik der Interpretation rührt von der Absicht her, Handlungsspielräume zu schaffen und Hintertüren offenzuhalten, die nicht unmittelbar als solche zu erkennen sind. Es sollen einklagbare Fakten geschaffen werden, deren Tragweite vielfach erst dann deutlich wird, wenn es zu spät ist.

Das erklärt wiederum, warum die EU-Kommission auch die Verhandlungen mit Japan im Geheimen geführt und das Freihandelsabkommen weitgehend ohne Kenntnis der Öffentlichkeit geschmiedet hat. Abermals bedurfte es geleakter Informationen, die im vergangenen Jahr von Greenpeace und anderen Quellen zur Verfügung gestellt worden waren, um hiesige Medien in den Stand zu versetzen, zumindest Mutmaßungen über Inhalte des Vertrags und den Stand der Gespräche anstellen zu können. Nach der sattsam bekannten Devise, geheim zu verhandeln, die Bevölkerung hinters Licht zu führen und sie schließlich mit vollendeten Tatsachen zu konfrontieren, trieb die EU-Kommission den nächsten Coup voran, damit ihr nicht wachsender Widerstand einen Strich durch die Rechnung macht. Denn was von den Gegnern der Freihandelsabkommen TTIP, CETA und TiSA wie auch der EPAs mit Ländern Afrikas kritisiert wird, gilt für JEFTA nicht minder. Soweit bekannt, fällt das Abkommen mit Japan noch verheerender als das nur unwesentlich entschärfte Abkommen CETA mit Kanada aus.

Die EU-Kommission hat aus der Kontroverse um CETA gelernt. Um die Parlamente der Mitgliedsstaaten im ersten Schritt kaltzustellen, hat sie das Abkommen mit Japan von vornherein zweigeteilt. Teil eins regelt die Handelsbeziehungen und soll in die alleinige Zuständigkeit der EU-Behörden fallen. Teil zwei betrifft die gegenseitigen Investitionen, bei denen die nationalen Parlamente mitentscheiden können. Diese Rechtsauffassung ist durchaus umstritten, schafft aber im Erfolgsfall Fakten: Wird der erste Teil des Abkommens bereits angewendet, ist die Schwelle für die Parlamente ungleich höher, JETA später zu Fall zu bringen.

Grundsätzlich gilt, daß die beiderseits erhoffte Ausweitung des Handels auf ein Wachstum abzielt, das insbesondere Länder des globalen Südens noch weiter abhängt und den Klimawandel beschleunigt. Japan und die EU erwirtschaften gemeinsam fast ein Drittel der sogenannten globalen Wertschöpfung, und die Kommission rechnet mit einer Zunahme europäischer Exporte nach Japan um jährlich gut 13 Prozent, sobald JETA greift. Nach den USA und China ist Japan die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, zusammen zählen die EU und Japan mehr als 600 Millionen Einwohner, was die Bedeutung des Freihandelsabkommens unterstreicht. [2]

Was wird an JETA im einzelnen kritisiert? Verbraucher- und Umweltorganisationen warnen, daß das Abkommen eine Angleichung von Standards und Normen vorsieht. Dies berge die Gefahr, daß Umwelt- und Verbraucherschutzstandards eingefroren würden und kaum mehr verbessert werden könnten. Die Umweltorganisation BUND befürchtet eine Aufweichung des sogenannten Vorsorgeprinzips in der EU. Es erlaubt Verkaufsverbote und Rückrufe von Produkten auch dann, wenn wissenschaftliche Daten keine umfassende Risikobewertung zulassen. [3] Sven Giegold, Abgeordneter der Grünen im EU-Parlament, bemängelt, daß eine gemeinsame Regelung und Stärkung sozialer und ökologischer Standards von der EU-Kommission nicht vorangetrieben worden sei. Das einseitige Globalisierungsmodell der Marktliberalisierung und Deregulierung werde fortgeschrieben, eine Chance sei vertan. [4]

