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REPRESSION/1662: Polizei - Entwicklung mit Skepsis sehen ... (SB)



Demokratische Werte sind fest in der hessischen Polizei verankert.
Hessens Landespolizeipräsident Udo Münch [1]

Werden deutsche Polizeien von rechts unterwandert? Etablieren sich in ihrem Inneren rechtsextreme Seilschaften, die an Einfluß gewinnen? Oder handelt es sich bei derartigen Umtrieben, wie sie in jüngerer Zeit publik geworden sind, um bloße Einzelfälle, denen eine überwältigende Mehrheit der Bediensteten ablehnend gegenübersteht? Die aktuell geführte Debatte bekommt eine bedenkliche Schieflage, wenn dabei die neuen Polizeigesetze ausgeblendet werden. Die repressivste Gesetzgebung seit dem NS-Staat stattet die Polizeien mit weitreichenden exekutiven Befugnissen und militärischen Waffen aus, ermöglicht eine befristete Präventivhaft und erweiterte Maßnahmen der Überwachung, hebt die Trennung von Polizei und Geheimdienst tendentiell auf. Diese Ermächtigung rüstet sie auf, massiv gegen jegliche Formen des Aufbegehrens von zivilem Ungehorsam bis hin zum Aufstand vorzugehen. Zugleich wachsen legale Spielräume und Effizienz der Geheimdienste, deren Instrumentalisierung der extremen Rechten als angebliches Behördenversagen verschleiert wird. Angesichts dieser Voraussetzungen mutet die Kontroverse, ob das Vertrauen der Bürger in die Polizei durch rechte Gesinnung in deren Kreisen erschüttert werde, wie ein Beschwichtigungsmanöver erster Güte an.

Das nimmt rassistischen und rechtsradikalen Erscheinungen in den Polizeien nichts von ihrer Brisanz, gliedert sie aber in einen Kontext staatlicher Verfügungsgewalt ein, die vieles von dem, was die extreme Rechte anstrebt, längst auf gesetzgeberischem und administrativem Wege realisiert hat. Es handelt sich keineswegs um identische Verläufe, wohl aber potentiell konvergierende Ausdrucksformen des Erhalts oder der Erlangung gesellschaftlicher Macht zum Zweck der Herrschaftssicherung. Wer solche Polizeigesetze hat, braucht keine Rechten mehr, ließe sich polemisch verkürzt argumentieren, doch sollte man dabei keinesfalls übersehen, daß diese exekutiven Befugnisse in Händen einer Rechten an der Regierung um so verheerender wären. Es gilt daher, die Gefahrenlage in all ihren Aspekten auszuleuchten und nicht dem Trugschluß zu erliegen, die Beschwörung des staatlichen Gewaltmonopols sei das adäquateste Instrument, den rechten Vormarsch auszubremsen.

Daß die Polizei ein rechtsradikales Problem hat, ist kaum zu übersehen, auch wenn dessen Ausmaß bislang umstritten und nicht annähernd belegt ist. Dabei steht das Aufsehen, das solche Vorkommnisse kurzfristig erregen, zumeist in umgekehrtem Verhältnis zu den Konsequenzen, mit denen die Beteiligten zu rechnen haben. Wes Geistes Kind die schützende Hand ist, die offenbar über sie gehalten wird, unterliegt zwar der Spekulation, legt aber zwangsläufig den Verdacht nahe, daß eine gewisse Wesensverwandtschaft am Werk sein könnte. Das scheint insbesondere für bestimmte Regionen oder Bundesländer zu gelten, die sich als Hochburgen der Rechten ausweisen lassen.

So wurde 2018 im 1. Polizeirevier in Frankfurt am Main eine rechtsextreme Chat-Gruppe entdeckt, deren Mitglieder rassistische und antisemitische Botschaften ausgetauscht hatten. Zuvor war in diesem Revier die öffentlich nicht bekannte Privatadresse der Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz am Polizeicomputer abgefragt worden. Die Anwältin, die unter anderem die Familien von Opfern des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) vertreten hatte, erhielt kurz nach der Abfrage Morddrohungen mit dem Absender "NSU 2.0". Bei seinen Ermittlungen stieß das hessische Landeskriminalamt anschließend auf eine Reihe weiterer Polizisten mit offensichtlichen oder vermutlichen rechtsextremen Bezügen. Bislang gab es deshalb 38 Ermittlungs- oder Disziplinarverfahren gegen Beamte. In sechs Fällen wurden die Betroffenen aus dem Dienst entlassen, ein weiteres Kündigungsverfahren läuft noch. 17 Verfahren wurden eingestellt, weil sich der Verdacht nicht bestätigt habe.

