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REPRESSION/1466: Staatsräson pur - Ernte des "NSU-Skandals" (SB)




Wie sein Name zutreffend sagt, dient der Verfassungsschutz einer Wahrung der herrschenden Gesellschaftsordnung gegen Angriffe auf die darin fest- und fortgeschriebenen Eigentums- und Ausbeutungsverhältnisse. Darin stimmt der Inlandsgeheimdienst weitreichend mit neonazistischen Bestrebungen überein, deren Antikommunismus, Nationalismus und Rassismus sich mit wesentlichen Paradigmen der bürgerlichen Gesellschaft decken, wenngleich ihr Ruf nach dem starken Staat allzu laut und auf anachronistische Parameter fixiert ausposaunt, was man längst wesentlich innovativer und subtiler auf den Weg gebracht hat. Es liegt daher nicht in der Logik des Verfassungsschutzes, die extreme Rechte konsequent zu bekämpfen, verspricht er sich doch wesentlich mehr davon, sie zu unterwandern und sich ihrer zu bedienen, um bei Bedarf Bedrohungsszenarien zu inszenieren und sie als Werkzeug gegen die ideologisch mit ihr gleichgesetzte Linke einzusetzen.

Daß der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) mehr als dreizehn Jahre lang ungehindert morden, Bomben legen und Banken überfallen konnte, ist unter dieser Voraussetzung nicht erstaunlich. Auf sein Konto gehen mindestens neun Morde an Migranten, maßgeblich Einzelhändlern, in den Jahren 2000 bis 2006. Zudem wurde 2007 die Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter in Heilbronn erschossen und ihr Streifenkollege schwer verletzt. Gesichert ist ebenfalls der Kölner Nagelbombenanschlag 2004 und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ein Anschlag auf die S-Bahnstation Düsseldorf-Wehrhahn im Jahr 2000, bei dem vor allem jüdischstämmige Migranten aus Osteuropa die Opfer waren. Neun Menschen wurden schwer verletzt, eine Frau verlor ihr ungeborenes Kind. Berücksichtigt man, daß seit 1990 in Deutschland mindestens 187 Menschen von Rechten umgebracht wurden, mutet die Reduzierung auf das mörderische Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe und die vorgebliche Unerklärlichkeit ihrer Umtriebe wie ein groteskes Verschleierungsmanöver an.

Spätestens seit dem gescheiterten Verbotsantrag gegen die NPD dürfte einer breiteren Öffentlichkeit bekannt sein, daß die bundesdeutsche Neonaziszene geheimdienstlich durchdrungen ist und in einem mehr oder minder großen Ausmaß sogar gesteuert wird. Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe waren Teil des militanten "Thüringer Heimatschutzes", der maßgeblich vom V-Mann und NPD-Mitglied Tino Brandt geleitet wurde. Böhnhardt wurde 1997 für eine neonazistische Aktion zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt, die jedoch nie vollstreckt werden konnte, weil er untergetaucht war. Im September 1997 deponierten die drei NSU-Täter einen Koffer mit Sprengsatz und aufgesprühtem Hakenkreuz vor dem Theater in Jena, im Dezember 1997 einen weiteren an einem antifaschistischen Mahnmal ebenfalls in Jena. Am 26. Januar 1998 kam es zu einer Razzia in drei Garagen, bei der zuletzt 1,4 kg TNT nebst einigen Rohrbomben sichergestellt wurden. Uwe Böhnhardt wurde kurz zuvor in einer der beiden anderen Garagen angetroffen, konnte aber ungehindert im Auto davonfahren. [1]

Tief war das Trio indessen nie abgetaucht: Die Drei pflegten ein soziales Leben in Zwickau, unterhielten Kontakte zu einem weiten Unterstützerkreis und besuchten Demonstrationen, Konzerte und Veranstaltungen. Viele wußten, wo sie waren, warum nicht also auch der Verfassungsschutz? Die in Thüringen eingesetzte Untersuchungskommission kam zu dem Schluß, daß früh erkennbar war, wie Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nach ihrem Untertauchen 1998 beinahe im Monatsrhythmus über Geldsorgen klagten und später regelmäßig in der Szene nach Waffen anfragen ließen. Ebenso wäre erkennbar gewesen, daß die Drei ab etwa November 1999 ihren Geldbedarf vermutlich mit Banküberfällen decken konnten. An Anhaltspunkten, daß es sich um eine terroristische Vereinigung handelte, habe es also nicht gefehlt. Damit nicht genug, habe der thüringische Verfassungsschutz sogar eine rechtsextreme Quelle mehrfach vor der Polizei gewarnt und deren Arbeit gezielt behindert.

So fragwürdig die Behauptung anmutet, der Verfassungsschutz habe erst im November 2011 von der Existenz des NSU erfahren, so unhaltbar erscheint auch die Einzeltäterthese. Das Trio hatte Verbindungen zum "Freien Netz" in Sachsen, das ähnlich wie der "Thüringer Heimatschutz" aufgebaut und eine Mischszene aus NPD-Mitgliedern, Jungen Nationaldemokraten und Autonomen Nationalisten ist. Auch existierte eine Anbindung an den Westen wie etwa zu Manfred Roeder. Des weiteren muß man davon ausgehen, daß sich die Verbindungen der NSU nicht auf den deutschen Raum beschränkten, da es eine Andockung an "Blood and Honour" gab. In Britannien wurden Morde und Bombenanschläge von "Combat 18", dem Terrorarm von "Blood and Honour", verübt, der genau wie der NSU auf den sogenannten führerlosen Widerstand setzt: Kleine Aktionsgruppen verüben gezielte Morde, für die es keine Bekennerschreiben gibt. Warum das den Geheimdiensten unbekannt gewesen sein soll, ist unerklärlich, zumal "Blood and Honour"-Konzerte auch in Deutschland stattfinden.

