Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

REPRESSION/1445: Exekutives Krisenmanagement ... soziale Opposition unter Terrorverdacht (SB)



Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsschutzgesetzes am 27. Oktober im Bundestag werden die 2001 verabschiedeten Antiterrorgesetze nicht nur verlängert, sondern auch erweitert. Neben der informationstechnischen Zentralisierung für die Geheimdienste bei Finanzinstituten, Verkehrsmittelbetreibern und Anbietern von Telekommunikationsleistungen vorzuhaltender Personendaten, die einen direkteren Zugriff auf sogenannte Terrorverdächtige, also strafrechtlich unbescholtene Bürger, durch demokratisch nur sehr bedingt rechenschaftspflichtige Sicherheitsbehörden ermöglicht, geht es um die Legalisierung der geheimdienstlichen Observation politischer Oppositioneller. Laut heise online [1] soll "künftig unter dem Begriff des 'Aufstachelns' etwa das bloße Befürworten von Gewalt, Sitzblockaden und kritische journalistische Kommentare mit einer unterstellten einschlägigen 'geistigen Wirkung' erfasst" werden.

Die Kriminalisierung bloßer Texte ist auch unter dem Primat der Meinungsfreiheit möglich und letztendlich Auslegungssache. So verfügt Paragraph 91 des Strafgesetzbuches, daß zu einer "Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe" bestraft werden kann, "wer 1. eine Schrift (§ 11 Abs. 3), die nach ihrem Inhalt geeignet ist, als Anleitung zu einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a Abs. 1) zu dienen, anpreist oder einer anderen Person zugänglich macht, wenn die Umstände ihrer Verbreitung geeignet sind, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat zu begehen, 2. sich eine Schrift der in Nummer 1 bezeichneten Art verschafft, um eine schwere staatsgefährdende Gewalttat zu begehen" [2]. Was gemeinhin als Maßnahme gegen die Verbreitung von Anleitungen zum Bombenbau gilt, ließe sich hinsichtlich des Verweises auf die Förderung einer möglichen "Bereitschaft" durchaus auf Schriften aller Personen, die man unter dem Schmähtitel des "Haßpredigers" subsumiert, anwenden [3].

Die Beauftragung der Geheimdienste, künftig auch Personen und Organisationen zu überwachen, die eine angeblich "geistige Wirkung" auf Oppositionsbewegungen erzielen, deren Aktionsformen - wie etwa bei der Initiative "Castor schottern" - staatlicherseits als illegal gebrandmarkt werden, ist ein Schritt mehr in Richtung auf ein Gesinnungsstrafrecht. Wenn in diesem Land nicht mehr ohne Angst vor geheimdienstlicher Überwachung und allen daraus möglicherweise erwachsenden Nachteilen über die Bandbreite politischen Protestes und die Voraussetzungen demokratischer Willensbildung, die bei der Etablierung autoritärer Verfügungsformen auch die Frage des aktiven Widerstands nach Art. 20, Abs. 4 des Grundgesetzes aufwerfen können, gesprochen und geschrieben werden kann, dann sind die Weichen zur Überquerung des Rubikons, hinter dem die Etablierung totaler Herrschaft unumkehrbar wäre, gestellt.

Behält sich die Exekutivgewalt auf der einen Seite in Form des Staatsnotstands die Ermächtigung zur Aufhebung geltender Rechtsvorschriften vor, so arbeiten Judikative und Legislative daran, die Bestimmtheit geltender Rechtsnormen zu Lasten der Bürgerrechte zu erodieren. Die Demokratie ist nicht zuletzt in Gefahr, weil der Imperativ "der Märkte" politische Entscheidungen vorwegnimmt, die im parlamentarischen Nachlauf nurmehr abgenickt werden. Der immense Druck, mit dem den Abgeordneten die Zustimmung zur Refinanzierung der Banken abgerungen wurde, weist seinerseits Züge einer politischen Willensbildung im Ausnahmezustand auf. Wenn den Meinungsführern oppositioneller Bewegungen, die das Diktat des Kapitals nicht unwidersprochen hinnehmen wollen, mit geheimdienstlicher Überwachung gedroht wird, anstatt demokratische Verhandlungsräume zu öffnen, um eine im Sinne der betroffenen Bevölkerung konzipierte Krisenbewältigung zu ermöglichen, braucht man über die diese Entwicklung treibenden Interessen keine Mutmaßungen anzustellen.

Fußnoten:

[1] http://www.heise.de/newsticker/meldung/Anti-Terror-Gesetz-Warnung-vor-neuer-Geheimpolizei-1362639.html

[2] http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__91.html

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/herr1456.html

30. Oktober 2011