Als die Frankfurter Chat-Gruppe enttarnt war, gab der in Bedrängnis geratene Innenminister Peter Beuth (CDU) eine Studie in Auftrag, um die generelle Stimmung in der Landespolizei auszuloten. Die Befragung "Politische Alltagserfahrungen - Herausforderungen und Erfordernisse einer lernenden Organisation" wurde im wesentlichen von der Landesregierung selbst durchgeführt, die ein "Kompetenzzentrum gegen Extremismus" eingerichtet hat. Beteiligt sind auch der Hauptpersonalrat der Landespolizei sowie ein fünfköpfiger Expertenbeirat aus Sozialwissenschaftlern und Politologen. [2]

Von November bis Dezember 2019 konnten die rund 17.000 hessischen Polizisten, Verwaltungsbeamten und Tarifbeschäftigten an der bundesweit bislang einmaligen Online-Befragung teilnehmen. Tatsächlich nahmen den Angaben zufolge 4277 Frauen und Männer teil, was einer "sehr guten" Rücklaufquote von 25 Prozent entspreche. Das Kompetenzzentrum soll nun eine umfassende Analyse der Ergebnisse erarbeiten. [3]

Nach den ersten Auswertungen des Rücklaufs positionieren sich knapp zwei Drittel der hessischen Polizisten in einer Selbsteinschätzung politisch "in der Mitte", nur 1,6 Prozent als "rechts" und 0,1 Prozent als "ausgeprägt rechts". Allerdings gaben knapp 18 Prozent an, mindestens einmal "rassistische Äußerungen" von Kollegen zur Kenntnis genommen zu haben. Etwa jeder Zehnte ist der Ansicht, daß "überzogene Kameradschaft" und "Abschottung nach außen" bei der Polizei "stark" oder "sehr stark" ausgeprägt seien. Zwar hielten 97 Prozent die parlamentarische Demokratie für die beste Staatsform, doch stimmten mehr als ein Viertel der Aussage zu: "Wenn wir nicht aufpassen, wird Deutschland ein islamisches Land."

Laut Beuth ermöglicht die Studie "nie dagewesene Einblicke in den Polizeiberuf". Ob sich allerdings mittels einer freiwilligen Umfrage auch versteckte extremistische Einstellungen der Beamten ans Licht bringen lassen, ist fraglich. Da im Falle ihrer Enttarnung mit disziplinarischen Maßnahmen zu rechnen ist, dürfte die Bereitschaft gering sein, sich selbst in einem anonymisierten Fragebogen offen extremistisch zu äußern. Zudem gehen Experten von einer relativ hohen Bereitschaft unter Polizeibeamten aus, ihre Kollegen zu decken. Im Fall des 1. Frankfurter Reviers ist es den Ermittlern des Landeskriminalamts bisher nicht einmal gelungen, zweifelsfrei festzustellen, welcher Beamte die Adresse der Rechtsanwältin am Polizeicomputer abgerufen hat.

Dennoch erklärte Beuth mit sichtlicher Erleichterung: "Extreme oder sogar extremistische politische Positionen sind der ganz großen Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen fremd." Die Studie bestätige ihn in der Ansicht, daß es sich bei rechten Verdachtsfällen in der hessischen Polizei "um Einzelfälle handelt". Gleichwohl werde in solchen Fällen "mit aller Konsequenz weiterermittelt". Ihm schloß sich Eva Goldbach an, Innenexpertin der mit der CDU regierenden Grünen. Sie wertete die Ergebnisse als Beleg, daß die hessische Polizei fest in der Mitte der Gesellschaft verankert sei. Hingegen wies der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Landtag, Hermann Schaus, darauf hin, daß das LKA bei 65 Polizisten einen Verdacht rechtsradikaler und rassistischer Einstellungen formuliert habe. Vor diesem Hintergrund könne nicht von Einzelfällen gesprochen werden.

Der Innenminister bezieht sich bei seiner überaus positiven Auslegung der Ergebnisse lediglich auf Rohdaten einer Umfrage, an der sich drei Viertel der Beschäftigten nicht beteiligt haben. Daher sollte er die Zahlen besser nicht strapazieren, die seine Schlußfolgerung nicht hergeben. Selbst die vom Ministerium engagierten Experten gehen nicht so weit, die Studie als repräsentativ für den politischen Standpunkt der Polizeiangehörigen auszuweisen. Sie wollen die Ergebnisse nun genauer untersuchen, Teilergebnisse miteinander abgleichen und ausführlichere qualitative Interviews führen, um möglicherweise versteckten Ansichten der Beamten auf die Spur zu kommen.

Etwa die Hälfte der befragten Polizisten leidet eigenen Angaben zufolge darunter, daß ihnen bei Einsätzen Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit unterstellt werde. Daß ein solcher "Generalverdacht" die Kollegen so stark belastet, habe ihn schon überrascht, hob Udo Münch hervor, der wie eingangs zitiert die hessische Landespolizei zu demokratisch gesichertem Terrain erklärt. Daß viele Polizisten unter solchen Vorwürfen leiden, ist durchaus nachvollziehbar, heißt aber nicht, daß dieser Kritik am polizeilichen Handeln keine realen Erfahrungen zugrunde lägen. Wer sich dagegen verwahrt, alles über einen Kamm zu scheren, sollte das in jegliche Richtung vertreten.