Das alles und viele weitere Indizien mehr systematisch auszublenden und mithin jede aktive Beteiligung des Verfassungsschutzes zumindest einiger Bundesländer wie Thüringen, Sachsen oder Hessen an neonazistischen Anschlägen und Mordtaten zu leugnen ist Aufgabe der Untersuchungskommissionen. Nach Thüringen war nun auch Sachsen an der Reihe, wo Günther Schneider (CDU) nach halbjähriger Arbeit des von ihm geleiteten Gremiums den Abschlußbericht in Dresden vorgelegt hat. Er wirft mit Wattebäuschen nach dem Verfassungsschutz, was von diversen Medien pflichtschuldig als scharfe Kritik und verheerendes Zeugnis ausgelegt wird. Dabei sagt die Kommission nichts anders als zuvor ihr thüringisches Pendant, wenngleich in noch seichterer Form der Abwiegelung.

"Gravierende Mängel" seien zutage getreten, da man Informationen weder systematisch ausgewertet noch zusammengeführt habe, weil keine zentrale Steuerung der Maßnahmen vorhanden gewesen sei. Für Schneider sind das "Unzulänglichkeiten" und "schwere Fehler", die auf ein "Systemversagen" hindeuten. Daß das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen seine eigenen Erkenntnisse nicht weiterverfolgt und ausgewertet hat, erklärt sich der Kommissionsvorsitzende damit, daß sich die sächsische Behörde offenkundig darauf verlassen habe, daß ihre Kollegen in Thüringen "schon alles richtig machen würden". Nur durch Inkompetenz kann sich der CDU-Abgeordnete das erklären: "Ich muss doch von einem Verfassungsschützer erwarten können, dass er selbstständig nachdenkt" [2], bricht Schneider die Schelte auf den denkbar harmlosesten Vorwurf beamtischer Engstirnigkeit herunter.

Die Überzeugung der schwarz-gelben Kommissionsmehrheit, man sei umfassend informiert worden, teilt die Opposition nicht. Der Obmann der Grünen, Miro Jennerjahn, forderte, die Arbeit der Behörde sowie ihre personelle und materielle Ausstattung grundsätzlich zu hinterfragen. "Wie kann es sein, dass eine im bundesweiten Vergleich so aufgeblähte Behörde wie das sächsische LfV so spärliche Ergebnisse liefert?" Die Linken-Abgeordnete Kerstin Köditz teilte mit, daß sie viele der Verfassungsschutzunterlagen, die Journalisten ihr zugespielt hätten, "in der Kontrollkommission nie gesehen" habe. Ihres Erachtens habe niemand die Kontakte der drei Untergetauchten zu sächsischen Rechtsextremisten untersucht. Der Verfassungsschutz arbeite mit "komplizierten Schubladen" und sei deshalb gar nicht in der Lage, Netzwerke zu erkennen. Solche "fatalen Fehleinschätzungen" hätten verhindert, daß wirksame Gegenmaßnahmen getroffen werden konnten. Der Bericht sei eine "Chronik des Versagens der zuständigen Behörden" und Ausdruck von Unvermögen, fügte Fraktionschef André Hahn hinzu. [3]

Während der Kommissionsvorsitzende Schneider besser qualifiziertes Personal beim Verfassungsschutz fordert, verlangt Die Linke eine ausführliche Evaluation der Behörde und eine "Tiefenanalyse" ihrer Arbeit. "So ein Verfassungsschutz nützt uns wenig. Er beschäftigt uns mehr, als er nützt", sagte Köditz, die sich zudem für mehr wissenschaftliche Forschung im Bereich der extremen Rechten ausspricht. So anerkennenswert das Engagement der Linken in diesem Zusammenhang sein mag, reichen die von ihr geforderten Konsequenzen doch nicht über den Ruf nach einem besseren Verfassungsschutz hinaus.

Der ist Wasser auf die Mühlen einer Verarbeitung des "NSU-Skandals", die auf eine engere Verflechtung der verschiedenen Sicherheitsbehörden abzielt. So erklärte der sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU), daß sein Eindruck, die Zusammenarbeit der Behörden müsse verbessert werden, von der Kommission geteilt werde. Sachsen habe bereits gemeinsam mit dem Bund und anderen Ländern Verbesserungen angeschoben. In der vergangenen Woche hatte bereits der ehemalige Vizepräsident des Bundeskriminalamtes, Bernhard Falk, vor dem Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestags kritisiert, die beteiligten Landesbehörden hätten kein einheitliches Führungs- und Fahndungskonzept gehabt. Das Bundesinnenministerium habe sich offenbar dem Druck der Länder gebeugt und die Ermittlungen nicht zentral an das Bundeskriminalamt übertragen. So mündet Pseudokritik am Inlandsgeheimdienst in den allgemeinen Ruf, der Verfassungsschutz solle besser ausgestattet werden und künftig effektiver arbeiten, wie überhaupt die Zusammenbindung der Sicherheitsbehörden vorangetrieben werden müsse: Aus Sicht der Staatsräson könnte das Verhältnis von Risiko und Ertrag der NSU-Affäre kaum günstiger sein.

Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0109.html

[2] http://www.mdr.de/sachsen/pkk-bericht100.html

[3] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2012-06/NSU-Terrorismus-Rechtsextremismus-Untersuchungsausschuss-Sachsen

23. Juni 2012