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REPRESSION/1460: Versammlungsverbote - Freiheit unter Vorbehalt von Staat und Kapital (SB)




Mit den umfassendsten Versammlungsverboten seit mehreren Jahrzehnten sind die Zeiten, in denen sich die Nachwenderepublik noch als das bessere, weil freiheitlich-demokratische Deutschland präsentieren mußte, endgültig vorüber. Es bedarf keines symbolpolitischen Pathos mehr, wenn den Menschen so sehr ins Fleisch geschnitten wird, daß sie nur die eine Sorge verspüren, sich den Anpassungs- und Leistungsimperativen dieser Gesellschaft nicht vollständig genug zu unterwerfen. Wenn die herrschende Mangelordnung nicht mehr als zu beseitigender Mißstand, sondern als konstitutive Voraussetzung für nationale Größe daherkommt und von vielen Bürgern als solche akzeptiert wird, dann richtet die am Negativbeispiel der DDR vollzogene Lektionierung, in der besten aller Welten zu leben, allmählich mehr Schaden an, als daß sie noch viel Überzeugungskraft entfalten könnte. Die dort staatlich gewährte Versorgungssicherheit könnte manchen Hartz IV-Empfänger vor Neid erblassen lassen. Wenn er nicht einmal mehr demonstrieren kann, weil er kein Geld für die Reise hat, weil es ihm vom Amt unter dem Vorwand, für die Jobsuche präsent sein zu müssen, schlicht unmöglich gemacht wird, oder weil Proteste verboten werden, dann erweisen sich die staatlich gewährten Freiheiten als eben das, als Zugeständnisse, die bei Bedarf auch wieder entzogen werden können.

Menschenrechte und Demokratie werden heute vorzugsweise als Vorwände für imperialistische Expansionsstrategien und Kriege eingesetzt, dort haben sie ihre Funktion und werden gerne vollmundig rezitiert. Wenn es einmal nicht darum geht, eine kleptokratische Oligarchin in eine antikommunistische Freiheitsheldin zu verwandeln, um die geostrategischen Pläne der NATO durchzusetzen, oder den im Nahen und Mittleren Osten aufgestandenen Bevölkerungen mit militärischen Mitteln ein neues kolonialistisches Zwangskorsett zu verpassen, dann wird allenfalls Gaucksche Freiheitslyrik feilgeboten. Die Befreiung der kapitalistischen Staatsgewalt von allen sozialpflichtigen Fesseln wiederum ist Programm neokonservativ gewendeter Eliten, die die Mandate exekutiver Ermächtigung im emanzipatorischen Sound postmoderner Zeiten zu präsentieren verstehen.

Seit Monaten vorbereitete, mehrere Tage des kapitalismuskritischen bis antikapitalistischen Protestes umfassende Aktionen des Blockupy-Bündnisses werden pauschal verboten und selbst eine Demonstration des honorigen Komitees für Grundrechte und Demokratie wird mit Verbotsverfügungen belegt, ohne daß in den Konzernmedien und bürgerlichen Parteien viel Aufhebens über die praktische Abschaffung des demokratischen Grundrechts der Versammlungsfreiheit gemacht würde. Schließlich geht es darum, zu schützen, was die Proteste in Frage stellen wollen. Der in Frankfurt prominent verankerte finanzkapitalistische Transmissionsriemen darf nicht einmal symbolisch zum Halt gebracht werden, könnte das Beispiel doch Schule und den Menschen wenn nicht hierzulande, dann in den Ländern der europäischen Peripherie noch mehr Mut zum Widerstand machen.

Die geringe kritische Resonanz auf dieses Exempel antidemokratischer Repression ist das herrschaftstechnisch produktive Ergebnis der Versammlungsverbote. Wie ein Testballon belegt die massive, von den Gerichten weithin bestätigte Unterbindung des sozialen Widerstands, daß mit größerem, den Kreis der direkt Betroffenen überschreitenden Widerspruch kaum gerechnet werden muß. Zu viele Bundesbürger glauben noch daran, als Teilhaber an der Exportnation Nummer Eins in Europa in besonderer Weise abgesichert zu sein, so daß sie selbst reale Lohnverluste klaglos hinnehmen, wenn nur das Überleben gesichert erscheint. Bescheidenheit ist keine Zier, sie ist Merkmal jener Integration, die lautstark eingefordert wird, wenn Migranten aus den Ländern des Südens an die Tür klopfen, während sie im eigenen Wohnzimmer längst vollzogen und nationalistisch ausstaffiert wurde. Wer nicht dazugehören und sich mit den Sarrazin auf die Schenkel klopfen will ob der angeblichen Dummheit der Subalternen, der läuft Gefahr, ökonomisch ausgegrenzt und in die Ecke ewig gestriger Feinde der Freiheit gestellt zu werden.

Die Blockupy-Proteste könnten auch wegen des breiten Bündnisses, das zu ihnen aufrief, zur weiteren Mobilisierung der Bevölkerung gegen die kapitalistische Zurichtung ihres Lebens führen. An dieser Stelle hart durchgreifen und dabei gleichzeitig ausprobieren, wie eng man die Fesseln ziehen kann, bevor ernstzunehmende Befreiungsversuche erfolgen, ist das probate Mittel eines Staates, von dem zu vermuten, daß er nicht so sehr Kapitalinteressen verpflichtet wäre, als daß er die Voraussetzungen demokratischer Gesellschaftsveränderung zu deren Schutz bereitwillig aufhöbe, eine strategische Fehleinschätzung von möglicherweise fataler Folge ist.

17.‍ ‍Mai 2012