Daß die Außendarstellung ohnehin wenig mit dem Innenleben vieler Polizeien zu tun hat, belegt der Fall des Polizeischülers Simon Neumeyer aus Sachsen, der seine Ausbildung 2017 abbrach, weil er den herrschenden Rassismus nicht mehr ertrug. Er schildert in den Sozialen Medien seine Erfahrungen, daß dort rassistische Sprüche von seiten der Schüler wie der Ausbilder "salonfähig" gewesen seien. Mitschüler hätten Lieder der Nazi-Band Stahlgewitter auf der Stube gesungen oder von Besuchen auf NPD-Veranstaltungen berichtet, ohne dabei auf Widerspruch zu treffen. Als er selbst etwas dagegen gesagt habe, sei er ausgegrenzt worden.

Ist das lediglich ein weiterer Einzelfall, der im Verhältnis zur Gesamtzahl der aktiven Polizeibeamten nahezu verschwindet, wo doch Innenminister, Polizeiführungen und Polizeigewerkschaftler ein ums andere Mal beteuern, rechtsradikales Gedankengut werde bei der Polizei nicht toleriert? Nicht alle Gewerkschaftler, wie man anmerken muß, hatte doch der Bundespolizist Jörg Radek, Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, im Sommer 2019 erklärt: "Da ist bei vielen Beamten etwas in Schieflage geraten, was sich in Sympathien für das rechtsnationale Parteienspektrum ausdrückt." Für die AfD sitzen heute mehrere Polizisten im Bundestag, und der CDU-Politiker Friedrich Merz hatte damals, wohlgemerkt aus ganz eigennützigen Karrieregründen, davor gewarnt, daß Teile von Polizei und Bundeswehr an die AfD verloren gehen könnten. Dem hielten Kritiker, darunter auch Horst Seehofer, umgehend die obligatorische Warnung vor einem Generalverdacht entgegen.

In Sachsen wurde 2015 eine Willkommensaktion von Flüchtlingshelfern von Rechtsextremen angegriffen, worauf die Polizei die Veranstalter für die Gewalt verantwortlich machte. Im Jahr darauf sahen SPD-Politiker eine große Nähe von Polizisten zu AfD und Pegida. Im Vorfeld der Proteste gegen den Kohletagebau in der Lausitz posierten Ende November 2019 neun Beamte vor einem Graffito der rechtsextremen Gruppe Defend Cottbus. Als sie aufgefordert wurden, den Schriftzug zu übermalen, ließen sie das Symbol der Extremisten, DC, an der Mauer stehen und behaupteten, ihnen sei die Farbe ausgegangen. Sie wurden von dem Einsatz abgezogen, ein Disziplinarverfahren wurde eingeleitet, ein Ermittlungsverfahren hingegen nicht. Anfang Januar wurden in Bayern zehn Fälle von Hitlergrüßen, rassistischen und antisemitischen Äußerungen von Polizisten bekannt, vergleichbare Fälle wurden aus Hessen berichtet. Beamte mit rechtsextremer Gesinnung werden selten konsequent aus dem Dienst entfernt, wie Recherchen des NDR nahelegen. Bei 50 Fällen in Norddeutschland gab es demnach lediglich vier Entlassungen. [4]

Wenn sich in der hessischen Befragung eine breite Mehrheit der Polizisten in der Mitte der Gesellschaft wähnt, bleibt offen, wo sie diese ansiedelt. Angesichts einer parteipolitischen und gesamtgesellschaftlichen Drift nach rechts wäre es nicht erstaunlich, würden auch und gerade die sogenannten Hüter der Ordnung diese Wanderung mitvollziehen. Hessens Innenminister attestiert der Polizei, sie sei "kein Spiegelbild der Gesellschaft", was er als soliden demokratischen Anker verstanden wissen will. Daß Strömungen innerhalb der Polizeien längst auf der Überholspur unterwegs sein könnten, um die Gesellschaft dorthin nachzuziehen, wo sie nach ihren rigiden Parametern von Recht und Ordnung hingehört, streitet Beuth selbst als nicht auszuschließende Gefahrenlage rundweg ab. Das Vertrauen in die Polizei und mithin den Staat, dessen Gewaltmonopol sie repräsentiert, darf nicht erschüttert werden.


Fußnoten:

[1] www.fr.de/politik/hessen-drittel-aller-polizisten-fuehlt-sich-gemobbt-zr-13519998.html

[2] www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/hessen-polizei-studie-innenminister-sieht-extremistische-polizisten-als-einzelfaelle-a-0628198a-dad4-4b7d-aa75-26107ca7f4db

[3] www.deutschlandfunk.de/hessen-jeder-zweite-polizist-leidet-unter-dem-vorwurf-von.1939.de.html

[4] www.heise.de/tp/features/Rechte-Polizisten-Ziemlich-viele-Einzelfaelle-4652399.html

6. Februar 2020


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