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REPRESSION/1644: USA - schwindende Menschenrechte ... (SB)



Unsere Gegner, die Medien und die ganze Welt werden bald sehen, dass die Durchsetzungskraft des Präsidenten zum Schutz unseres Landes sehr substantiell und nicht zu hinterfragen ist.
Stephen Miller (Berater Donald Trumps in der Einwanderungspolitik) [1]

Die Grenze der Vereinigten Staaten zu Mexiko ist die zentrale Scheidelinie zwischen dem hochindustrialisierten Norden und dem globalen Süden auf diesem Kontinent, zwischen der Supermacht und dem von ihr beanspruchten "Hinterhof", zwischen hegemonialem Übergriff und Vasallenstatus, zwischen Reichtum und Armut. Mehr als ein Jahrhundert lang hat der US-Imperialismus die Länder Lateinamerikas unterdrückt und ausgebeutet, durch Interventionen Regierungen gestürzt und von der CIA unterstützte Diktaturen eingesetzt. Wenngleich nationale Regime die Interessen einheimischer Eliten bedienen und als Statthalter fungieren, tragen die USA doch die Hauptverantwortung für Armut und Elend, Konflikte und Gewalt, nicht zuletzt auch den Klimawandel, der die Lebensverhältnisse im Süden zunehmend beeinträchtigt. Wenn nun insbesondere aus Honduras, Guatemala und El Salvador eine Massenflucht in nördlicher Richtung einsetzt, ist dies eine zwangsläufige Folge der Ausplünderung und Zurichtung, welche die maßgeblichen Verursacher des Leidens mit ihren Opfern konfrontiert.

In den ersten sechs Monaten des Haushaltsjahres 2019, das am 1. Oktober 2018 begann, hat die US-Grenzpolizei insgesamt gut 360.000 "illegale" Einwanderer aufgegriffen, ein Anstieg von mehreren hundert Prozent im Vergleich zu den entsprechenden Zeiträumen der Vorjahre. Wurden im März 2017 rund 16.000 Menschen festgenommen, waren es im März 2018 bereits etwa 50.000 und im März 2019 mehr als 103.000 von den Behörden gestellte Grenzgänger. Für das gesamte laufende Jahr werden bis zu einer Million Flüchtlinge erwartet, was den dramatischen Verlauf dieser aus der Not geborenen Fluchtbewegung unterstreicht. Dabei sind es weniger die traditionellen Arbeitsmigranten, also junge, alleinstehende Männer, die versuchen, unentdeckt über die Grenze zu kommen und dann im Land unterzutauchen. Stattdessen drängen sich an den Grenzübergängen vor allem Minderjährige, die allein unterwegs sind, und Familien mit Kindern. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der Festgenommenen machte in den vergangenen sechs Monaten nach Angaben der US-Grenzschutzbehörde CBP fast 63 Prozent aus. In vielen Fällen beantragen diese Menschen nach der Festnahme Asyl. [2]

Die US-Regierung weist jede Verantwortung für die eskalierende humanitäre Katastrophe kategorisch von sich und setzt ausschließlich auf repressive Maßnahmen, die den Charakter einer unmittelbaren Kriegsführung gegen geflohene Menschen annehmen. Kaltes Kalkül der Abschottung und Abschreckung paart sich mit einer zutiefst rassistischen Feindbildproduktion, welche die Migranten zu Verbrechern erklärt, vor deren Infiltration es das Land zu schützen gelte. Da die Problematik angesichts ihrer Dimensionen und der absoluten Verweigerung integrativer Ansätze mit den vorhandenen Mitteln unmöglich zu bewältigen ist, läuft die unerbittliche Stoßrichtung auf entfesselte Zwangsmaßnahmen hinaus, die selbst die längst verübten Grausamkeiten weit in den Schatten zu stellen drohen.

