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REPRESSION/1668: Justizgeschichte zugunsten des weißen Amerika ... (SB)



Mit der Haftentlassung des 59jährigen Chuck Sims Africa am 7. Februar aus dem Staatsgefängnis Fayette in La Belle, Pennsylvania, ist der letzte und jüngste der Move 9 nach 42 Jahren Knast freigekommen. Die 9 AktivistInnen waren als Mitglieder der Move-Kommune kollektiv zu langen Zeitstrafen verurteilt worden. Merle und Phil Africa waren in Haft verstorben, die anderen 7 sind in den letzten Jahren entlassen worden. Der angeblich von ihnen erschossene Polizist James Ramp, der bei der Erstürmung ihres Gebäudes im Stadtteil Powelton Village in Philadelphia am 8. August 1978 durch die Polizei ums Leben kam, könnte nach Indizienlage versehentlich aus den eigenen Reihen erschossen worden sein. Zumindest ist der genaue Tathergang stets im Dunkeln geblieben, so daß die Move 9, die die ihnen angelastete Tat immer bestritten, praktisch in Sippen- und Gesinnungshaft gehalten wurden.

Für das weiße Amerika hatte sich diese aus der vom FBI zerschlagenen Black Panther Party hervorgegangene Gruppe afroamerikanischer AktivistInnen schuldig gemacht, weil sie als Kollektiv mit religiös-politischem Selbstverständnis radikalökologische und antirassistische Überzeugungen vertrat. Move vertrat die Ansicht, daß Befreiung nur im denkbar umfassendsten Sinne erfolgen kann, weshalb die Befreiung der Tiere in den Protest der Gruppe zu einem Zeitpunkt eingeschlossen wurde, als das noch eine sehr radikale Außenseiterposition war. So hielt Move nicht nur Demonstrationen vor Knästen zur Befreiung der politischen Gefangenen ab, sondern veranstaltete auch Mahnwachen vor Zoos und Tierhandlungen. Alle Mitglieder von Move hatten sich den Nachnamen Africa gegeben, um nicht mehr denjenigen Namen nennen zu müssen, den ihre Vorfahren von den Sklavenhaltern erhalten hatten. Alle trugen Dreadlocks und zeigten sich als laute und streitbare Revolutionäre, was sie im weißen Amerika per se zu Staatsfeinden machte.

Move war aufgrund der gemeinschaftlichen Lebensführung nicht so leicht zu unterwandern wie die Black Panther Party, die das FBI unter Anwendung mörderischer Gewalt systematisch zerschlagen hatte. Der Name Move war dem Leitmotiv ihres Gründers John Africa, der jedoch keine Führungsperson sein soll, entlehnt: Leben sei Bewegung und alles, was sich nicht bewege, stagniere und sei tot [1]. Die Mitglieder grüßten sich mit On A Move, betrieben auf ihrem Anwesen mitten in der Stadt eine Art improvisierte Farm und waren politisch höchst aktiv. Um so mehr waren sie dem für seine rassistischen Neigungen bekannten Polizeipräsidenten Philadelphias, Frank Rizzo, ein Dorn im Auge. Er hatte aus seiner Ansicht, daß es am besten wäre, wenn die Mitglieder der Move-Kommune tot wären, keinen Hehl gemacht. Insbesondere Frauen fielen teilweise schon vor den beiden großen Konfrontationen mit der Polizei 1978 und 1985 der Gewalt ihrer Beamten zum Opfer.

So waren Leesing und Janet Africa 1974 so brutal von Polizeibeamten geschlagen worden, daß die beiden schwangeren Frauen Fehlgeburten erlitten. 1975 wurde die ebenfalls schwangere Alberta Africa von mehreren Polizeibeamten an Armen und Beinen festgehalten. Einer trat ihr wiederholt in den Magen und Unterleib, was ebenfalls eine Fehlgeburt zur Folge hatte. Janine Africas Baby Life Africa starb, nachdem ein Polizist sie während der Belagerung des Hauses 1976 auf den Boden geworfen und so lange auf ihr herumgetrampelt hatte, daß sie fast bewußtlos wurde. Während der ganzen Tortur hatte sie ihr Baby im Arm, dessen Schädel durch die Tritte zerschmettert wurde. Der Vorfall wurde nie ermittelt, weil die Polizei aufgrund des Fehlens eines Geburtsscheins behauptete, Life Africa hätte gar nicht existiert. Rhonda Africa war im 9. Monat schwanger, als sie 1976 verhaftet und zusammengeschlagen wurde. Das Kind, das sie im Gefängnis kurz darauf zur Welt brachte, war verwundet und starb kurz nach der Geburt.


