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RAUB/1211: Umkehr vergeblich - teurer Rückkauf ... (SB)



Mit dem Erwerb von knapp 6.000 Wohneinheiten schließen wir heute den größten Rekommunalisierungsankauf in der Geschichte Berlins ab. Die Fehler, die in der Vergangenheit mit dem Verkauf dieser Bestände gemacht wurden, können wir nicht rückgängig machen, wohl aber den Mieterinnen und Mietern die Sicherheit zurückgeben, die sie durch die zwischenzeitliche Privatisierung verloren hatten.
Berlins Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Die Linke) [1]

Das Land Berlin hat knapp 6.000 Wohnungen von einem Immobilienkonzern zurückgekauft und damit die größte Rekommunalisierung in seiner Geschichte über die Bühne gebracht. Nach den Worten der Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher von der Linkspartei wird es damit mehr Sicherheit für die Mieterinnen und Mieter geben. Die kommunale Gesellschaft Gewobag übernimmt die Wohnungen vom Luxemburger Immobilienkonzern ADO Properties. Es handelt sich dabei um ehemalige Sozialwohnungsbestände des Unternehmens GSW, das mittlerweile zur Deutsche Wohnen Gruppe gehört. Gekauft werden Wohnungen sowie 70 Gewerbeeinheiten in zwei großen zusammenhängenden Quartieren in Spandau und Reinickendorf. Der Kaufpreis beträgt demnach 920 Millionen Euro, die Übernahme ist für Dezember 2019 geplant. Für den Erwerb gibt es keine Zuschüsse des Landes.

So erfreulich diese Nachricht anmuten mag, die der rot-rot-grüne Senat als Erfolg seiner Wohnungspolitik ausweist, hat dieser Schritt doch einen hohen Preis. Das sieht offenbar auch Ran Laufer, Chief Executive Officer von ADO Properties S.A., so, der laut einer Mitteilung seines Unternehmens erklärt: "Wir freuen uns sehr, dass wir diesen Vertrag mit Gewobag abschließen konnten." Der Verkauf entspreche der Wertschöpfungsstrategie der Gesellschaft. Dazu gehöre nicht nur der Erwerb wertsteigernder Immobilien, sondern auch der Verkauf von Objekten, wenn sich die Gelegenheit zu Bedingungen biete, die für das Unternehmen vorteilhaft seien.

Neben dem von Laufer genannten vorteilhaften Verkaufspreis könnte für den Immobilienkonzern bei dieser Entscheidung auch das Kalkül Pate gestanden haben, sich angesichts wachsenden öffentlichen Drucks auf die Produzenten und Profiteure der Wohnungsnot aus der Schußlinie zu bringen. ADO hat seinen Sitz im Steuerparadies Luxemburg, obwohl das Unternehmen ausschließlich in Berlin tätig ist, wo es bislang über 24.000 Wohnungen verfügt hat. Damit fällt es unter das Volksbegehren "Deutsche Wohnen & Co enteignen", das den Senat mit der Erarbeitung eines Gesetzes beauftragen will, mit dem alle Wohnungsunternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht, die in Berlin mehr als 3000 Wohnungen besitzen, nach Artikel 15 des Grundgesetzes vergesellschaftet werden. Daher ist zumindest nicht auszuschließen, daß ADO eine günstige Gelegenheit beim Schopf ergreift, seinen Bestand präventiv zu reduzieren, um später möglicherweise ungünstigeren Bedingungen zuvorzukommen und im Nebenlauf Imagepflege zu betreiben.

