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REPRESSION/1579: Die Worte sind frei, verboten zu werden (SB)



Das Verbot der linksradikalen Plattform linksunten indymedia kommt zur - im Wortsinn - rechten Zeit. Während Bundesinnenminister Thomas de Maizière das Verbot eines nichtvorhandenen Vereins als Maßnahme gegen "linksextremistische Hetze im Internet" darstellt und militante Aktionen bei den G20-Protesten in Hamburg anführt, die er als "gravierende Folgen" der bei linksunten indymedia geposteten Beiträge und Aufrufe bezeichnet, freut sich die ungleich aggressivere Rechte jenseits der Unionsparteien darüber, einen gegen sie gerichteten Mobilisierungsfokus los zu sein. Zwar wurden auf dem Portal auch Bekennerschreiben etwa für Sabotageaktionen gepostet, doch Zeitungen, denen derartige Erklärungen zugespielt werden und die daraus zitieren, werden dafür keineswegs abgestraft.

Auch wenn sich Beispiele für Aufrufe zur Gewalt und einer gegen diesen Staat gerichteten Gesinnung auf indymedia linksunten finden lassen, so ist doch keinesfalls geklärt, inwiefern die den Betreibern der Plattform zur Last gelegten Zitate repräsentativ für das Gros der dort geposteten Texte sind. Was allerdings bekannt ist und sie zu einer populären Quelle für soziale Bewegungen aller Art gemacht hat, ist die große Zahl der dort zu findenden antifaschistischen und radikalökologischen Postings. Auch hat die hochdifferenzierte Debatte nach den G20-Protesten, die auf der Plattform geführt wurde, gezeigt, daß das Schwarz-Weiß-Denken zwischen klandestiner Militanz und legalem Protest das breite Spektrum wohldurchdachter und gut fundierter Beiträge mißachtet, die eine wichtige Quelle von zum Teil großem Erkenntniswert für zeitgeschichtlich und gesellschaftskritisch interessierte Menschen sind.

Eine elektronische Infrastruktur für eine im politischen Spektrum linksaußen verortete Klientel zur Verfügung zu stellen, ist kein Verbrechen, sondern ein Beitrag zu einer emanzipatorischen Gesprächskultur. Wenn dort mitunter unschöne Ausfälle aggressiver Art zu lesen sind, so bleiben diese oft nicht unwidersprochen und erfüllen den Tatbestand ausgesprochener Hetze nur selten. So finden sich kaum sozialchauvinistische, rassistische und sexistische Ausfälle, die in bürgerlichen Mehrheitsmedien fast schon zum guten Ton gehören, es sei denn, sie werden von Nazis gepostet, die dort ebenfalls anonym auftreten können. Daß deren häufig besonders vulgäre Wortmeldungen von den Moderatorinnen und Moderatoren regelmäßig gelöscht werden, ist Teil einer Arbeit, die aus idealistischen Gründen geleistet wird und dem Bundesinnenminister wohl gerade deshalb verdächtig erscheint. Menschen, die sich nicht über ihr Einkommen und ihren sozialen Status definieren, denen es auch nicht darauf ankommt, eine im bürgerlichen Sinne klar zu identifizierende Charaktermaske vor sich herzutragen, erscheinen einem Staat, dessen politische Verfassung auch als Marktdemokratie bezeichnet wird und dem die Förderung der kapitalistischen Eigentumsordnung wenn nicht erklärtes Ziel, dann doch bewährte Praxis ist, nicht zu Unrecht als oppositionell und antagonistisch.

Die Unterstellung des Linksextremismus krankt ohnehin daran, daß es sich um eine wesentlich topographische und nicht normative Zuordnung handelt. Wenn die solchermaßen zwischen links- und rechtsextrem bestimmte Mitte für Angriffskriege, Hungersnöte, Naturzerstörung, Ausbeutung und Unterdrückung verantwortlich ist und dies als akzeptable Praxis einer Gesellschaft betrachtet, dann wird aus gutem Grund kein inhaltlicher Abgleich zwischen dieser nach Sachzwang und Krisenkonkurrenz frei flottierenden Mitte und der Linken vorgenommen. Wie schon die Kriminalisierung der G20-Proteste gezeigt hat, werden die Taten von Regierungen von den gegen sie gerichteten Forderungen strikt entkoppelt. Der strategische Schachzug, alle Gewalt bei den Protestierenden zu verorten, wurde mit einer massenmedialen und politischen Übermacht vollzogen, deren dadurch geschaffene Definitionshoheit ihrerseits einen Akt struktureller Gewalt darstellt.