Stachel im Fleisch der "Stadt der brüderlichen Liebe"

Am 20. Mai 1977 hielten die Move-AktivistInnen vor ihrem Haus eine Protestdemonstration gegen Polizeigewalt ab. Um zu zeigen, daß sie sich verteidigen würden, trugen einige Schußwaffen, was legal, aber zugleich eine unerhörte Drohung war. Am 16. März 1978 begann die Polizei Philadelphias, die zuvor vergeblich versucht hatte, eine Räumung des Hauses durchzusetzen, mit der gerichtlich legalisierten Aushungerung der Kommune. Sie wurde vollständig von Straßensperren eingeschlossen und zahlreichen Polizeibeamten belagert. Über die nun mehrere Monate währenden Verhandlungen mit der Stadt, die durch Solidaritätsdemonstrationen mit mehreren tausend Move-SympathisantInnen erzwungen worden waren, gibt es unterschiedliche Ansichten, was die Schuld der jeweiligen Seite an ihrem Scheitern betrifft.

Nachdem Rizzo einen Richter gefunden hatte, der die Räumung des Hauses und die Verhaftung aller männlichen Move-Mitglieder verfügte, zogen am frühen Morgen des 8. August 1978 300 Polizeibeamte mit gepanzerten Fahrzeugen, Räumgerät und Wasserwerfern auf, um die Bewohner zum Verlassen des Hauses zu zwingen. Man fackelte nicht lange und eröffnete das Feuer auf das Haus, woraufhin sich die Move-Mitglieder mit ihren Kindern in den Keller zurückzogen. Nachdem man diesen mit Feuerwehrschläuchen unter Wasser gesetzt hatte, mußten sich die AktivistInnen ergeben.

Der Angriff der Polizei wurde in der Öffentlichkeit massiv kritisiert, wobei der in Philadelphia 1982 zum Tode verurteilte Journalist und Aktivist Mumia Abu-Jamal eine führende Rolle spielte. Bürgermeister Rizzo hatte sich damals öffentlich mit der Drohung an die Presse gewandt, endlich die ihm unbequeme Berichterstattung einzustellen, sonst werde sie dafür zur Rechenschaft gezogen. Drei Jahre nach dieser Kampfansage wurde Abu-Jamal wegen eines angeblich von ihm begangenen Mordes zum Tode verurteilt. Beim Zustandekommen des überaus fragwürdigen Urteils spielte die Polizeigewerkschaft Fraternal Order of Police, der auch Rizzo angehörte, eine entscheidende Rolle. Obwohl es genügend entlastende Beweise und Zeugen gab, verstand es die mit der Polizei eng liierte Justiz der Stadt, die Möglichkeit der Exekution Abu-Jamals mehrere Jahrzehnte lang aufrechtzuerhalten, bis die Todesstrafe in lebenslange Haft ohne Begnadigungsmöglichkeit umgewandelt wurde.

Trotz des ungeklärten Tötungsvorwurfes wurden 9 verhaftete Move-Mitglieder im Mai 1980 wegen gemeinschaftlichen Totschlags und Verschwörung gegen den Staat zu Haftstrafen zwischen 30 und 100 Jahren verurteilte. Der Richter begründete das von der Beweislage her auf wackligen Füßen stehende Urteil unter anderem damit, daß die Angeklagten, weil sie sich als Familie bezeichnen, auch als Familie verurteilt würden. Ein individueller Tatnachweis sei nicht möglich, denn er wisse nicht, wer geschossen hat. Kurz nach der Erstürmung ließ die Polizei Philadelphias das Anwesen der Move-Kommune mit einem Bulldozer so platt machen, daß keine weitere Beweisaufnahme mehr stattfinden konnte.

Bei dem Angriff auf das Move-Haus wurden schwere Maschinenwaffen eingesetzt, ohne daß jemals bewiesen werden konnte, daß aus dem Gebäude heraus geschossen wurde. Zudem wurden bei der anschließenden Durchsuchung keine Waffen gefunden. Move vertrat im Kern eine Doktrin der Gewaltlosigkeit, mußte sich jedoch aus eigenem Verständnis heraus verteidigungsbereit zeigen, um nicht ohne weiteres geräumt zu werden. Auf Pressefotos ist Delbert Africa zu sehen [2], wir er mit nacktem Oberkörper und erhobenen Händen demonstriert, daß er unbewaffnet ist, nur um von mehreren Polizisten brutal zusammengeschlagen und an den Dreadlocks über die Straße geschleift zu werden. Der heute 73jährige Delbert wurde im Januar nach 41 Jahren Haft entlassen, von denen er 6 Jahre in einer Isolationszelle verbrachte, also praktisch gefoltert wurde.