Erst Mitte Juli hatte Gewobag rund 670 Wohnungen in der Berliner Karl-Marx-Allee zurückerworben, wobei das Land damals keine Angaben zum Kaufpreis gemacht hat. Der Konflikt um die Wohnungen in der "KMA" galt als Symbol für die Mietmisere in deutschen Großstädten. [2] Kritik am Ankauf der Wohnungen von ADO setzt es natürlich seitens der oppositionellen FDP-Fraktion. "Das ist im Moment bei der Höhe der Immobilienpreise der völlig falsche Weg", sagt Sibylle Meister, haushaltspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion. Der Markt werde weiter angeheizt und die Wohnungsnot nicht gelöst. Wer heute in Berlin eine Wohnung suche oder nach Berlin ziehe, finde nichts. Vor allem aber entspanne der Ankauf den Markt nicht. "Wie viele Wohnungen hätte man für 920 Millionen Euro bauen können", so Meister. Das Hauptproblem sei, daß man nicht vom Fleck komme. [3]

Daß der von den Neoliberalen beschworene Markt die Wohnungsnot nicht im mindesten gemildert, sondern im Gegenteil massiv befeuert hat und man privaten Unternehmen allein die Wohnraumversorgung keinesfalls überlassen kann, scheint die FDP nicht zu irritieren. Auch läßt Sibylle Meister geflissentlich unerwähnt, daß der Neubau von Wohnungen ein gehobenes Segment bedient. Benötigt werden vor allem bezahlbare Mietwohnungen, gebaut werden aber nach wie vor hauptsächlich Eigentumswohnanlagen und hochpreisige Mietwohnungen.

Die CDU ist "grundsätzlich dafür, preiswerten Wohnraum zu erhalten", sagt Christian Gräff, Mitglied im Abgeordnetenhaus und Landesvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU in Berlin. Deshalb halte man den Ankauf für richtig. "Es ist wichtig in der Gegend in Spandau und Reinickendorf auch öffentliche Wohnungsbestände zu haben", so Gräff. Die Frage sei nur, warum der Ankauf nicht schon vor Jahren passiert sei. Damals habe es schon einmal das Angebot gegeben, allerdings für wesentlich weniger Geld.

Die von Senatorin Lompscher in der eingangs zitierten Erklärung erwähnten Fehler der Vergangenheit begannen bereits im Jahr 1998. Damals veräußerte der CDU-SPD-Senat die Wohnungsbaugesellschaft Gehag mit rund 35.000 Wohnungen. Im Jahr 2000 warnte der Deutsche Mieterbund wegen der geringen Neubauzahlen vor kommenden Engpässen, und das MieterMagazin titelte im März 2000: "Die Neue Wohnungsnot ist programmiert." Dieser düsteren Prognose ungeachtet folgte 2004 ein noch größerer Kahlschlag, der als zentraler Sündenfall der Berliner Privatisierungspolitik gilt. Der rot-rote Senat des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit und seines Finanzsenators Thilo Sarrazin verkaufte die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft GSW mit damals 65.000 Wohnungen an die Fondsgesellschaften Whitehall und Cerberus. Dabei waren die 405 Millionen Euro, die durch den Verkauf eingenommen wurden, zweifellos ein viel zu geringer Preis. Selbst wenn man die mit übernommenen Unternehmensschulden in Höhe von rund 1,56 Milliarden Euro einrechnet, lag der Preis pro Quadratmeter Wohnfläche unter 500 Euro. Laut IBB-Wohnungsmarktbericht betrug der mittlere Kaufpreis für eine Eigentumswohnung damals 1100 Euro pro Quadratmeter, heute werden dafür schon 3800 Euro verlangt. Von 450.000 städtischen Wohnungen im Jahr 1997 waren im Jahr 2010 nur mehr gut die Hälfte übrig. Berlin hatte sich mit den Wohnungsverkäufen seiner Handlungsmöglichkeiten beraubt und stand dem eskalierenden Anstieg der Mieten und der grassierenden Wohnungsnot mit leeren Händen gegenüber. [4]