Das staatliche Gewaltmonopol, dessen Nichtanerkennung durch Akteure, die auf indymedia linksunten aktiv sind, vom Bundesinnenministerium beklagt wird, beinhaltet eben auch neokolonialistische Strategien der Ausbeutung kapitalschwacher und technologisch unterentwickelter Bevölkerungen, die systematische Zerstörung essentieller Lebensressourcen durch die Externalisierung von Produktionskosten oder eine Flüchtlingsabwehr, der viele tausend Menschen allein deshalb zum Opfer fallen, weil sie existentieller Not entkommen wollen. Wird Gewalt als Scheitern des Versuches verstanden, allen Menschen zu einer angemessenen Befriedigung ihrer Bedürfnisse zu verhelfen, was wiederum eine andere Gesellschaft voraussetzte, dann ist auch der monopolistische Anspruch auf ihre Ausübung ein letztlich scheiterndes, mehr Zerstörung als Befreiung produzierendes Unterfangen. Nicht umsonst wird die Gewaltfrage erst diskutiert, wenn Gewalt unumkehrbar vollzogen wurde.

Bei aller parlamentarischen Regulation ist die Gewaltausübung des Staates weitgehend sakrosankt, selbst wenn Mensch und Natur durch sie massiv geschädigt werden. Nichtstaatliche Akteure wiederum werden bereits der Gewalt - Stichwort "passive Bewaffnung" - bezichtigt, wenn sie sich einem polizeilichen Zugriff entziehen, den Polizeikameras ihr Gesicht vorenthalten oder Vorkehrungen gegen Reizgas und Wasserwerfer treffen. Die angeblichen Subjekte dieses Staates sollen ihre Ohnmacht, deretwegen sie überhaupt auf die Straße gehen, durch eine Art Offenbarungseid bekräftigen, der sie zu willfährigen Objekten jeder nur denkbaren Maßnahme macht. Die verfassungsrechtlich unterstellte Augenhöhe zwischen Bürger und Staat scheitert schon an der herrschenden Eigentumsordnung und wird seit Jahrzehnten durch die fortschreitende Ermächtigung von Exekutivorganen zu Lasten des nominellen Souveräns, der Bevölkerung, zusätzlich ausgehebelt.

Dabei kann das Vorhaben einer grundsätzlichen Überwindung dieser Gesellschaftsordnung schon formallogisch kein Verbrechen sein. Wäre es ein solches, dann bedeutete dies, daß mit der repräsentativen Demokratie und kapitalistischen Gesellschaftsordnung der Endpunkt aller historischen Fortschritte erreicht worden wäre. Wer gegen Feudalismus und Klerikalherrschaft, gegen Thron und Altar antrat, war stets Sünder und Verbrecher in einem. Die dogmatische Festschreibung der herrschenden Ordnung als ultimativ und unveränderbar negierte sämtliche Errungenschaften, die auf dem Weg dorthin zu Lasten der sie erstreitenden Menschen erkämpft wurden. Die schlichte Freund-Feind-Logik, mit der der Bundesinnenminister seine Verbotsverfügung begründet, steht jedem sozialen und gesellschaftlichen Fortschritt wie ein Bollwerk staatsabsolutischer Ideologie im Weg und erfüllt damit nicht einmal die konstitutiven Ansprüche der bürgerlichen Revolutionen, auf denen die von de Maizière beschworene freiheitlich-demokratische Grundordnung basiert.

Widersprüche auszuhalten und ideologische Gegner zu tolerieren sind Minimalforderungen an eine demokratische Gesellschaft. Das Verbot linker Parteien und Vereine auch revolutionären Zuschnitts belegt, daß das Rütteln am Klassenantagonismus nicht anders als durch Repression zu verhindern ist. Was sozialrevolutionäre Bewegungen in ihren herrschaftskritischen Zielen legitimiert, führt bei deren zusehends aggressiven Abwehr zur wachsenden Akzeptanz der staatsautoritären Rechten. Die wechselseitige Legitimation staatlicher Repression, gegen links wie rechts gerichtet zu sein, ist auf dem fundamentalen Widerspruch errichtet, daß rechtsradikale Gewalt den starken Staat beschwört und sich zu seinem Ausbau mit etablierten Eliten verbündet, während linksradikale Herrschaftskritik, wie auf indymedia linksunten unter anderem vertreten, den Staat gänzlich abschaffen will.

Das gegen die Plattform gerichtete Verbot ist mithin inhaltlicher Art und nur notdürftig legalistisch verbrämt. War die Dämonisierung nicht nur radikaler Linker nach dem G20-Gipfel und die Verabschiedung neuer Polizeigesetze der Auftakt zu einer Repressionsoffensive, dann kann das Verbot dieses linksradikalen Portals als wichtiger Zwischenschritt verstanden werden. Er betrifft letztlich alle Menschen, die die Freiheit des Wortes als prinzipiellen, alle Menschen betreffenden Wert verteidigen. Wer sich den Mut, die Stimme gegen die vernehmlich schweigende Mehrheit zu erheben und für die Freiheit unbequemer Meinungen einzutreten, dadurch nehmen läßt, mit linksradikalen Schmuddelkindern in Gesinnungskollektivhaft genommen zu werden, kapituliert in vorauseilendem Gehorsam, denn es könnte ja noch schlimmer kommen.

30. August 2017


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