Polizeikrieg gegen schwarze Kommune

1981 bezogen die noch in Freiheit lebenden Move-Mitglieder ein neues Haus in die Osage Avenue in einem anderen Teil West-Philadelphias. Um sich vor weiteren Angriffen der Polizei zu schützen, wurde das Gebäude befestigt und mit einem Dachaufbau versehen, den die Polizei als Bunker bezeichnete. Da eine Entlassung der inhaftierten KommunardInnen nicht in Aussicht stand, hatte sich die Gruppe ganz auf öffentliche Kundgebungen zu deren Befreiung verlegt. Die Nachbarschaft in der Osage Avenue beschwerte sich daraufhin bei der Polizei über die Lautsprecherdurchsagen, mit denen die Freilassung der Move 9 gefordert wurde.

Da den Polizisten kein Zutritt zum Move-Haus gewährt wurde, stellte die Justizbehörde Philadelphias Haftbefehle wegen der terroristischen Bedrohung von Amtspersonen aus. Nachdem die Polizei immer noch nicht ins Haus gelangt war, gab ihr der erste schwarze Bürgermeister Philadelphias, Wilson Goode, freie Hand. Am Morgen des 12. Mai 1985 wurden alle Menschen im Viertel angewiesen, ihre Häuser zu verlassen. Daraufhin umstellten Hunderte von Polizisten das Move-Zentrum, angeblich um Verhaftungen vorzunehmen, tatsächlich jedoch, um nach Verstreichen einer Anstandsfrist von einem Tag, an dem Goode alle Vermittlungsangebote besorgter BürgerInnen ablehnte, das Haus massiv unter Beschuß zu nehmen. So wurden am 13. Mai 1985 innerhalb weniger Stunden gut 10.000 Schuß Munition und viele Tränengasgranaten auf das Haus abgefeuert.

Nachdem vergeblich versucht worden war, das Gebäude mit Hochdruckwasserkanonen zum Einsturz zu bringen, was das Leben der AktivistInnen akut gefährdet hätte, ordnete der Polizeichef am frühen Abend den Abwurf einer mit Plastiksprengstoff, den man vom FBI erhalten hatte, gefüllten Bombe per Helikopter an. Sie setzte das Haus, in dem sich 7 Erwachsene und 6 Kinder befanden, in Brand. Die neben dem damals 13jährigen Birdy Africa einzige Überlebende Ramona Africa gab danach zu Protokoll, daß die Polizei den Tod der BewohnerInnen beabsichtigt habe. In einem 1996 produzierten Film über Abu-Jamal und Move berichtete sie: "Mir bleibt von den Ereignissen am 13. Mai am meisten im Gedächtnis haften, wie wir herausriefen, daß wir herauskommen und die Kinder herausbringen wollen, wie die Kinder selbst hinausschrien 'Wir kommen raus, sie bringen uns raus', doch daß jeder Versuch, das Haus zu verlassen, vom Sperrfeuer der Polizeiwaffen verhindert wurde."

Die angerückten Feuerwehrmänner wurden von der Polizei mit der Behauptung, sie würden von Move-Scharfschützen beschossen, am Löschen des Hauses gehindert. Während Polizeibeamte die verzweifelten Fluchtversuche der Eingeschlossenen mit Waffengewalt verhinderten, fingen die Nachbarhäuser Feuer, so daß schließlich der ganze Wohnblock aus 60 Gebäuden niederbrannte. Elf Menschen, darunter 5 Kinder, starben in den Flammen, und 250 Nachbarn verloren ihr Hab und Gut. Eine Untersuchungskommission erhob anschließend zwar Vorwürfe gegen den Bürgermeister und seinen Polizeichef, es wurde jedoch niemand für die Aktion zur Rechenschaft gezogen. Die Überlebende Ramona Africa hingegen wurde nach kurzem Prozeß zu sieben Jahren Haft verurteilt.

Die Geschichte der Move-Bewegung fügt sich nahtlos in die tagtäglich von People of Color in den USA erlittene Polizeigewalt. Fast drei Personen am Tag werden von der Polizei erschossen, davon sind bis zu 10 Prozent unbewaffnet. Menschen afroamerikanischer Herkunft werden weit überproportional zu Opfern von Polizeigewalt, was die Entstehung der Bewegung Black Lives Matter ausgelöst hat. Nichts ist für schwarze Menschen in den USA besser geworden, nur weil ein Präsident ihre Hautfarbe hatte. Während Barack Obama nur zögerlich Position zum endemischen Rassismus bezog, ist mit Donald Trump ein Rassist ins Weiße Haus eingezogen, der insbesondere durch die verächtliche Beschimpfung lateinamerikanischer MigrantInnen und deren massenhafte Inhaftierung auch im Kindeshalter von sich reden macht. Für die Move-Bewegung, deren Geschichte weit weniger bekannt ist als die der evangelikalen Sekte der Branch Davidians, deren Anwesen im texanischen Waco 1993 von den Behörden angegriffen wurde, was den Tod von 76 Menschen zur Folge hatte, hat der Kampf gegen Rassismus daher nicht aufgehört.


Fußnoten:

[1] http://onamove.com/about/

[2] http://onamove.com/move-9/delbert-africa/

27. Februar 2020


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