Hart gegen "illegale" Einwanderer vorzugehen war das zentrale Wahlkampfversprechen Trumps. Heute liegen jedoch die Zahlen so hoch wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr. Den Kampf mit dem Kongreß um Geld für den Bau einer Grenzmauer hat der Präsident verloren und ob er die Sperranlage anderweitig finanzieren kann, ist noch offen. Daher steht Trump unter enormem Druck, die Lage an der Grenze unter Kontrolle zu bringen, was seine Neigung zu aberwitzigen Ideen nur noch verstärkt. Mehrfach war er drauf und dran, die Grenze zu Mexiko zu schließen, was es Migranten aus Mittelamerika unmöglich machen würde, Asylanträge zu stellen. Da diese Maßnahme aber den milliardenschweren Handel zwischen den USA und Mexiko wie auch die enge Verflechtung der beiderseitigen Grenzregionen schwer in Mitleidenschaft ziehen würde, rückte Trump vorerst von dem Plan wieder ab, ohne ihn jedoch endgültig zu begraben. Statt dessen verkündete er, er gebe Mexiko ein Jahr Zeit, um den Zustrom von zentralamerikanischen Flüchtlingen in die USA zu stoppen.

Daß die irrlichternde Phantasie des US-Präsidenten keine Tabus zu kennen scheint, belegt seine zwischenzeitlich angedrohte Idee, festgenommene Einwanderer von der Grenzpolizei in Städte bringen zu lassen, die von den Demokraten regiert werden und in denen die lokalen Behörden nicht mit den Bundesgrenzschutzbehörden zusammenarbeiten. Auf diese Weise wollte er den Druck auf die Demokraten erhöhen, einer Verschärfung der Einwanderungsgesetze zuzustimmen. Dabei wäre es weder legal noch praktikabel, Zehntausende Menschen im Land umherzutransportieren, um sie nach politischen Kriterien an bestimmten Orten freizulassen.

Als treibende Kraft hinter der Einwanderungspolitik des US-Präsidenten gilt sein Berater Stephen Miller, der bereits Redenschreiber im Wahlkampf war und praktisch hinter jeder Verschärfung der Immigrationspolitik steckt, die unter Trump vorangetrieben wurde. Miller machte am rechten Rand der Republikaner über Michele Bachmann und Jeff Sessions Karriere und brachte es bis ins Weiße Haus, wo Steve Bannon sein Mentor war. Er genießt das Vertrauen des Präsidenten, der das Stichwort gibt, woraus Miller einen Plan macht. Die beiden funktionieren als eingespieltes Team, da Trump sich von seinem Berater offenbar verstanden und uneingeschränkt unterstützt fühlt. Kritiker sehen in Miller den berüchtigtsten Rassisten im Weißen Haus und argwöhnen, er verfolge zusammen mit dem Präsidenten einen weit größeren Plan, als nur die "illegale" Immigration einzudämmen. Sie wollen, heißt es, ihre Version eines weißen Amerikas retten, in dem Weiße europäischer Prägung die Oberhand behalten, und dieses Ziel mit allen Mitteln durchsetzen.

Miller plädiert stets für die denkbar grausamste aller Varianten und war einer der Konstrukteure des "Muslim Ban", der es Menschen aus bestimmten muslimisch geprägten Ländern verbot, in die USA einzureisen. Er riet Trump zur Entlassung der Heimatschutzministerin Kirstjen Nielsen, die aus eigener konservativer Überzeugung bereit war, Gesetze zu beugen, aber nicht, sie zu brechen. Nielsen setzte Trumps Idee um, Asylsuchende zu zwingen, ihre Verfahren auf mexikanischem Boden abzuwarten, was von einem Bundesrichter wieder einkassiert wurde. Als Trump und Miller von ihr verlangten, Asylsuchende ohne Aussicht auf ein erfolgreiches Verfahren zurückzuweisen, was eindeutig rechtswidrig wäre, verweigerte sie das. Der erst 33jährige Miller soll als rechter Einpeitscher für eine systematische Säuberungsaktion im Ministerium wie auch in den Sicherheitsbehörden verantwortlich sein, wobei der Umbau der Heimatschutzes zu chaotischen Verhältnissen führte, da zahlreiche Führungspositionen vakant wurden.