In jüngerer Zeit wird in Berlin leidenschaftlich über Rekommunalisierung oder Enteignung als mögliche Gegenstrategien gestritten, um die Privatisierung zurückzuschrauben und genügend bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Im Jahr 2012 hatte der damalige SPD-CDU-Senat begonnen, die landeseigenen Wohnungsbestände durch Zukäufe zu erweitern. Seither haben die kommunalen Unternehmen über 40.000 Wohnungen angekauft. Die seit Ende 2016 regierende Koalition aus SPD, Linken und Grünen hat sich für weitere Ankäufe konkrete Ziele gesetzt: Der Bestand der städtischen Gesellschaften soll bis zum Jahr 2025 auf 400.000 Wohnungen anwachsen. In der bis 2021 laufenden Wahlperiode sollen 55.000 Wohnungen zum Bestand hinzukommen, davon mindestens 30.000 als Neubau. Anders als der Neubau läuft der Ankauf nach Plan: Im Jahr 2018 haben die städtischen Wohnungsunternehmen zusammen 3746 Wohnungen angekauft, erheblich mehr kommen 2019 hinzu. Mit dem Vorkaufsrecht in den Milieuschutzgebieten sind seit 2015 etliche Wohnungen in Landesbesitz gekommen. Bei den angekauften Wohnungen treten schrittweise die Mietenregelungen der städtischen Wohnungsbaugesellschaften in Kraft.

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) setzt auf den Ankauf von Wohnungen, wobei ihn der Erfolg an der Karl-Marx-Allee offenbar beflügelt hat, wo mit einer neuartigen Vorkaufsstrategie der Verkauf Hunderter Wohnungen an die Deutsche Wohnen vereitelt werden konnte. Er hat insbesondere die Bestände der 2004 verkauften GSW im Auge, die seit 2013 zur Deutschen Wohnen gehört. Die rund 51.000 Wohnungen sind voll in die Bestände der Deutschen Wohnen integriert. Die GSW besteht nur noch als leere Hülle, weil die Deutsche Wohnen zunächst nur den Großteil der GSW-Geschäftsanteile erworben hat, um die Grunderwerbsteuer zu umgehen. Müller will mit der Deutschen Wohnen über einen Rückkauf verhandeln, die den Wert der GSW-Bestände auf 6,8 Milliarden Euro beziffert.

Kostengünstiger wäre der Rückerwerb vermutlich auf dem Wege der Enteignung über ein Volksbegehren, zu dem die Initiative Kotti & Co und weitere Mieterinitiativen mit dem erfolgreichen Mietenvolksbegehren von 2015 den Anstoß gegeben haben. Im April 2019 startete die Unterschriftensammlung für das Volksbegehren "Deutsche Wohnen & Co enteignen", das die ersten Hürden mit Bravour genommen hat und sich in der Bevölkerung großer Zustimmung erfreut. Die Initiatoren berufen sich auf Artikel 28 der Berliner Verfassung: "Jeder Mensch hat das Recht auf angemessenen Wohnraum. Das Land fördert die Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen (...)." Da die bisherigen Maßnahmen wie Mietpreisbremse oder kommunale Vorkaufsrechte dafür nicht ausreichten und eine Wohnungsversorgung für alle mit den großen gewinnorientierten Wohnungsunternehmen nicht erreicht werden könne, bedürfe es einer breit angelegten Kommunalisierung beim Wohnungsbau und bei der Bereitstellung von Wohnungen.

Mit der Mindestzahl von 3000 Wohnungen soll das Eigentum und die Berufsfreiheit kleinerer Vermieter gewahrt bleiben. Nicht betroffen sind außerdem die Genossenschaften und andere gemeinwirtschaftlich verwaltete Unternehmen sowie die städtischen Wohnungsbaugesellschaften und die staatliche Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA), die ja bereits in öffentlichem Besitz sind. Zu vergesellschaften wären nach aktuellem Stand Deutsche Wohnen (110.000 Wohnungen in Berlin), Vonovia (40.000), ADO Properties (24.000), Akelius (11.000) und Grand City Property (4000). Tochterunternehmen würden dabei einbezogen, damit sich die Wohnungsmultis nicht durch Aufteilung der Bestände in Einheiten unter 3000 Wohnungen dem Verfahren entziehen können. Insgesamt geht es also um rund 190.000 Wohnungen, das sind etwa zehn Prozent des gesamten Berliner Wohnungsbestandes.