Erinnern wir uns: Der Protest gegen TTIP, CETA, TiSA und Konsorten war hierzulande stärker als irgendwo sonst in der EU aufgestellt und massenhaft auf der Straße präsent. Nach der großen bundesweiten Demonstration am 10. Oktober 2015 mit 250.000 Menschen in Berlin und der Demonstration mit 90.000 Menschen in Hannover anläßlich des Treffens zwischen Obama und Merkel am 23. April 2016 folgten Zehntausende Menschen dem Aufruf eines Bündnisses von über 30 Organisationen für den 17. September zu zeitgleichen Protesten in sieben deutschen Großstädten. Wo ist diese Protestbewegung geblieben? Demgegenüber ging JETA geradezu lautlos über die Bühne, und die aktuell formulierte Kritik fällt denn doch seltsam zahnlos aus.

Wenngleich die Vorgehensweise der EU-Kommission gereift ist und viele brisante Fragen wie die Investitionsabkommen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben sind, erklärt das doch nicht die weitgehende Abwesenheit der ehemals öffentlichkeitswirksamen Protestbewegung. Mit seinem Rückfall in den Protektionsmus hat Donald Trump die Protagonisten der Freihandelsabkommen zu Repräsentanten des Fortschritts geadelt, als seien offene Märkte und eine multilaterale Handelsordnung ein Segen für die Menschheit. Neben der JEFTA treibt die EU weitere Handelsverträge voran. So laufen mit Mexiko Gespräche über die Modernisierung eines bestehenden Abkommens. Auch die Verhandlungen mit den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay sollen baldmöglichst zum Abschluß gebracht werden. Zuletzt war EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström in Australien und Neuseeland unterwegs, Vietnam, Singapur, Indonesien, Thailand, Tunesien und Chile sind in Arbeit. "Für uns Europäer war es noch nie so einfach, Handelsabkommen zu schließen", zieht ein hochrangiger EU-Beamter zufrieden Bilanz.

Daß der Ruf nach einem "fairen" Handel stets viel zu kurz gegriffen hat, indem er den grundsätzlichen Charakter der Handelsbeziehungen als Instrument ökonomischer Kriegsführung ausblendete, dürfte maßgeblich zum Verschwinden der Protestbewegung beigetragen haben. Die damals kampagnenfähige Empörung - um es einmal im Jargon eines szenespezifischen Dienstleisters auszudrücken - hat sich anderen aufmerksamkeitsheischenden Aufregern zugewandt. Heute schart man sich um die Fahne nationalchauvinistischer Vergewisserung und Selbstbehauptung, freudig erregt angesichts der Aussicht, daß die EU und Japan Trump mit seiner America-first-Politik kräftig vors Schienbein treten. In stürmischen Zeiten wie diesen muß man sich eben einen neuen Freundeskreis aufbauen und hat mit Japan einen kongenialen Partner und dicken Fisch an Land gezogen.

Der freie Handel ist auch das zentrale Thema der deutschen Exportwirtschaft, mehr als 15 Millionen und damit fast die Hälfte aller Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt vom Außenhandel ab. Hätten die massenmobilisierten TTIP- und CETA-Kritiker zweifellos vehement von sich gewiesen, mit den Industriellen im selben Boot zu sitzen, scheint heute die Vorstellung, am gleichen Strang der Besitzstandswahrung zu ziehen, offenbar gar nicht mehr so abwegig zu sein. Wenn einem die Felle wegzuschwimmen drohen, weil der wohlstandssichernde deutsche Höhenflug ins Taumeln gerät, rückt man fast wie von selbst ein Stück zur Mitte, selbst wenn das in eine stabile Rechtskurve mündet.


Fußnoten:

[1] www.sueddeutsche.de/wirtschaft/japan-und-die-eu-ein-freihandelsabkommen-als-kampfansage-an-washington-1.4057081

[2] www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/eu-und-japan-besiegeln-ihr-bislang-groesstes-handelsabkommen-a-1218854.html

[3] www.focus.de/finanzen/news/signal-gegen-trumps-protektionismus-eu-hofft-auf-deutlichen-exportschub-durch-handelsabkommen-mit-japan_id_9273104.html

[4] www.deutschlandfunk.de/sven-giegold-gruene-zu-jefta-dieser-vertrag-mit-japan-ist.694.de.html

18. Juli 2018


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