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RAUB/1153: Hambacher Forst - Fortgewinn und Opferordnung ... (SB)



RWE, Behörden und Medien stellen die Gewaltfrage in den Mittelpunkt einer Auseinandersetzung, in der nichts Geringeres als die Zukunft aller Menschen und Lebewesen auf dem Spiel steht. Ein aktuelles Beispiel von vielen: Auf die Frage des Rundfunk-Moderators, ob der breite gesellschaftliche Konsens zum Ausstieg aus der Kohleverstromung nicht auch von denjenigen torpediert würde, "die jetzt im Hambacher Forst Gewalt einsetzen, um die Räumung zu verhindern", antwortet der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger:

Gewalt ist mit Sicherheit kein Mittel, welches aus unserer Sicht akzeptabel ist. Wir haben uns davon immer klar distanziert, völlig egal, von wem Gewalt ausgeübt wird. Wir bekennen uns zum Prinzip des absolut gewaltfreien Einsatzes für Natur und Umwelt seit Jahrzehnten. Von daher geht natürlich auch unser Appell an alle Betroffenen, hier tatsächlich das Anliegen absolut gewaltfrei zu vertreten. [1]

An der legalistischen Oberfläche des Gewaltbegriffs ist die Einhaltung rechtstaatlicher Regeln Ultima ratio. Die dadurch geregelten Gewaltverhältnisse in ihrer Widersprüchlichkeit zu diskutieren stellt bereits einen Bruch des Primats rechtstaatlicher Vollzugsgewalt dar. Es ist selbstverständlich im Sinne der dadurch privilegierten Menschen, daß die herrschende Eigentumsordnung nicht angetastet wird. Alle dürfen unter Brücken schlafen, doch nur wenige sind in der Not, dies wirklich zu tun. Das Gleichheitsprinzip des Grundgesetzes wird durch die reale Verfügungsgewalt über Grundeigentum und Produktionsmittel so sehr relativiert, daß der partikuläre Charakter einer lediglich formell zu vollziehenden, von ihrem materiellen Gehalt vollständig abstrahierten Rechtsordnung unmittelbar einleuchtet.

Die von der Waldbesetzung angeblich ausgehende Gewalt wird von interessierter Seite her präventiv skandalisiert, um unumkehrbare Tatsachen staatlicher Gewaltanwendung zu schaffen. Völlig abgespalten davon ist die Frage nach der Gewalt einer Ressourcennutzung, die die Grundlagen des Lebens zerstört und in der Folge ein Vielfaches an Problemen zeitigen wird, die für die davon Betroffenen als Naturgewalt manifest werden mag, jedoch Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels darstellen.

Allein die Einrichtung der Kohlekommission ist Ausdruck einer Vormachtstellung fossiler Energienutzung, die in Anbetracht der im Pariser Klimaabkommen gemachten Zusagen der Bundesrepublik eigentlich aufgehoben sein müßte. Wäre es ein rechtsstaatlich strafwürdiges Vergehen, sein Geld mit der Externalisierung gigantischer Zerstörungspotentiale zu verdienen, wie bei der massiven Emission von Treibhausgasen durch die Braunkohleverstromung der Fall, dann wäre die Abwicklung der Kohleverstromung im Rheinischen Braunkohlerevier längst vollzogen. Der in der Kohlekommission herzustellende Konsens zum voraussichtlich mittel- bis langfristigen Auslaufen der Braunkohleförderung ist ein Zugeständnis an jene kapitalistische Eigentumsordnung, der die natürlichen Lebensgrundlagen aller Menschen eine wie selbstverständlich von der Kapitalmacht zu bewirtschaftende Ressource ist. Sozialisiert für den angeblich gemeinnützigen Braunkohletagebau werden Wasser, Luft, Pflanzen, Tiere, Boden. Die damit erwirtschafteten Gewinne werden privatisiert, daran ändert auch das Feigenblatt der Rekultivierung nichts. Sie kann die dabei angerichteten Schäden nicht annähernd wiedergutmachen, zumal im Zweifelsfall auch dafür Steuergelder in Anspruch genommen oder Vergünstigungen aller Art gewährt werden.

Eine offene, an der sozialökologischen Bilanz externalisierter Zerstörungspotentiale und der Staatsräson privatwirtschaftlich organisierter Kapitalakkumulation orientierte Diskussion um die Frage der Gewalt, die im Hambacher Wald angeblich von beiden Seiten gleichermaßen, wenn nicht ohnehin von den WaldbesetzerInnen ausgehen soll, ist überfällig. Sie brächte zweifellos andere Ergebnisse hervor als die Formierung eines bürgerlichen Blockes von NaturschützerInnen, die der Waldbesetzung letztlich die Solidarität versagen, weil sie die unter dem Begriff der Gewalt aufgestellte Gleichung nicht bis zu Ende durchrechnen wollen.