Alle betroffenen Unternehmen sind als Aktiengesellschaften ausschließlich der Rendite ihrer Aktionäre verpflichtet, während die Vermietung von Wohnraum dabei nur Mittel zum Zweck ist. Die Mieterinnen und Mieter leiden unter vernachlässigter Instandhaltung und ausbleibenden Reparaturen einerseits und teuren Modernisierungen und übermäßigen Mieterhöhungen andererseits. Zudem versucht die Deutsche Wohnen, den Mietspiegel als Regelwerk für Mieterhöhungen zu kippen, um noch höhere Mieten durchzusetzen. Diese Unternehmen bedienen sich beim Ankauf von Wohnungsbeständen sogenannter Share Deals, um die Grunderwerbsteuer zu umgehen, so daß dem Land Berlin auf diese Weise Millionen Euro verlorengehen. ADO und Grand City haben ihren Sitz im steuergünstigen Luxemburg, obwohl sie überwiegend in Deutschland tätig sind.

Nach vorherrschender Rechtsauffassung soll die Entschädigung bei Vergesellschaftungen niedriger als der Verkehrswert sein. Deshalb ist die Initiative davon überzeugt, daß den Unternehmen nicht annähernd der Marktwert gezahlt werden muß. Die vergesellschafteten Wohnungen und Grundstücke sollen in eine neue Anstalt des öffentlichen Rechts überführt und ohne Gewinnabsichten bewirtschaftet werden. Zusammen mit den rund 310.000 Wohnungen der sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen hätte Berlin nach einem erfolgreichen Volksbegehren 500.000 Wohnungen in der Hand, was 26 Prozent des Bestandes entspräche.

Obgleich es um eine Enteignung per Entschädigung und nicht etwa einen Katapult in den Sozialismus geht, greift das Sammelbecken wütend opponierender Kräfte aus Politik und Wirtschaft tief in die Trickkiste diesbezüglicher Drohkulissen. Ihrem Mantra "Bauen, bauen, bauen!" hält die Rekommunalisierung entgegen, daß der Ankauf zwar keinen neuen Wohnraum schafft, aber die Wohnungen auf Dauer für den Zugriff der öffentlichen Hand sichert. Handle der Senat konsequent, könnten die Mieten hier dauerhaft niedrig gehalten werden. Und je größer der städtische Anteil am Berliner Wohnungsmarkt sei, desto stärker sei auch sein dämpfender Einfluß auf den Mietspiegel. Davon profitierten alle Berliner Mieterinnen und Mieter. Statt "Bauen, bauen, bauen!" müsse die Parole also heißen: "Bauen, kaufen, schützen!" Sollte es darüber hinaus zu einer Enteignung kommen, fiele die Entschädigung vermutlich niedriger als der Rückkaufpreis aus. Hinzu kommt natürlich schon jetzt der unkalkulierbare, aber gerade deswegen nicht zu unterschätzende Schub einer wiedereröffneten Diskussion um Denkweisen und Handlungskonsequenzen, die in der jüngeren deutschen Geschichte als tot und begraben galten.


Fußnoten:

[1] www.zeit.de/wirtschaft/2019-09/miete-berlin-rueckkauf-wohnungen-spandau

[2] www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/berlin-kauft-knapp-6000-wohnungen-von-immobilienkonzern-zurueck-a-1288881.html

[3] www.morgenpost.de/berlin/article227210777/Berlin-kauft-6000-Wohnungen-von-Immobilienkonzern-zurueck.html

[4] www.berliner-mieterverein.de/magazin/online/mm0319/berlin-will-seine-wohnungen-zurueck-die-diskussion-um-rekommunalisierung-und-enteignung-031912.htm

27. September 2019


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