Geht es nach Miller, werden Eltern an der Grenze wieder von ihren Kindern getrennt, damit die Eltern trotz richterlicher Verbote dauerhaft hinter Gitter gebracht werden können. Durch diese Abschreckung sollen Familien davon abgehalten werden, Asyl in den USA zu beantragen. Er drängte darauf, zumindest bestimmte Grenzübergänge zu schließen, den Mauerbau in Angriff zu nehmen, die Zahl der Grenzschützer deutlich aufzustocken und die Staatsbürgerschaft als reines Geburtsrecht abzuschaffen. Von Trump zum verantwortlichen Berater für alle Grenz- und Immigrationsfragen ernannt, ist Millers Einfluß weiter gewachsen, jegliche Widerstände gegen repressivste Maßnahmen aus dem Feld zu schlagen.

Die Aufnahmelager, in denen die US-Behörden asylsuchende Menschen unterbringen und registrieren, sind wegen des Ansturms überfüllt. "Wir erleben derzeit einen Notstand, der das gesamte Netz unserer Einrichtungen betrifft", teilte die CBP mit. An der Grenze entfalte sich eine "humanitäre Krise", "und diese Krise wird schlimmer". Zahlreiche Migranten werden während der Überprüfung ihrer Asylanträge auf freien Fuß gesetzt, weil es nicht genügend Unterbringungsmöglichkeiten gibt. Das Pentagon baut in Arizona und Texas riesige Zeltlager auf, in denen zumindest ein kleiner Teil der Migranten interniert werden soll. [3]

Ein aktueller Bericht des Generalinspekteurs des Heimatschutzministeriums zeugt von unmenschlichen Bedingungen in der texanischen Aufnahmeeinrichtung El Paso Del Norte. Demnach können die Häftlinge in Räumen nur stehen und "in den Zellen auf den Toiletten stehen, um Platz zu schaffen und Freiraum zu gewinnen, wodurch der Zugang zu den Toiletten behindert wird". Bei der unangekündigten Inspektion am 7. und 8. Mai befanden sich "etwa 750 bzw. 900 Insassen" in der Einrichtung, die nur für höchstens 125 Menschen ausgelegt ist. "Da der Zugang zu Duschen und sauberer Kleidung begrenzt ist, trugen Häftlinge tage- oder wochenlang verdreckte Kleidung", heißt es weiter.

El Paso Del Norte ist eine von fünf Einrichtungen und zwei Einreisezentren der Border Patrol im Raum El Paso, zu dem der Großraum der Stadt und der Osten New Mexicos gehören. Das Heimatschutzministerium (DHS) empfiehlt den Bau weiterer Internierungslager in El Paso, und die Einwanderungs- und Zollbehörde (ICE), die dem DHS untersteht, hat eine zeltartige Anlage aufgebaut, in der 500 Menschen untergebracht werden können. Sie plant die Eröffnung einer "modularen Anlage für 800 Insassen" bis zum 31. Juli und ein dauerhaftes Aufnahmezentrum für 1.800 Menschen bis zum 1. Dezember 2020. [4]

Ende Dezember hatten sich die USA nach Angaben des US-Heimatschutzministeriums mit Mexiko auf ein Verfahren zur Abschiebung zentralamerikanischer Asylsuchender geeinigt. Die mexikanische Regierung spricht dagegen von einer einseitigen Entscheidung der USA. Wurden zunächst nur Erwachsene abgeschoben, so werden inzwischen auch Kinder aus Mittelamerika nach Mexiko zurückgebracht, wo sie auf die Bearbeitung ihrer Asylanträge warten müssen. Die Kinder an einen der gefährlichsten Orte der Welt zurückzuschicken, wo sie Opfer von Gewalt und Menschenhandel werden können, sei ein neuer Tiefpunkt, kritisierte die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights First. [5]