Selbstverständlich können sich einige Dutzend Menschen in Baumhäusern nicht der großen Maschine aus Kapitalmacht und Staatsgewalt straflos widersetzen, geschweige denn dem Vorhaben, auch noch große Teile des restlichen Waldes in den Kohlebrand einzuspeisen, standhalten. Die bloße Unterstellung, zwischen einem Aufgebot an 4000 PolizistInnen, einem großen Arsenal technischen Gerätes, flankiert vom Legalitätsanspruch exekutiver Vollzugsgewalt, und vielleicht 150 WaldbesetzerInnen werde eine Konfrontation auf Augenhöhe ausgetragen, stellt eine interessengeleitete Verkehrung der Verhältnisse dar. Die Position der Schwäche und Verletzlichkeit des wildwuchernden, noch keinem ökonomisch verwertbaren Nutzen und Zweck unterworfenen Lebens hat keine Stimme und kein Gesicht. In seinem Namen widersprechen die BesetzerInnen der Forderung, sich dem formellen Prozedere der Übergabe des Waldes an seinen Eigner RWE zu unterwerfen.

Zur Disposition stehen nicht nur die Unternehmensgewinne des Energiekonzerns und die davon abhängigen Arbeitsplätze. Wenn eine große Einzelhandelskette unter Verlust Zehntausender Arbeitsplätze dichtmacht, wenn große Konzerne wie Siemens, VW oder Opel ihre Betriebe durchrationalisieren und Tausende Lohnabhängige entlassen, unternimmt der Staat nicht annähernd soviel wie bei der Sicherung der Arbeitsplätze im Rheinischen Braunkohlerevier. Beim Insistieren auf Braunkohleverstromung bis mindestens 2030, vielleicht aber auch Mitte des Jahrhunderts geht es nicht nur um Arbeitsplätze und Profite. Der nationale Energiemix ist ein strategischer Aktivposten, der die einzige nennenswerte fossile Energieressource, die nicht importiert werden muß, enthält, um etwaigem außenpolitischen Druck besser standhalten zu können. Sie schnell aufzugeben ist kaum im Sinne einer Staatsräson, die in der anwachsenden globalen Krisenkonkurrenz Milliarden für militärische Aufrüstung ausgibt, die ebensogut in die schnellere Umstellung der Stromproduktion auf erneuerbare Energien fließen könnten. Von der Überwindung sozialdarwinistischer Marktordnung, kapitalistischem Wachstumsfetischismus und neoliberaler Wettbewerbsdoktrin zu träumen ist unter diesen Bedingungen im allerdings besten Sinne utopisch.

Vor diesem Hintergrund sind Stimmen wie diejenigen der WaldbesetzerInnen [2], die aus prinzipiellen Gründen für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlage kämpfen, kaum zu vernehmen. Wie begründet das Aufstehen gegen kapitalistische Verwertung, rassistische Selektion und patriarchale Gewalt ist, zeigt sich auch daran, daß diese übergreifenden Unterdrückungsformen in der breiten Antikohlebewegung kaum angesprochen werden. Dementsprechend verkürzt ist der Begriff einer Gewalt, der Militanz verurteilt, aber die globale Ungleichheit unerwähnt läßt. Wer sich mit der ganzen Komplexität der Zusammenhänge zwischen lokaler Selbstorganisation und monopolisiertem Weltmarkt, zwischen geschlechterbefreiter Emanzipation und patriarchaler Repression, zwischen Tierausbeutung und Anthropozentrik auseinandersetzt, versteht schnell, wieso den AktivistInnen im Hambacher Wals jede Form von Gewalt inaktzeptabel und Ausdruck eines Scheiterns ist, dem die leichtfertige Verschwendung dem Leben zugewandter Möglichkeiten vorausgeht.

Sie über das passive Ausharren im Wald hinaus massiver Aggressivität zu bezichtigen, dient in erster Linie der Freisetzung einer Vollzugsgewalt, die weiteren Zerstörungspotentialen den Weg bahnt. Selbst wenn es zu vereinzelten Aktionen militanter Art kommt, so müssen diese nicht von allen BesetzerInnen intendiert sein und unterstützt werden. Ganz sicher jedoch dient die Verallgemeinerung solcher Aktionen dazu, ihren Kampf und darüber hinaus jeglichen sozialökologischen Aktivismus, der nicht die herrschende Eigentumsordnung heiligt, zu diskreditieren und kriminalisieren.

Auch wenn die AktivistInnen im Wald dem Appell des BUND-Vorsitzenden nach absoluter Gewaltfreiheit entsprechen, riskieren sie, bei der Räumung verletzt zu werden und in den Knast zu kommen. Um die staatlichen Vollzugsmaßnahmen relativ unbeschadet zu überstehen, sind sie vollständig auf die Solidarität derjenigen Menschen angewiesen, die den prinzipiellen Charakter ihrer Position zu würdigen wissen und den legalistischen Primat zu sanktionierender Regelverstöße als Bestandteil jener gesellschaftlichen Naturverhältnisse begreifen, deren gewalttätiger Charakter zugunsten des Erhaltes der natürlichen Lebensgrundlagen zu überwinden ist.


Fußnoten:

[1] https://www.deutschlandfunk.de/hambacher-forst-rodungsmassnahmen-sind-schlichte-provokation.694.de.html?dram:article_id=428198

[2] Luna - Hambacher Forst "Das Politische und die kommende Räumung"
https://vimeo.com/286898973

15. September 2018


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