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RAUB/1176: Treibhausgase - gefesselt vom eigenen Schatten ... (SB)



But to do that, we have to speak clearly, no matter how uncomfortable that may be. You only speak of green eternal economic growth, because you are to scared of being unpopular. You only talk about moving forward, with the same bad ideas that got us into this mess, even when the only sensible thing to do is pull the emergency break. You are not mature enough to tell it like it is. Even that burden you leave to us children. But I don't care about being popular. I care about climate justice and a living planet.

Aus der Rede von Greta Thunberg auf dem Weltklimagipfel in Katowice [1]

1992 wurde die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro von 154 Staaten unterschrieben. Darin erklärten die Vertragsparteien erstmals, auf nationaler Basis die Freisetzung von Treibhausgasen zu reduzieren. Seitdem sind die Emissionen an CO2 und seinen Äquivalenten bis auf das Krisenjahr 2008 durchgängig angestiegen. 1992 stand der CO2-Gehalt der Luft bei 356 ppm, heute beträgt er 408 ppm. 1850 wurden 50 Millionen Tonnen CO2 im Jahr weltweit freigesetzt, heute wird die gleiche Menge innerhalb von 12 Stunden emittiert. In den letzten 40.000 Jahren vor Beginn des Industriezeitalters, praktisch während der gesamten Zivilisationsgeschichte der Menschheit, betrug der CO2-Gehalt der Atmosphäre niemals mehr als 300 ppm.

Die durch dieses Klima bereitgestellten Entwicklungsbedingungen ermöglichten Kulturleistungen, die die Menschen vermeintlich über die anderen Tiere erhoben und sie zu einer Spezies machten, die sich der Natur gegenüber eigenständig und unabhängig wähnte. Ob als Krone der Schöpfung, oberste Instanz in der Nahrungskette oder durch kognitive und sprachliche Fähigkeiten besonderer Art ausgezeichnet, geht die Suggestion menschlicher Unberührbarkeit mit einer Lernresistenz einher, deren Verblendungscharakter nur auf faktische und unumkehrbare Weise überwindbar erscheint.

Obwohl der anthropogene Charakter des Klimawandels in konkreten Produktionsweisen und Verbrauchsformen verankert ist, unter denen die Freisetzung in Jahrtausenden durch natürliche Stoffwechselvorgänge geschaffener und unter der Erdoberfläche gelagerter Brennstoffe eine zentrale Stellung einnimmt, werden keine auch nur annähernd äquivalenten Maßnahmen der Beschränkung des Ressourcenverbrauchs und der Emissionsreduktion ergriffen. Erst die schlagartige Verfügbarkeit konzentrierter Antriebsenergie und Brennwärme - in Form von Kohle und von Erdöl - hat die Dynamik einer industriellen Entwicklung ermöglicht, deren Güter und Dienstleistungen nicht mehr am jeweiligen Bedarf orientiert sein mußten, sondern zum Zwecke privatwirtschaftlicher Akkumulation zur heutigen Form kapitalistischer Überproduktion führen konnten.

Was gemeinhin als Wirtschaftswachstum bezeichnet wird, ist das bemeßbare Merkmal einer gesellschaftlichen Produktion, die den Blick auf die Voraussetzungen industrieller Fertigungsprozesse systematisch verstellt. Die globale Arbeitsteilung verlagert die desaströsen Bedingungen extraktivistischer Rohstoffproduktion auf andere Kontinente, der Warencharakter natürlicher Ressourcen reduziert deren Verfügbarkeit auf die Geldform und unterschlägt die bei ihrer Verwertung auftretenden qualitativen Verluste, standortbedingte Produktivitätsunterschiede verschärfen die nationale und regionale Konkurrenz, anstatt den Gebrauchswert der jeweiligen Güter und Dienstleistungen wertzuschätzen. Die Ausbeutung von Mensch und Natur geht im Prozentmaß des Wirtschaftswachstums ebenso unter wie die imperialistische Erwirtschaftung strategischer Vorteile bei der Verfügbarkeit für Industrie und Landwirtschaft unersetzbarer Rohstoffe, die am Finanzmarkt geschaffene Akkumulation fiktiven Kapitals oder die sich stetig zuungunsten der Lohnabhängigenklasse wandelnden Produktionsverhältnisse.

Daran soll sich im grüngewaschenen Kapitalismus nichts ändern. Auf der Basis von Privateigentum und Marktwirtschaft soll, so die vorherrschende Lösung des Problems Klimawandel, ökonomisches Wachstum mit Hilfe technologischer Effizienzfortschritte vom Verbrauch natürlicher Ressourcen entkoppelt werden. Machte man sich früher noch über Erfinder lustig, die mit dem Perpetuum mobile hausieren gingen, so geben die Vordenker der Green Economy mit dem Entwurf einer Welt CO2-reduzierter Produktivität, in der im Prinzip alles weiter wie bisher geht, sprich die Eigentumsinteressen des Monopolkapitals unangetastet bleiben, den Ton der Mehrheitsmeinung vor.

Wie das allein mit dem legitimen Anspruch der Länder des Globalen Südens vereinbar sein soll, mit den Wohlstandseffekten des weit überzogenen Klimakontos der hochindustrialisierten Metropolengesellschaften gleichzuziehen oder auch nur daran auf angemessene Weise zu partizipieren, bleibt weiterhin eine offene Frage. Letztlich führt die Kommodifizierung von allem und jedem, also auch der CO2-Freisetzung, zur bloßen Modifikation herrschender Verfügungsgewalt in Form einer gesellschaftlichen Verteilungsordnung, deren Geld- und Funktionseliten ihre Klassenprivilegien durch CO2-Steuern, Naturkapital, Emissionshandel und Biodiversitätzertifikate mit neuer Legitimität ausstatten.