Um weitere Flüchtlinge abzuschrecken werden Kinder vorsätzlich von ihren Eltern getrennt. In einem Zeltlager in Tornillo vor den Toren El Pasos waren 2.600 Jugendliche zwischen 13 und 17 Jahren interniert, die Asylanträge gestellt hatten. In dem militarisierten Camp waren alle Regeln der Jugendhaft außer Kraft gesetzt. Es gab keinen Schulunterricht, keinen Kontakt nach außen, keine psychologische Betreuung, nur einmal in der Woche für zehn Minuten die Möglichkeit, mit Angehörigen zu telefonieren. Auch die Bestimmung, daß Kinder nicht länger als 20 Tage festgehalten werden dürfen, war dort obsolet, denn manche Kinder wurden über Monate interniert. Das Lager fernab in der Wüste und von außen nicht einsehbar unterlag strengster Geheimhaltung. Niemand kam hinein, sofern er nicht dort beschäftigt und an eine Schweigeverpflichtung gebunden war. Im Januar 2019 wurde das Lager wegen der immer lauter werdenden Proteste geschlossen und die Politik der getrennten Familien offiziell für beendet erklärt. Wie die Washington Post jedoch kürzlich berichtete, werden 2.000 unbegleitete Kinder "in überfüllten Einrichtungen der Border Patrol festgehalten [...] über die juristisch erlaubte Frist hinweg, darunter einige, die 12 Jahre alt und jünger sind." Viele Kinder leiden an Windpocken und Atemwegserkrankungen, seit September sind sechs Kinder im amerikanischen Gewahrsam gestorben.

Im vergangenen Jahr schloß Trump mit dem mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador ein Abkommen, dem zufolge Asylsuchenden der Aufenthalt in den USA verboten ist, solange ihre Anträge noch nicht bearbeitet sind. Seither warten Tausende von Migranten südlich der amerikanischen Grenze. Zuletzt kündigte der US-Präsident die Einführung von Zöllen auf alle Waren aus Mexiko an, falls die mexikanische Regierung nicht sofort sämtlichen Einwanderern aus Mittelamerika die Durchreise durch ihr Staatsgebiet verwehrt. Trump plant zudem die Einführung einer neuen Regel, die "für Mittelamerikaner das Asylrecht beendet". Flüchtlinge, die über ein Drittland wie Mexiko an die amerikanische Grenze kommen, sollen keine Asylanträge mehr stellen dürfen.

Wenngleich die geographischen und politischen Voraussetzungen dieses Grenzregimes nicht mit denen Europas identisch sind, erinnern die Maßnahmen der Trump-Administration durchaus an die Flüchtlingsabwehr der EU. Daß die Menschenrechte dramatisch schwinden, sobald es um die eigenen Fleischtöpfe geht, entspricht den Prioritäten der Staatsräson beiderseits des Atlantiks, wo man sich zivilisatorischer Errungenschaften rühmt, um sie den Hungerleidern desto nachhaltiger abzusprechen. Ob ideologisches Sturmgeschütz oder sich selbst erfüllende Prophezeiung - im "Kampf der Kulturen" wird die Überlebensfrage mit erlesener Grausamkeit gestellt.


Fußnoten:

[1] www.sueddeutsche.de/politik/trump-weisses-haus-miller-1.4405646

[2] www.sueddeutsche.de/politik/usa-fluechtlinge-mexiko-grenze-1.4409547

[3] www.spiegel.de/politik/ausland/usa-armee-plant-an-der-grenze-zu-mexiko-zeltstaedte-fuer-migranten-a-1268822.html

[4] www.wsws.org/de/articles/2019/06/03/bord-j03-1.html

[5] www.tagesspiegel.de/politik/migranten-usa-schieben-mittelamerikanische-kinder-nach-mexiko-ab/23990480.html

4. Juni 2019


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