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REPRESSION/1514: "Bedarfsgemeinschaft" - In der Vielfalt menschlichen Kontakts lauert Gefahr (SB)




Das Soziale an der Marktwirtschaft erweist sich in der "Bedarfsgemeinschaft" als Zwangsverhältnis, dem nichts Soziales im Sinne des solidarischen Einstehens füreinander eigen ist. Wer keine Arbeit hat oder aus anderen Gründen nicht erwerbsfähig ist, also auf den Leistungsbezug nach Hartz IV oder auf Grundsicherung angewiesen ist, für den mußte schon in der Weimarer Republik und im NS-Staat die "Familiennotgemeinschaft" einstehen, um das Kapital nicht durch zu viele Sozialabgaben zu belasten. Schon der im ideologischen Widerschein der neoliberalen Arbeitsgesellschaft abgefeierte Individualist, der sich, mit gehetztem Seitenblick auf um Aufstiegschancen und Privilegien konkurrierende Kollegen, als Einzelkämpfer durch die flexibilisierte Joblandschaft schlägt, weiß ein Lied davon zu singen, daß das Märchen von des Glückes eigenem Schmied als gewaltsamer Zugriff auf letzte Ressourcen seiner Lebenslust und -kraft Wirklichkeit wird. In den Abgründen des "passiven Leistungsrechts" allerdings wird im Takt einer Gesellschaftsmaschine marschiert, die die Hoffnungen und Wünsche, die Träume und Ideale des Menschen erst recht rückstandslos in der Bezichtigung aufgehen lassen, ein angeblich unproduktives Dasein zu fristen.

Wo der Mensch als Objekt der staatlichen Arbeitsverwaltung Versorgungsansprüche erhebt, weil er von der technologisch hochentwickelten, extrem arbeitsteiligen Produktionssphäre ebenso abgeschnitten ist wie von archaischen Formen der Selbstversorgung in Wald und Flur, findet er sich, sofern er nicht alleine lebt, in einer Gemeinschaftsform wieder, an der alles Gemeinsame dem Staat gegenüber rechenschaftspflichtig ist. Ob Familie, Ehe, eheähnliche Beziehung, Wohngemeinschaft und Kommune, in der "Bedarfsgemeinschaft" wird aller menschlicher Kontakt durch den auf sie abgeschobenen Versorgungsanspruch in ein pekuniäres Verhältnis verwandelt. Wollen Menschen nicht alleine sein oder aus anderen Gründen Haus, Küche und Bett teilen, überträgt der Staat den an ihn gerichteten Rechtsanspruch auf Sozialleistungen auf all diejenigen Mitglieder der "Bedarfsgemeinschaft", die über mehr Einkommen und Besitz verfügen als an Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vorgesehen sind.

Wer das Urteil der Arbeitsagentur, ihre "Kundin" oder ihr "Kunde" lebe in einer Bedarfsgemeinschaft, nicht widerlegen kann, verliert ihren oder seinen Rechtsanspruch gegenüber dem Staat, ohne ihn auf den noch zahlungsfähigen Partner übertragen zu können. Abgestraft dafür, nicht allein leben zu wollen, werden mithin alle in diese Kategorie eingestuften Personen. Wer verdient, soll für die erwerbslose Partnerin oder den erwerbslosen Partner aufkommen, was diese oder diesen wiederum in die mißliche Lage versetzt, die Abhängigkeit gegenüber dem anonymen Staat auf einen Menschen zu übertragen, mit dem verbunden zu sein eigentlich aus ganz anderen Gründen wichtig sein sollte.

So trägt die per Gesetz konstituierte Bedarfsgemeinschaft den Keim der Aufhebung all dessen in sich, was in einem positiven Sinne als Gemeinschaft verstanden werden könnte. Unter dieser Bedingung ist es für Erwerbslose und Versorgungsbedürftige ratsam, ein Leben in überprüfbarer Abgeschiedenheit von Angehörigen und Freunden zu führen. Anstelle des kostengünstigen und zeitsparenden gemeinsamen Einkaufs wird das Wägelchen nur noch für den eigenen Bedarf durch die Gassen des Discounters geschoben, die gemeinschaftliche Wohnung wird durch Untermietvertrag parzelliert, die gemeinsame und damit umweltfreundliche Nutzung von Einrichtungen wie Waschmaschine, Kühlschrank oder Automobil entfällt.

So werden in der alle persönliche Verhältnisse unter Mißbrauchsverdacht stellenden Mangelverwaltung des SGB II Voraussetzungen für eine Vereinzelung geschaffen, die die beste Garantie für die Beherrschbarkeit des Menschen bietet. Für seine Sozialbeziehungen haftbar gemacht und bei Leistungsbezug unter eine Observation gestellt, von der die NSA noch viel lernen könnte, bleibt der Mensch in jedem Fall alleine, so daß auch letzte Freiräume geschlossen werden, aus denen heraus Widerstand gegen die herrschende Ordnung hervorgehen könnte. Gemeinschaftlich leben, gemeinsam handeln, zusammen kämpfen - im kognitiven Kapitalismus beginnt die Subversion, wo sich menschlicher Kontakt der informationstechnisch aufgerüsteten Sozialkontrolle entzieht. In der für Beginn 2015 vorgesehenen Verschärfung der Hartz IV-Gesetze soll auch noch die bislang für ein Jahr tolerierte "Bedarfsgemeinschaft" auf Probe gestrichen werden. Wenn der Gedanke des Solidarischen und Kollektiven, der Kommune und des Kommunismus unwiederbringlich zerstört wurde, dann ist auch die Möglichkeit verschwunden, die Bedingtheit sozialer Existenz in Frage zu stellen und zu überwinden.

27. Mai 2014