Kampfansage einer Klimaaktivistin

Wenn schon die soziale Revolution am Eigentumsvorbehalt der Beteiligten scheiterte, wird eine ökologische Revolution um so weniger gelingen, da der Handlungsbedarf auf einem bloßen Sachzwang beruht. Wieso sollten Menschen über ihren Schatten springen, die nichts im Sinn haben als den Bestand ihres Verbrauchs- und Ausbeutungsniveaus zu verteidigen? Wie sollte die sozialdarwinistische Grundorientierung überwunden werden, wenn das Überleben zu Lasten anderer nicht nur als notgedrungener Fluchtreflex entschuldigt, sondern als Produktivfaktor ideologisch legitimiert und als Mittel individueller Identitätsstiftung propagiert wird?

Den vielen Berichten über die Rede der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg auf der Klimakonferenz in Katowice ist eines gemeinsam - die von ihr geäußerte Kritik am grünen Wachstum bleibt meist unerwähnt. Abgesehen davon, daß alle Welt die Sorgen heutiger Jugendlicher um ihre eigene Zukunft angesichts des Klimawandels anerkennt, wurde ihre Intervention ebensowenig ernstgenommen, wie es bei der im Kern antikapitalistischen Forderung der Klimagerechtigkeitsbewegung "System change, not climate change" der Fall ist. Selbst manche sich als links verstehende Menschen hören nicht zu und stellen statt dessen im Netz Mutmaßungen darüber an, ob es sich bei Greta Thunberg aufgrund ihrer Zöpfe und ihrer Kleidung um eine völkisch denkende Rechtsradikale handelt. Das kann schon deshalb nicht der Fall sein, weil Climate Justice das Verhältnis der Industriestaaten zu den häufig von ihnen kolonialisierten Bevölkerungen des Globalen Südens zum Problem erhebt und als soziale Frage artikuliert. Wer den Hauptfeind im Menschen anderer ethnischer, nationaler oder religiöser Identität erkennt, hat mit Klimagerechtigkeit nichts im Sinn, was ein Grund dafür ist, daß der menschengemachte Charakter des Klimawandels in der Neuen Rechten häufig bestritten wird.

Wer etwas über die Motive Greta Thunbergs erfahren will, kann dies zum Beispiel in ihrem Interview mit Democracy Now! [2] tun. Ihre persönliche Konsequenz - kein Tierverbrauch in der Ernährung, keine Flugreisen, Einkauf neuer Sachen nur wenn unbedingt notwendig - hat Vorbildcharakter und ist in ihrer Familie nicht ohne Folgen geblieben. Auch das wird in den Berichten über die Klimaaktivistin weit weniger oft betont als ihr Alter von 15 Jahren. Dies besonders hervorzuheben ist dem Sachverhalt geschuldet, daß meist jene über die Zukunft der gesellschaftlichen Entwicklung entscheiden, die am wenigsten von ihrem katastrophalen Verlauf betroffen sind. Warum aber sollten Kinder und Jugendliche keine Stimme haben, wenn es doch gerade um ihre Zukunft geht? Unter anderem deshalb, weil die Neigung zu radikalen Schritten in jungen Jahren besonders ausgeprägt ist.

Den Beifall, den Greta Thunberg von einem Publikum erhielt, das sie soeben notorischer, aus egoistischen Motiven gespeister Ignoranz bezichtigte, hatte den Zweck, ihre Kritik durch Umarmung zu ersticken und zahnlos zu machen. Es paßt ins Bild des grüngewaschenen Kapitalismus, Menschen wie sie für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Das gelingt häufig, wie das Beispiel zahlreicher linker und ökologischer AktivistInnen zeigt, die heute wohldotierte Stellungen in Stiftungen, NGOs und Regierungen innehaben. Ihre Vergütung entspricht der wachsenden Bereitschaft, unzureichende Kompromisse zu schließen, während die einst beanspruchte Überwindung herrschender Gewaltverhältnisse auf den Stufen der Karriereleiter zurückbleibt. Bislang ist nicht zu erkennen, daß Greta Thunberg diesem breit ausgetretenen Weg folgen wird. Sollte ihr Beispiel unter Jugendlichen massenhaft Anklang finden und in radikale Forderungen münden, denen durch Klimastreiks, wie in ihrem Fall, oder anderen Formen des radikalen Aktivismus Nachdruck verliehen wird, dann wäre dieser Einbindungsversuch gescheitert.


Fußnoten:

[1] https://www.democracynow.org/2018/12/13/you_are_stealing_our_future_greta

Aber um das zu tun, müssen wir klare Worte wählen, egal wie unbequem das sein mag. Ihr sprecht nur von ewigem grünen Wachstum, weil ihr zuviel Angst davor habt, euch unbeliebt zu machen. Ihr sprecht nur darüber, mit denselben schlechten Ideen weiterzumachen, die uns dieses Schlamassel beschert haben, selbst wenn es das einzig Vernünftige ist, die Notbremse zu ziehen. Ihr seid nicht reif genug, um zu sagen, wie es wirklich ist. Auch noch diese Last bürdet ihr uns Kindern auf. Aber mir ist es gleich, ob ich beliebt bin. Ich sorge mich um Klimagerechtigkeit und den lebendigen Planeten.

[2] https://www.democracynow.org/2018/12/11/meet_the_15_year_old_swedish

26. Dezember 2018


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